Kapitel 35

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Zunächst herrscht vollkommene Stille im Saal. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, in dem das Leben mit einem einzigen Knopfdruck in ein Standbild verwandelt wird und alle Anwesenden auf einmal die Luft anhalten. Und zum allerersten Mal in diesem Casting bin ich eine von ihnen. Für kurze Zeit stockt mir nämlich nicht nur der Atem. Auch meine Gedanken legen eine kurze Pause ein, bevor der Moment der Stille vergeht und alles auf einmal über mir zusammenbricht.

Der laute Applaus kommt so plötzlich, dass ich mich fragen muss, ob ich den angemessenen, peinlichen Anfang durch eine Stummschaltung in meinem Ohr verpasst habe. Doch jetzt da er da ist, erfüllt der Ton vollständig meine Hörschnecke und erlässt mir meine Gedankenflut, die hinter einem riesigen Staudamm auf mich wartet, noch für ein paar Minuten. Wie paralysiert sehe ich dabei zu, wie die Herrscher Hand in Hand die Treppen zur Bühne hinaufgleiten und dabei eine derartige Macht ausstrahlen, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken rieselt.

Erst jetzt bemerke ich, dass auch meine Hände in einem leisen Rhythmus aufeinander prallen, doch im Gegensatz zu dem Applaus meiner Mitstreiterinnen klingt, meine Geräuschabfolge überhaupt nicht enthusiastisch. Im Gegenteil, jetzt da sich der Dezibelpegel langsam senkt, beginnt in meinem Kopf ein regelrechter Amoklauf der Gedanken. Und keiner von ihnen kann auch nur ansatzweise, als positiv beschrieben werden.

Sie werden mich rauswerfen. Es ist vorbei, denke ich und meine Lippen verziehen sich zu einem dunklen Lächeln, als ich erkenne, dass ich das Spiel der beiden niemals gewinnen konnte. Sie haben mich an der Nase herumgeführt! Der gesamte Plan, den ich ihnen angedichtet habe, mich zu provozieren, damit ich etwas Respektloses sage oder gar vollkommen ausraste. Das war für sie einfach nur ein kleiner Bonus, um ihre Entscheidung für das Volk verständlicher zu machen. Wenn sie es schafften schön, wenn nicht, auch egal. Immerhin sind die zwei, König und Königin von ganz Heavensent. Sie müssen sich vor niemandem rechtfertigen.

>>Und da sind Sie auch schon. Natürlich gibt es...<<, lenkt die Moderatorin die Aufmerksamkeit wieder auf sich, wird aber sogleich von der kraftvollen Stimme des Königs unterbrochen. >>Danke nicht nötig. Ich denke, wir haben diese wunderbaren Damen schon viel zu lange warten lassen. Sie haben es verdient, so schnell wie möglich, über unsere Wahl aufgeklärt zu werden, bevor die Entscheidung wieder in ihrer gewöhnlichen Form von statten geht. Meinen Sie nicht auch?<<

Zunächst scheint es so, als würde die Reporterin dem König wirklich mit zu Schlitzen geformten Augen, die gerunzelte Stirn bieten wollen, doch ebenso schnell wie ihr Ärger gekommen ist, verfliegt er auch wieder. Die Falten über ihren Augenbrauen glätten sich und sie gibt mit einem kurzen Nicken ihr Einverständnis. Ich kann nicht anders, als diese Frau, trotz meiner miserablen Lage, kurz zu bewundern. Ihre Selbstbeherrschung ist unglaublich! Ich an ihrer Stelle hätte dem König schon längst einen zynischen Kommentar an den Kopf geworfen oder mir mit ihm eine hitzige Diskussion geleistet, doch sie scheint irgendwie über dieser ganzen Situation zu stehen. So als wäre es gar nicht der Rede wert, dass dieser Mann sie gerade vor dem gesamten Publikum wie Dreck behandelt hat.

Unser hochwohlgeborener König schert sich ja nicht einmal um ihre Reaktion, stattdessen blickt er geradeaus und lässt seine Augen über jede einzelne Dame gleiten, als wäre seine Entscheidung nicht schon längst gefallen. Gerade kommt sein Blick bei mir an und obwohl es physikalisch höchst unwahrscheinlich ist, bin ich mir sicher, sein hämisches Funkeln bis hier hin sehen zu können. Vielleicht spielt mir meine Fantasie aber auch einfach einen Streich. Doch egal wie man es dreht und wendet: Er freut sich immer diebisch darüber, gleich sein Urteil verkünden zu können.

Wobei, eventuell überlässt er das auch seiner liebreizenden Frau, die ich nach dem Interview auch gerne, als seinen ,,Schatten" bezeichne. Aber jetzt mal ehrlich, Königin Clarissa, hat in dieser verkorksten Gesellschaft doch keine andere Aufgabe, als neben ihm zu stehen, hübsch auszusehen und ihm bei jeder Gelegenheit den Rücken zu stärken. Doch das bedeutet nicht, dass sie einfach nur eine harmlose Mitläuferin ist, wie die Mädchen mit denen sich meine Schwester Trish so gerne umgibt. Nein, sie ist trotzdem hinterhältig und machtgierig bis ins Blut und die Betrunkenen im ,,Fight and Art Club" hatten alles Recht der Welt, sie als Miststück zu bezeichnen. Wobei ich mir ziemlich sicher bin, dass keiner von ihnen, eine persönliche Begegnung mit der Königin, in ihrem ,,Dinge-die-ich-am-liebsten-vergessen-würde-Register" vorzeigen kann.

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt