Ich fahre also los.
Mira ist neben mir sichtlich nervös.
"Sag mir, was los ist. Du bist doch nicht allein wegen was auch immer jetzt so nervös, oder?"
Gerade fahren wir auf die Autobahn. Es ist kaum was los, was möglicherweise daran liegt, dass es gerade halb sechs an einem Sonntag ist. Es ist auch noch ziemlich dunkel draussen, aber wofür gibt es denn Scheinwerfer?
Ich greife nach Mira's Hand. Sie ist eiskalt. Bei meiner Freundin das klare Zeichen, dass sie komplett nervös ist und am liebsten aus dem fahrenden Auto springen würde.
"Naja, es ist erstens schon eine Ewigkeit her und zweitens weiss ich immer noch nicht, was mich genau jetzt dazu treibt... Ich weiss nichtmal, ob Max überhaupt zuhause ist."
"Hast du keinen Schlüssel?"
"Klar hab ich nen Schlüssel! Das Haus gehört eben uns beiden. Ich lasse ihn nur immer da. In Berlin nützt er mir eben nichts... Ich weiss eben auch nicht, ob der Ersatzschlüssel da ist, wo er sein sollte. Max vergisst ziemlich oft seinen Schlüssel und legt den Ersatzschlüssel nie zurück."
"Und du hast damals einfach aufgehört, weil Felix es wollte?"
"Ich war damals nicht annähernd so selbstbewusst wie heute. Naja, ich war es, dann nicht und dann langsam wieder. Ich meine, ich war damals das erste mal in einer Beziehung überhaupt. Er hat mich herumgeschubst und sich selbst, sein Wohlergehen IMMER über meines gestellt. Mir war im Unterbewusstsein schon klar, dass das alles nicht richtig sein kann, aber ich habe mir, aus welchem Grund auch immer, eigeredet, dass ich niemand anderen als ihn hatte... Das war der grösste Fehler überhaupt und ich fühle mich auch verdammt schlecht deswegen... Ich meine, ich habe das aufgegeben, was meine Mutter und mich immer verbunden hat, was uns alle als Familie verbunden hat beziehungsweise immer noch verbindet, einfach fallen gelassen und das wegen so einem Arschloch. Ich habe mir als kleines Mädchen immer gesagt, dass ich es niemals aufgeben werde, weil es mir jemand sagt. Entweder man akzeptiert mich so oder haut ab. Vor allem hätte ich es nicht tun sollen, für einen Mann, der behauptet, dass er mich liebt. Das musste ich Mama auch immer versprechen. Dass ich einfach auf den Richtigen warte und mich von niemandem abbringen lasse. Das habe ich nicht geschafft. Ich habe mich abbringen lassen, weil ich einfach kaputt war... Irgendwie bin ich aber auch froh über diesen Fehler.-"
"Was? Ich würde Felix am liebsten dem Erdboden gleich machen und du bist froh darüber?"
"Wincent, ich würde dich wahrscheinlich nur davon abhalten, weil dir das ganze auch schaden würde. Nein, ich bin Felix natürlich nicht dankbar dafür, dass er mich geschlagen, getreten, herumgeschubst und einfach nur noch kaputter gemacht hat, aber wenn er mir nicht immer und immer wieder gesagt hätte, dass ich mir einfach einen Job suchen solle, weil ich das Studium eh nicht schaffen würde, hätte ich mich nicht so angestrengt, wie ich es getan habe. Hätte er mich unterbewusst nicht so angetrieben, wäre ich wahrscheinlich nur halb so erfolgreich, wie ich es jetzt im Studium bin. Klar hätte ich mich angestrengt, aber ich wäre bestimmt nicht so erfolgreich, dass mir mein Dozent ein so gutes Praktikum anbietet. Ich meine, irgendwo ist es auch unrealistisch, dass eine Studentin plötzlich für einen der bekanntesten deutschen Künstler arbeiten kann. Noch unrealistischer, dass sie acht Monate später mit ihm zusammenlebt."
"Du hältst es für unrealistisch, dass sich jemand in dich verliebt? Immerhin bin ich auch nur win Mann."
"Schatz, hätte ich dich irgendwo einfach auf der Strasse kennengelernt oder hätte mir niemand verraten, für wen ich arbeite, hätte ich nicht im Ansatz gewusst, dass du bekannt bist. Das lag einzig und allein an der Tatsache, dass ich es gesehen habe."
"Darüber war ich auch verdammt froh. Einfach, weil du beides gleichzeitig kennengelernt hast. Den Wincent, der auf der Bühne alles gibt und dann auch den einfachen Dorftrottel, der oft nicht wirklich ne Peilung hat."
"Mir hat es aber vor allem der Teil an dir angetan, der irgendwie immer Zeit findet, wenn man ihn braucht."
Ich drücke Mira einen Kuss auf den Handrücken und lege unsere ineinander verschränkten Hände auf der Ablage zwischen uns ab.
Inzwischen geht langsam die Sonne in unserem Rücken auf.
"Also Max ist nicht zuhause, hat aber wohl den Schlüssel zurückgelegt."
Langsam werde ich immer neugieriger. Was ist es nur, was ich jetzt gleich erfahren werde. Naja, was heisst gleich? In ein paar Stunden. Wir fahren noch eine Weile.
Mira sieht einfach aus dem Fenster. Es gibt bis auf ein paar Autos, die Strasse, ein paar Schilder und die wenigen Bäume zwar nichts zu sehen, aber sie sieht einfach raus.Um halb elf fahre ich dann in die Zielstrasse ein. Ziemlich am Stadtrand, aber eine echt schöne Strasse. Eigentlich nur grosse Einfamilienhäuser. Alles sehr gepflegt und ordentlich.
Vor einem dreistöckigen Haus aus dunkelroten Ziegeln halten wir. Es gibt einen kleinen Vorgarten, wo ein paar Blumen und Büsche gepflanzt sind. Wir steigen aus und gehen zur Tür. Mira holt aus einem kleinen Versteck den Schlüssel und schliesst auf.
Wir stehen jetzt in einem offenen Flur. Man kann direkt ins Wohnzimmer sehen. Da ist ein Kamin und eine grosse Sofalandschaft. Alles ist hell und einladend.
"Wincent, ich habe das Gefühl, dass ich es dir schon viel früher hätte zeigen sollen. Ich habe es aber einfach nicht gekonnt. Warum auch immer. Aber selbst damals haben es nur wenige gewusst. Ich war zwar nicht unbedingt schüchtern, aber irgendwie habe ich es nie vor anderen getan. Gerade mal meine Familie und die wirklich engsten Freunde haben es gewusst... Es gab Abende, da haben wir einfach oben zusammen gesessen und gelacht. Mama und Moritz haben damit ihr Geld verdient und Max tut jetzt aus genau das selbe."
Während ihrer kleinen Rede hat Mira mich durch das Wohnzimmer und eine Treppe hoch geführt. Wir sind jetzt in einem Flur mit vier Zimmern und nochmal einer Treppe. An der Wand hängen unglaublich viele Fotos.
Vor Mira's Zimmer bleiben wir stehen. Die Tür ist verdammt süss gestaltet. Es steht ihr Name dran und sie ist bemalt. Wie lange hat das bitte gedauert.
Mira zögert ziemlich, sie zu öffnen, legt dann aber die Hand auf die Türklinke.
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Mittendrin im Leben
FanficMira studiert Musikmanagment und trifft während ihres Praktikums auf Wincent . Sie verstehen sich von Anfang an sehr gut . Kann es sein , dass da doch mehr als nur Freundschaft ist ? Und schafft sie es, über ihren Schatten zu springen und ihm die W...