Kapitel 29

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Ich hatte Recht. Die Bettdecken riechen nach Desinfektionsmittel. Obwohl ich noch nie in meinem Leben ein richtiges Krankenhaus betreten habe, ist mir der Geruch nicht fremd. Schon oft musste Rocelyn, ein aufgeschürftes Knie oder einen feinen Messerschnitt desinfizieren und ich erinnere mich immer noch haargenau daran, wie ich anlässlich des beißenden Geruchs, jedes Mal die Nase verzogen habe.

>>Du hast richtiggelegen. Der Schnitt ist wirklich nicht allzu tief<<, reißt mich Macens Stimme aus meinen Kindheitserinnerungen, zurück in die Realität. Eine Wirklichkeit, in der ich vor kurzem noch ein paar Soldaten gegrillt habe und anschließend meiner Mutter das Elterndasein gekündigt habe. Kann der Tag noch seltsamer werden?, frage ich mich und beobachte den Prinzen dabei ,wie er ein orangenes Erste Hilfe Set von der Wand nimmt.

Ich für meinen Teil sitze auf einer der polarweißen Betten und lasse die Beine über den Boden pendeln, während meine Gedankenwelt einem Wollknäuel Konkurrenz macht. Die Taubheit scheint die Bilder des Kampfes und der Toten immer noch auszublenden. Trotzdem frage ich mich immer häufiger wie lange der Schutzwall die Schuldgefühle noch zurückhalten kann, bis mich das alles ein für alle Mal in den Abgrund reißt.

Dazu kommt meine Sorge, dass Daimon doch Verdacht schöpft und sich insgeheim schon einen Plan zu Recht legt, wie er mein Lügennetz am besten aufdecken kann. Vielleicht spricht da aber auch nur die Paranoia aus mir und er will einfach nur sicher gehen, dass ich ihn wegen dieses gemeinsamen Kampfes nicht für einen neu errungen Freund halte. Falls das der Fall sein sollte, werde ich ihn zweifelslos beruhigen können, denn obwohl Mr. Arrogant mir heute ein paar Mal wie ein edler Retter zur Seite stand, wiegt das nicht seine verworrene Persönlichkeit oder sein provokantes Verhalten mir gegenüber auf.

Und dann wären da natürlich auch noch der Streit mit Linda und das endgültige Ende unserer Beziehung. Falls man das Wort in Zusammenhang mit fehlender Zuneigung und einer Kommunikation ,bestehend aus Streitgesprächen überhaupt grammatikalisch richtig verwenden kann. Eines ist jeden falls sicher, ich fühle mich freier als jemals zuvor. Denn obwohl sich meine Gefühle in meinem inneren Chaos schlecht deuten lassen, kann ich trotzdem eine Art Erleichterung in mir fühlen. So als hätte ich durch diesen Schlussstrich ein Teil meines Seelenfriedens erlangt.

Doch ich habe mich nicht nur endlich von meiner Mutter befreit, sondern auch dem Rest meiner Familie endgültig den Mittelfinger gezeigt. Ich bin keine Montgomery mehr und wenn ich so darüber nachdenke, war ich das auch nie. Keiner in meinem engeren Familienkreis hat mich als Familienmitglied akzeptiert. Josh, mein Ex-Vater, hat mich ganze neunzehn Jahre ignoriert und für Trish und Linda bin ich nicht gut genug, um mir das Statussymbol einer Montgomery zu Eigen zu machen.

Auf dem Papier werde ich wohl immer als Fait Montgomery bekannt sein, doch im Herzen trage ich den Namen meiner richtigen Familie. San Rosa.

Rocelyn hat mich von Anfang an wie ihre eigene Tochter geliebt und ich bin mir sicher, dass sie mir in der stillen Namensänderung zustimmen würde. Ein tiefer Schmerz der Sehnsucht bohrt sich in mein Herz und nicht zum ersten Mal seit meiner Ankunft im Schloss, wünschte ich, sie würde wieder neben mir stehen und liebevoll eine verirrte Haarsträhne hinter mein Ohr streichen.

Ich sollte wirklich damit aufhören mir über alles und jeden den Kopf zu zerbrechen. Außer eine zum Tiefpunkt sinkende Laune, bringt mir mein Gedankenkarussell nun wirklich keine neuen Erkenntnisse, rüge ich mich und lasse meinen Blick endlich durch den Schutzbunker wandern. Zum Teil um mich abzulenken, aber auch weil ich mich an Orten unwohl fühle, die ich nicht aufs Äußerste inspiziert habe.

Schnell muss ich feststellen, dass meine Vorstellung eines Sicherheitsraums genauso von der Realität abweicht, wie meine erträumte Version eines Geheimgangs. Altes Gemäuer sucht man hier nämlich genauso vergeblich, wie Staubablagerungen, stattdessen strahlen einem weiße, saubere Wände entgegen, die anscheinend noch keinen einzigen Dreckpartikel gesehen haben. Außerdem besteht eine große Abteilung des Raumes aus einer Sofaecke und unzähligen Sesseln, die natürlich alle farblich aufeinander abgestimmt sind, so dass sich elfenbeinfarbene Bezüge mit roséfarbenen Kissen vermischen. Alles in allem wirkt es so, als wolle man die gesamte Oberschicht des Landes auf einen Gesellschaftsabend einladen, denn es ist nicht nur genug Platz, auf kleinen Beistelltischen türmen sich auch alle möglichen Zeitschriften und Magazine, was der Szene etwas skurriles verleiht.

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt