Kapitel 25

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>>Achtung, Eindringlinge<<, schallt es nun zum dritten Mal durch einen unsichtbaren Lautsprecher und es braucht noch eine vierte Wiederholung, bis ich mich aus meiner Schockstarre lösen kann. Die Koslower greifen tatsächlich an, schwirrt es mir durch den Kopf. Es gibt keine andere Möglichkeit. Sie sind die Einzigen, die es wagen würden gegen das Schloss vorzugehen. Ein Gedanke, den ich vor dem Alarm noch für abwegig hielt, ist plötzlich bittere Realität.

Natürlich ging schon lange das Gerücht um, dass der verfeindete Staat schon einmal bis zum Schloss durchdringen konnte, aber ich hatte dieser Klatschgeschichte noch nie groß Beachtung geschenkt. Für mich gab es nur die Wehrtürme an der Grenze zu dem Nachbarland Koslow, die schon jahrelang von tapferen Soldaten bewacht werden und verhindern, dass der Feind ins Land gerät. Denn eines ist sicher, falls Koslow es schaffen sollte ihre Armee in Heavensent einzuschleusen, werden sie meine Heimat im Sturm erobern, wie sie es schon bei vielen Ländern zuvor getan haben. In dieser Fehde gibt es nämlich keinen tiefverwurzelten Hass oder ein Missverständnis, dass das alles hier ausgelöst hat. Nein, es geht den Koslowern nur um Macht und ein weiteres Gebiet, dass sie unter ihren Fahnen regieren können. Und wenn ich eines aus der Schule gelernt habe, ist es, dass der Feind sein Land nicht fair regiert.

Ich schüttele den letzten Schock endgültig ab und flüchte in die Geborgenheit von Disziplin, Effizienz und Stärke, die mir Dan in seinem Unterricht, neben dem Kampftraining beigebracht hat. Die aufsteigende Panik und die Gewissheit, dass die feindlichen Soldaten uns ohne zu zögern die Kehle aufschlitzen werden, wenn wir nicht klug vorgehen, versuche ich weitestgehend aus meinem Sichtfeld zu schieben. Denn heute steht nicht nur mein eigenes Leben auf dem Spiel, sondern auch das des Prinzens, der gerade leise vor sich hin flucht und dessen Gesichtsfarbe eindeutig blasser ist, als noch vor einigen Minuten.

Wir schaffen das, flüstere ich mir zu, bevor ich sämtliche Möglichkeiten und Probleme einmal durchgehe.

Okay, in dem Raum gibt es keine Fenster und die Tür, ist zwar lichtundurchlässig, kann aber nicht von innen verschlossen werden. Außer den Boxsäcken gibt es nichts, was schwer genug ist, um die Tür zu verbarrikadieren. Das bedeutet, ich muss Daimon in einen der Schutzbunker schaffen, die man von allen Schlafzimmern aus erreichen kann. Nach Miri und Dean befindet sich versteckt in sämtlichen Kleiderschränken eine Tür, die zu den Geheimgängen des Schlosses führt, die uns unter anderem zu dem königlichen Schutzbunker bringen kann. Uns steht also auf alle Fälle ein Kampf bevor, beende ich diese Schlussfolgerung und mein Herzschlag beschleunigt sich automatisch. Ich habe keine Ahnung wie viele Angreifer, da draußen auf uns warten, aber die Tatsache, dass jederzeit ein feindlicher Soldat in dieses Zimmer platzen könnte, sagt mir, dass wir hier genauso angreifbar sind wie auf dem Flur.

>>Wir müssen weg von hier<<, teile ich Daimon leise mit und deute auf die Tür, die er seit dem Beginn des Alarms nicht aus den Augen lässt. >>Spinnst du?<<, zischt dieser, doch ich ignoriere seinen Protest. Wir haben jetzt keine Zeit uns gegenseitig an die Gurgel zu gehen oder auch nur eine Diskussion zu beginnen. Mir wäre es auch lieber mich hier zu verbarrikadieren, aber wir können die Boxsäcke nicht von der Decke schneiden und sie vor der Tür stapeln ohne mit dem Lärm sämtliche Soldaten in der Nähe auf uns aufmerksam zu machen. Außerdem muss Daimons Familie wissen, dass es ihm gut geht, bevor sie mehrere ihrer eigenen Soldaten nach ihm suchen lassen.

Zielstrebig steuere ich auf die Waffenwand zu und überfliege das beachtliche Arsenal, während ich abwäge und die Tür unablässig im Auge behalte. Pfeil und Bogen sind für die Nahkämpfe, die uns eventuell erwarten mehr als ungeeignet, deshalb brauche ich mehrere Messer und etwas Schwertähnliches. Koordiniert greife ich nach mehreren Waffengürtel, die ich an meine Oberschenkel und um meine Hüfte schnalle. Zuallererst finden pro Bein je zwei schmale Dolche Platz, die mich durch ihre Größe beim Rennen nicht beeinträchtigen sollten. Danach stecke ich drei Messer mit schmucklosen Griffen in meinen Hüftgurt. Jetzt fehlt nur noch eine Hiebwaffe, um mögliche Schwertangriffe zu parieren, doch diese muss leicht genug sein, um während eines Kampfes die Kondition nicht zu verlieren.

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt