P.o.V.: Aleyna
Es ist gerade mal ein Tag her aber es fühlt sich so an als wäre es schon ewig her seit dem ich Kerem gesehen habe. War es vielleicht doch ein Fehler? Es wäre nicht gerecht gewesen, denn egal wie sehr er sich das auch einredete er hatte Hoffnung, dass die alte Aleyna bald wieder kommen würde. Ich wäre aber nicht bereit ihn zu enttäuschen und ihn zu verletzen wenn er merken würde, dass ich mich wohl nie wieder an mein vorheriges Leben erinnern werde. Das wäre das schlimmste gewesen. Ich hätte es nicht verkraftet ihn zu enttäuschen. Es war gerade mal neun Uhr Abends als ich merkte wie jemand an meiner Tür klingelte. Wahrscheinlich Asami. Ich bin so froh sie kennengelernt zu haben. Seit dem ich sie kenne, hat sie mir so viel erzählt, sie hat mir immer geholfen und mir sogar immer wieder Sachen gekocht die sie von ihren Eltern kannte und die sie ihr beigebracht haben. Als ich die Tür aufmachte begrüßten wir uns. »Schläft Zu schon?« »Ja. Wie ein Stein«, versuchte ich dann gut gelaunt zu klingen. »Wir müssen reden«, sagte sie dann ernst. Wir wussten beide, dass es um Kerem geht aber ich hatte versucht dieses Thema so gut wie es ging zu umgehen. Nicht sehr erfolgreich da ich es wohl schon am ersten Tag direkt versauen werde. Also erzählte ich ihr alles was ich auch ihm sagte. Wie vertraut er mir direkt wurde, wie ich gespürt hatte, dass ich ihn schon kannte bevor ich mich daran erinnern kann und wie gruselig es war jemanden zu lieben den man noch nie gesehen hatte. Als ich dann fertig war schrie sie. Wirklich, sie schrie. »Lydia du dumme Dreckskuh, du kannst so was nicht machen. Dadurch hast du ihn doch viel mehr verletzt als du es sonst könntest. Er hat dich ENDLICH gefunden und du stößt ihn weg. Ich habe ihn getroffen, zwar nur einmal aber er wollte dich. Auch wenn du dich nach zehn Jahren immer noch nicht daran erinnerst, er würde sich dann in Lydia verlieben weil du immer noch die selbe Person bist. Das was du gerade tust macht überhaupt keinen Sinn! Dir geht es jetzt schlechter als davor!« Ich schüttelte meinen Kopf:»Asami, du verstehst das nicht-«. Sie unterbrach mich direkt:»Doch ich verstehe das aber du verstehst nicht, dass du nur Angst hast. Das brauchst du aber nicht. Du stehst deinem eigenen Glück im Weg und merkst es nicht mal«. Sie meinte es ernst. »Na und was soll ich machen? Zu ihm gehen und sagen: ›Ey, wenn du willst können wir es versuchen aber ich werde wahrscheinlich während der ganzen Beziehung ein schlechtes Gewissen haben‹? « »Ja, das wäre ein Anfang«. Wir wussten beide, dass sie das nicht ernst meinte. Oder zumindest, hoffte ich das. »Ich denke wirklich, er wird dir gut tun. Denk darüber nach. Bitte. Ich will nur, dass du glücklich wirst. Und in letzter Zeit warst du es auch«. »Nein eben nicht. Ich war verwirrt«, stritt ich es dann ab. Sie trug Zu von dem Bett und hielt sie in ihren Armen. »Aber nicht mehr so niedergeschlagen wie sonst«. Und schon schloss sie die Tür hinter sich und ich war alleine in meiner Wohnung. Hatte sie vielleicht Recht? Ich war ja schon an meinem Tiefpunkt. Ab jetzt könnte es ja theoretisch nur noch besser werden.
Dann erinnerte ich mich an die Sachen die mir Kerem brachte und sah sie mir an. Als erstes nahm ich die Truhe aus der Tüte. Sie war so groß wie ein Schuhkarton. Als ich sie öffnete waren da viele Bilder drinnen. Die waren aber schon etwas älter und offensichtlich auch nicht meine. Darauf sah ich eine Frau die mir ähnlich sah und viele andere Menschen. Wer waren diese Leute? Egal wie sehr ich auch versuchte mich daran zu erinnern wusste ich es einfach nicht. Nach einer Weile gab ich es dann auf und sah mir das nächste an. Es war die Hälfte einer Freundschaftskette. Hat Ethan vielleicht die andere Hälfte bekommen? Das letzte was ich dann heraus nahm war ein Buch. Es sah aus wie ein Tagebuch. Als ich es öffnete merkte ich, dass es eins war. Ich blätterte herum und überflog die Seiten. Verzweifelt versuchte ich mich an etwas zu erinnern. Melek, Arthur, Saanvi und Tunay. Diese Namen wiederholten sich immer wieder als ich durchblätterte aber ich kannte sie nicht. Wer waren diese Menschen? Warum erinnere mich mich nicht an sie? Warum habe ich nie etwas über Ethan oder Kerem geschrieben? Frustriert darüber, dass mir nichts in diesem Tagebuch vertraut vorkam legte ich es weg. Ich werde mich wohl nie daran erinnern. Bei Kerem und Ethan gab es wenigstens etwas vertrautes. Aber dieses Buch, diese ganze Truhe kam mir so fremd vor. Weil ich aber immer noch neugierig war sah ich mir das nächste an was mir Kerem gab. Es war ein Schmuckkästchen, von außen mit Herzchen verziert und oben war ein Wort eingraviert. Kanurya. Dieser Name ist wunderschön. Als ich ihn las merkte ich wie mir warm ums Herz wurde. Ich öffnete sie und drinnen war eine Kette. Als ich sie ins Licht hielt fing sie an zu funkeln. Sie war wunderschön. Dieses Kästchen hatte ich schonmal gesehen. Wahrscheinlich in einer Werbung oder so. Ich drehte die Box auf und die kleine Ballerina fing an zu tanzen. Ohne etwas zu tun starrte ich sie an, wie sie sich im Kreis zu der Melodie drehte. Als das Lied zu Ende war wollte ich das Kästchen wieder zumachen. Aber ich bemerkte dann, dass da noch etwas drinnen war. Ein Blatt Papier. Ich nahm das Blatt und drehte es um. Es war nicht nur ein Blatt. Es war ein Bild. Auf dem Bild erkannte ich mich und Kerem. Aber da war noch ein anderes Gesicht drauf. Es war so vertraut. Ein kleines Mädchen lächelte mit uns in die Kamera. Ich spürte wie sich meine Brust mit Wärme füllte als ich in ihr Gesicht sah. In dem Kästchen waren noch andere Bilder gefaltet drinnen. Auf einem waren wir Burger essen und das andere Bild war eine Zeichung. War sie von diesem Mädchen? Auf der Zeichnung waren ein Mann, eine Frau und ein Mädchen gemalt. Vielleicht sind das wir drei zusammen? Ich sah mir das Mädchen nochmal genau an. Ihre Augen, ihre Nase, ihre Grübchen. Wer war dieses kleine Mädchen? In mir spürte ich das selbe Gefühl wie damals als ich Kerem das erste Mal sah aber es war stärker. Viel stärker. Jetzt fühlte sich mein Herz auf einmal so schwer an. Nicht zu wissen wer sie ist war qualvoll. Es war eine Mischung aus allem die ich in mir spürte. Als hätte man etwas vergessen, als würde man jemanden vermissen, als hätte man jemanden verlassen und vieles mehr. Es tat einfach nur weh. Wer ist sie? Die Antwort lag mir auf der Zunge aber ich kam einfach nicht darauf. Wer ist sie? In meinem Kopf drehte sich alles. Das war zu viel. Als ich das Schmuckkästchen schloss, sah ich es wieder vor meinen Augen. Kanurya. Der eingravierte Name. Das war Kanurya. Dieses Kästchen auf dem ihr Name stand gehört ihr. Diese Kette die drinnen war gehört ihr. Dieses Gesicht auf dem Foto war ihres... Ich bin mir sicher aber ich weiß nicht mehr woher ich das weiß. Ich war so nah dran mich an etwas zu erinnern aber mein Kopf dröhnte in diesem Moment. Aufhören kann ich aber nicht. Ich muss mich weiter darauf konzentrieren. Wer ist Kanurya? Dann fiel mir etwas ein. Diese Melodie als sich die kleine Ballerina in dem Kästchen tanzte. Sie war so vertraut. Woher kannte ich diese Melodie? Alles war in diesem Moment durcheinander. In meinem Kopf drehte sich alles aber ich bekam auch starke Kopfschmerzen. Ich weiß nicht weshalb aber ich nahm dann das Tagebuch und blätterte noch einmal durch. Da muss doch etwas über Kanurya stehen. Stattdessen fiel mir etwas anderes ins Auge. »Wouldn't it be nice if we were older...?« Das war sie! Das war die Melodie. Woher kannte ich aber dieses Lied? Auf einmal erinnerte ich mich an etwas. Es war aber fast so als wären das nicht meine Erinnerungen. Aber es waren meine, ganz sicher. Ich sah Kerem der hinter dem Steuer saß und dieses Lied sang, Kanurya die hinten saß und lachte. Wann war das? Ich versuchte mich mit aller Kraft zu konzentrieren. Es fühlte sich so an als würde ich gleich in Ohnmacht fallen. Es war zu viel. Aber ich wollte es wissen. Ich war zu nah dran. Das Lied aus dem Kästchen war eindeutig dieses Lied. Das nächste woran ich dachte war es zu den beiden zu fahren. Ich musste sie sehen. Ich habe einen Fehler gemacht. Einen viel zu großen Fehler.
Ich nahm meine Autoschlüssel und rannten nach draußen. Draußen war es eiskalt, was im November nicht ungewöhnlich ist aber ich vergaß meine Jacke mitzunehmen und rannte runter. Als ich die Tür öffnete, kam mir eine Brise entgegen. Danach folgten wieder diese Kopfschmerzen weshalb ich mich an meinem Kopf hielt. Das nächste an was ich mich erinnerte war wie wir damals Schlittschuhlaufen waren. Wir drei. Wie konnte ich das nur vergessen? Ich erinnerte mich an die Wärme. Nicht nur die Wärme in meiner Brust, sondern auch die Wärme die er mit mir teilte. Als ich auf meine Hände sah fühlte es sich so an wie damals als er sie wärmte. Ich erinnerte mich nicht nur an diesen Moment, sondern ich fühlte ihn wieder. Ich fühlte wie ich in der Kälte von Kerem gewärmt wurde. Während der Fahrt, fuhr mir ein Auto entgegen. Ich weiß nicht weshalb aber diese Scheinwerfer schienen in diesem Moment zu hell. Es war wie ein Blitz wenn man ein Bild machte. Als ich mit meiner Hand versuchte dem Licht das mich blendete auszuweichen erinnerte ich mich wieder an etwas. Der Moment an dem Kanurya das Bild von mir und Kerem machte. Das Bild das er als Hintergrund auf seinem Handy hatte. Das Bild das ich in meinen Händen hielt und ich konnte mich nicht daran erinnern. Es liefen mir Tränen runter die ich mir mit meinem Ärmel weg wischte. Es war einfach zu viel. Ich bin bald da. Ich bin bald bei ihr.
Endlich war ich da. Ich rannte aus dem Auto. Ich wusste genau welches Haus es war und wo es war. Dieses Haus war so vertraut. Ich klingelte mehrmals aber keiner machte auf. Deshalb fing ich an zu klopfen, ich hämmerte gegen die Tür. »Kerem!« Mein Gesicht fühlte sich so kalt und trocken an, weil die kalte Luft in mein Gesicht blies und gleichzeitig Tränen mir in meinem Gesicht runter liefen. »Es tut mir leid Kerem!«, schrie ich und hörte dabei nicht auf zu klopfen. »Ich erinnere mich. Lass mich bitte rein!« Meine Stimme klang kratzig und ich merkte wie sie langsam nachgab. Nach einer Weile hörte ich dann auf. Vielleicht war er gar nicht zuhause. Eigentlich müsste er aber schon längst zurück sein. Sollte ich in die Firma fahren? Lieber nicht, ich war mir nicht mehr sicher wo die Firma genau war und es war schon spät. Auch wenn er länger bleiben musste, er müsste bald da sein. Ich würde ihn nur verpassen wenn ich jetzt gehen würde. Nicht mal mein Handy hatte ich mitgenommen um ihn anrufen zu können. Ich saß mich auf den Stufen hin und lehnte mich gegen das Geländer. Es fühlte sich so an als würde mein Kopf gleich in Flammen aufgehen. Schnee fiel auf mein Kopf aber es fühlte sich gleichzeitig so an als würde er ihn direkt kühlen. Nach einer Weile wurde es aber zu kalt aber ich redete mir ein er würde gleich da sein, weshalb ich nicht in das Auto ging. Wenn er da ist will ich keine Sekunde verlieren. Meine Tränen waren schon getrocknet und ich verschränkte meine Arme um meinen Oberkörper um mich zu wärmen. Während ich wartete wurden diese Kopfschmerzen unerträglich. Ich hielt es nicht mehr aus, weshalb ich einfach meine Augen schloss und mich der Müdigkeit hingab die mich vor den Schmerzen schützte.
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𝚗𝚘𝚝𝚑𝚒𝚗𝚐
RomanceNach Jahren in denen sie im Kinderheim lebte, zog Aleyna mit ihrer kleinen Schwester aus. Sie lebte das erste Jahr ein bescheidenes und dennoch akzeptables Leben bis sich der gesundheitliche Zustand ihrer Schwester extrem verschlechtert und sie alle...