Kapitel 62

3.9K 212 643
                                    

Fünf Tage später sitze ich – nach zahlreichen Übungsstunden mit Macen, bei denen mir Ms. Swan böse Blicke fast ein Loch in den Rücken gebrannt hätten - auf einen respekteinflößenden Rappen und winke den vielen Menschen, die rechts und links an der Straße stehen, zu. Beziehungsweise habe ich das getan, denn mittlerweile sind wir so gut wie am Ende der Paradestrecke angekommen und es tummeln sich nur noch wenige Gestalten am Wegrand.

Erleichtert seufze ich auf, als das Rathausgebäude in Sicht kommt, in dem eine Art Empfang mit anschließender Entscheidung stattfinden soll. Die Parade an sich dauerte zwar nur etwa eine halbe Stunde, aber ich bin trotzdem froh, dass sie vorbei ist. Wenn ich noch einmal eine Frau mit Rocelyn verwechsle, nimmt die Enttäuschung in meinem inneren Gefühlsweltlauf vielleicht der spöttischen Belustigung über Trishs Kleid die Führung aus der Hand und das ist eigentlich nichts, was ich heute gebrauchen kann.

Ich weiß, dass sie sich höchstwahrscheinlich nicht für die kurze Zeit frei nehmen konnte, weil meine Eltern auf ihre Anwesenheit bestanden haben, doch ein Teil von mir hatte sich wohl doch der albernen Hoffnung hingegeben, dass ich sie wenigstens in der Menge sehen würde. Tja, und so habe ich neben winken, lächeln und nicht vom Pferd fallen die meiste Zeit damit verbracht, meinen Blick über das Getümmel gleiten zu lassen, um ihr vertrautes Gesicht vielleicht doch noch irgendwo aufblitzen zu sehen.

Dadurch, dass Ms. Swan veranlasst hat, dass kein Angestellter mir beim ,,Zerstören der Damensatteltradition" behilflich sein darf, habe ich den Rappen – Ich nenne ihn einfach Nightfall, weil es niemand für nötig gehalten hat mir seinen richtigen Namen mitzuteilen – selbst geritten. Die anderen Erwählten wurden aber alle von einem Mitarbeiter an einer Leine geführt oder besser gesagt ihre Pferde, obwohl die Vorstellung, dass die Stahlarbeiter mit den Damen Gassi gehen, schon etwas Befriedigendes an sich hat. Immerhin könnte man diese Ladys allein schon wegen ihres Aussehens, als mystisches Wesen abstempeln. Kleifraunica wäre doch ein guter Name für diese seltsamen Mischwesen, die zur Hälfte Mensch und zur Hälfte pompöse Stoffexplosion sind. Vielleicht werden sie irgendwann in der Zukunft sogar als Haustiere gehalten. Man weiß schließlich nie, wie verrückt die Menschen zweihundert Jahre später sein werden.

Meine liebreizende Schwester würde mit ihrem Kleid dann auf jeden Fall zu der Extraklasse der außergewöhnlichen Exemplare zählen. Heute hat sie sich mal für das Stichwort ,,Goldene Eleganz" entschieden oder zumindest werden ihr das irgendwelche Modeexperten von bekannten Magazinen so andichten. Aber eigentlich hat das ganze weniger mit Eleganz und vielmehr mit einer Mischung aus Abdeckhaube, Diskokugel und Geschenkschachtel gemein. Aber hey, wer will schon meine wilden Assoziationen hören?

Jedenfalls, besteht der Rock des Kleides aus einem glänzenden Stoff, der strahlt als hätte man soeben ein Stück echtes Gold auf Hochglanz poliert und die Form des Ganzen erinnert wirklich an eine Art überdimensionale Halbkugel mit aufwendiger Raffung. Oder eben an eine dieser Speiseglocken, die in Filmen immer dann auftauchen, wenn die Charaktere in ein besonders schickes, französisches Restaurant gehen.

Beim langärmligen Oberteil hingegen ist der Stoff gar nicht mehr zu erkennen, da er von oben bis unten mit goldenem Glitzer verdeckt wird, der ein paar Nuancen dunkler ist als der Rock. Tja und dann gibt es da noch diese riesengroße Schleife, an der mein Blick während der Parade ständig hängen geblieben ist, da Trish zum einen genau vor mir reitet und dieses Ding sich zum anderen auf ihrem Rücken befindet. Keine Ahnung, was sich der Designer dabei gedacht hat, aber ich denke dabei an ein hübsch geschnürtes Geschenkpaket.

In diesem Moment wird mein Pferd von einem Mitarbeiter angehalten und mir wird zu verstehen gegeben, dass ich absitzen soll. Mittlerweile stehen wir genau vor dem portalartigen Eingang des Rathauses, wo sich bereits ein Chaos aus Gästen, Pferden und der Kutsche der königlichen Familie gebildet hat. Diese haben sich natürlich nicht dazu herabgelassen selbst auf ein Pferd zu steigen, sondern haben die Pferde bequem ihren majestätischen Karren ziehen lassen, obwohl alle königlichen Mitglieder nach Angabe von Ms. Swan irgendwann mal Reitunterricht erhalten haben. Aber vielleicht gehört es für das Königspaar auch einfach zu den unsittlichen Tätigkeiten sich in der Öffentlichkeit auf einem Pferd zu präsentieren und ich habe das in Ms. Swans Unterricht durch meine Unaufmerksamkeit schlichtweg nicht mitbekommen.

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt