Kapitel 74

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>>Können wir kurz draußen unter vier Augen miteinander sprechen?<<, frage ich an Rocelyn gewandt und werfe ihr einen Blick zu, der hoffentlich einen überzeugenden Eindruck macht. Denn um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht sicher, ob mein jetziges Ich noch eine weitere Eröffnung ertragen kann. Aber was soll ich sagen? Ich liebe es anscheinend mich selbst zu quälen oder zumindest ist das meine Platz-eins-Theorie für diese Bitte. Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, dass ich einfach meine Neugierde nicht meine Kehle runterdrücken kann und ein paar Antworten, in dem ganzen Fragenwirrwarr, wirklich ganz nett wären.

>>Was? Jetzt?<<, kommt Dylan ihr mit seiner Reaktion zuvor, >>Du hast uns gerade eröffnet, dass einer der Prinzen mit den Koslowern zusammenarbeitet. Die, um sich nochmal ganz klar auszudrücken, fast das gesamte Schloss abgefackelt hätten. Warum sollte einer der Söhne des Königs so etwas tun? Und vor allem, welcher der Drei ist es? Bitte, du kannst uns jetzt doch nicht nach diesem winzigen Informationsbrocken einfach so zurücklassen!<< Offensichtlich völlig verblüfft wirft Smaragdglupscher wild seine Hände durch die Luft, wobei es echt einem großen Wunder gleichkommt, dass keine davon in Raves Gesicht landet.

Diese ist übrigens außerordentlich still und scheint die Mitteilung zu verarbeiten, in dem sie wie paralysiert auf einen Punkt über mir starrt und die Augen zu Schlitzen verengt. Ohne ihn zu beachten wende ich mich nun voll und ganz Rocelyn zu und sehe ihr damit, seit ihrem Auftauchen an der Tür, das erste Mal wieder in die Augen. >>Bitte<<, wiederhole ich und endlich scheint ein Ruck durch sie zu fahren, denn sie nickt ein paar Mal und legt dabei ihre Hand auf meinen säbelfreien Arm. >>Natürlich, Schätzchen<<, erwidert sie und macht sich daran aufzustehen und sich durch die große Öffnung im Van zu schieben.

Als sie draußen steht, wende ich mich doch noch einmal kurz den Geschwistern zu, die mich nun beide mit großen, durchdringenden Augen anstarren und scheinbar auf weitere Informationen zu warten scheinen. >>Okay, passt auf Leute. Ich weiß ihr habt Fragen und ich kann euch nur sagen, dass ich auch noch mindestens hundert im petto habe, aber es ist spät und wenn unser Plan funktionieren soll, darf niemand bemerken, dass ich das Schloss verlassen habe. Wir wollen schließlich nicht, dass irgendjemand beginnt misstrauisch zu werden und ich aus dem Casting geworfen werde, oder? Denn das wäre es dann mit euren Exklusivinformationen und Chance auf eine gravierende Veränderung<<

Eine Kunstpause einlegend schaue ich von einem zum anderen, während sich meine Gedärme bereits bei dem Gedanken verknoten zum Palast zurückzukehren. Vielleicht war mein Plan während der abrupten Flucht , niemals wieder einen Schritt in diese Richtung zu machen, doch das waren nur die irrationalen Gedanken einer Flüchtigen, dessen Urteilvermögen von Panik und Schock getrübt wurden. Jetzt sieht die ganze Sache schon wieder ein wenig anders aus, auch wenn die Angst noch wie ein zweiter Herzschlag durch meinen ganzen Körper pulsiert. Aber ich habe durch dieses Gespräch und die Umlenkung meiner Aufmerksamkeit auf andere Themen wieder meine Fassung zurückerlangt und damit genug Abstand zum Geschehen erlangt, um die einzig logische Entscheidung zu treffen: Ich muss wieder zurück.

Und dabei ist es egal wie viel Mühe sich der Kloß in meinem Hals gibt mir bei diesem Gedanken jedes Mal die Luft abzudrücken oder dass mir ein großer Teil meines Selbst sagt, dass das eine verdammt schlechte Idee ist. Ich muss wieder die Kontrolle über die Situation erlangen und das kann ich nur, wenn ich vor Ort bin. Vielleicht sind meine Mühen ja vergeblich und Daimon hat mich schon an eine wütende Meute oder gar die Koslower verraten, aber auch dann ist es wichtig, dass ich darüber Bescheid weiß. Außerdem ist seit meiner Flucht nur eine Stunde vergangen, da kann man noch hoffen, das Schlimmste abzuwenden.

>>Nein, wir müssen erst überprüfen, ob es sicher ist ihm zu vertrauen. Woher willst du wissen, dass er den Koslowern hilft und dich nicht nur in eine Falle lockt?<< Der autoritäre Ton, den Rave in diesem Moment an den Tag legt, sollte mich eigentlich davon überzeugen, ihr Rede und Antwort zu stehen, doch in diesem Moment lässt es mich kalt. Ich bin so müde, dass mir gleich die Augen zu fallen könnten und die Anspannung, die seit einer Stunde in meinem Körper herrscht, fordert gerade seinen Tribut und lässt mich fühlen, als hätte mich über Nacht eine Grippe erwischt.

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt