Kapitel 41

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Bewegungslos starre ich einfach weiter auf die Züge des Spaniers, während mich mein Gefühlschaos, wie die Wellen eines gigantischen Meeres mitreißt. Zuerst spüre ich Wut. Einfache, kompromisslose Wut, die lediglich an der Oberfläche kratzt und die kürzlich erfahrenen Tatsachen auf meinen beschränkten Blickwinkel zusammenquetscht. Und aus dieser Sicht ist Macen ein Lügner und Betrüger wie er im Buche steht, der mich kaltherzig über den Tisch gezogen hat.

Doch der Zorn wird ebenso schnell davongespült wie er gekommen ist und macht einer Fülle anderer Emotionen Platz, die so zahlreich über mich herfallen, dass es unmöglich ist, auch nur eine davon zu benennen. Einzig und allein der Wunsch seine Taten zu verstehen sticht aus dem tristen Nebel der Gefühlswucht hervor, die sich in meinem Inneren zusammenbraut.

>>Fait, alles in Ordnung? Du bist plötzlich ganz blass<<, reißt mich Macens Stimme aus meinem inneren Orkan und ich bin endlich fähig die Augen vom Angesicht des spanischen Prinzens zu reißen. >>Können wir irgendwo alleine reden. Dort, wo uns niemand hört<<, frage ich, bevor ich überhaupt näher über diese Bitte nachdenken kann. Mein Mund hat sich einfach verselbstständigt, doch das Gefühl ihn verstehen zu müssen, wird immer drängender. Hat er es einfach nur getan, weil ihm mein wachsendes Vertrauen, das auf reinen Lügen aufbaut, perfide Freude bereitet? Oder steckt vielleicht doch etwas mehr dahinter?

Denn eigentlich hätte ich Macen nie als jemanden eingeschätzt, der mich derartig hintergeht, aber ich bin auch nur ein Mensch und Menschen begehen nun mal Fehler. >>Ähmm...klar. Stimmt etwas nicht? Soll ich dich zum Schlossarzt bringen?<< Die Besorgnis in seiner Stimme ist fast unerträglich, weil ich auf einmal alles zu hinterfragen beginne. Mag er mich überhaupt als Freundin? Ist dieser mitfühlende Blick in seinen Augen wirklich echt?

Aber natürlich ist er das, versuche ich mich zu beruhigen. Es kann eine Millionen Gründe geben, warum er mir Interesse vorgegaukelt hat und in mindestens der Hälfte ist Macen kein böser Halunke, sondern nur eine Person, die sich genauso bedeckt hält wie ich. >>Nein, alles gut, aber ich muss dringend mit dir reden und dabei sollten wir besser ungehört bleiben.<< Irgendetwas an meinem drängendem Tonfall muss in ihm wohl den Action-Knopf gedrückt haben, denn er nickt einmal verständnisvoll, bevor er meine Hand packt und mich aus dem Ballsaal in den leeren Flur führt. Von da aus öffnet er probeweise einige Türen, bis er schließlich einen leeren Konferenzraum findet, in den wir kurzerhand hineinschlüpfen.

Zum Glück scheint sich keiner daran zu stören, dass wir einen kleinen Ausflug ins Niemandsland machen, aber um ehrlich zu sein, habe ich auch kaum auf unsere Umgebung geachtet. Mein einziges Ziel bestand darin meine Gedanken so gut wie möglich von mir fernzuhalten und weitere seltsame Verstrickungen zu vermeiden. Und dieses Ziel gilt es immer noch einzuhalten. Ich will nicht darüber nachdenken, was sein könnte oder mich mit irgendwelchen abwegigen Theorien fertig machen, in denen Macen von meinem aufgedrehten Hirn, sowieso immer als Bösewicht dargestellt wird. >>Also, was ist los? Warum konnten wir das nicht an Ort und Stelle besprechen? Ist etwas passiert? Hat Daimon dir etwas angetan? Oder -<<

Mit einer einzigen Handbewegung bringe ich ihn zum Schweigen. >>Es ist nichts dergleichen, okay? Ich bin hier, weil ich es weiß und endlich eine Antwort auf die vielen Warums in meinem Kopf haben möchte.<< Überrascht sieht er mich an, während er sich sichtlich mühsam ein Lächeln abringt. >>Und was soll das sein?<<, fragt er beinahe beiläufig, aber seine unruhigen Augen, die bereits in alle Richtungen zucken, um nach einem möglichen Fluchtplan zu suchen, strafen diese Lockerheit lügen. Ehrlich gesagt sieht alles an ihm gerade so aus, als würde sein Körper auf Alarmstufe rot geschaltet haben: das falsche Lächeln, das unruhige Herumzappeln. Das Einzige, was fehlt ist das Lockern seiner Krawatte – eine typische Geste bei Männern, die endgültig beweist, dass demjenigen der Angstschweiß den Rücken runterrennt. Es scheint so, als wäre Macen genauso wie ich ein Schwarzdenker, der bei jedem auffälligen Kommentar das Schlimmste vermutet und jeden Freund als potenzielle Gefahr betrachtet.

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt