Kapitel 78

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24 Stunden – Ich hätte nicht gedacht, dass sich ein Tag so lange anfühlen kann, doch seitdem Rave mir versprochen hat, dass wir uns morgen um dieselbe Zeit treffen, um zu ihrem geheimen Unterschlupf zu fahren, ist mein Körper voll von Neugierde und einer elektrisierenden Aufregung. Wie viele Mitglieder hat die Organisation tatsächlich? Welche Mittel stehen ihnen zur Verfügung? Haben sie sich für oder gegen meinen Vorschlag entschieden? Diese und noch mehr Fragen toben in meinem Kopf herum und haben es sich zur Aufgabe gemacht mich nicht loszulassen, bis ich wieder in diesem verdammten Van sitze und vor ihrer persönlichen Bathöhle haltmache.

Hinzukommt, dass ich mich nicht mal mit der Weiterplanung meiner verrückten, waghalsigen Idee ablenken kann, da mir die wenigen Informationen, die ich besitze, gerade mal Spielraum für ein paar grundlegende Strategien geben. Des Weiteren habe ich Daimon als neustes Sperrthema mit der obersten Priorität zur Nichtbeachtung gebrandmarkt. Das ewige Gedankenkarussell um einen Kerl zeigt mir nämlich, dass ich vielleicht doch eines dieser Mädchen bin, die wegen ein paar tanzender Schmetterlinge zu einem hirnamputierten Zombie mutiert, der nur noch zwei Gefühlsgebiete aufweisen kann. Zum einen das grinsende Hündchen auf der flauschigen Wolke Numero sieben, das dringend einen Drogentest machen sollte und dann die Kehrseite des durchgedreht-glücklichen: der grüblerische Emo mit einem Hang zum Kissenzerquetschen. Und außerdem habe ich schon genug Gehirnzellen an ihn verschwendet und das hat mir nichts als Fragezeichen und Im-Kreis-Gedrehe eingebracht.

Aber jetzt mögen manche sicherlich denken: Fait, es gibt doch so viele andere Dinge, über die man sich den Kopf zerbrechen kann. Da wäre zum einen die ewige Frage nach der ultimativen Lieblingseissorte oder die ungeklärten Fakten der Welt, zu der auch das ,,Zuerst das Huhn oder das Ei?-Ministerium zählt. Und ja, da muss ich euch zustimmen. Es gibt eintausend Themen, mit denen ich meine Zeit verschwenden könnte, aber mein blödes Hirn weigert sich an so etwas länger als ein paar Sekunden zu denken, weswegen das wohl kaum als Beschäftigung durchgehen kann. Und auch alles andere was mir an diesem Tag unter die Nase tritt, wirkt im Vergleich zum Organisieren eines politischen Wandels beinahe mickrig und wird von meinem Verstand deshalb unter die Kategorie Uninteressant mit einer Prise von ,,Vielleicht ein anderes Mal" sortiert.

Tja, und somit kommen wir zum aktuellen Zeitpunkt, in dem ich innerlich so breit grinse, dass meine Wangen bei einer körperlichen Umsetzung wahrscheinlich platzen würden. Denn – Trommelwirbel – die vierundzwanzig Stunden sind seit genau zwanzig Minuten um, was bedeutet, dass ich mal wieder auf meinem Stammplatz im schwarzen Van sitze und mich von Rave böse anstarren lasse. Ach, hatte ich erwähnt, dass sie die Einladung zu ihrer Bathöhle nur unter ziemlich offensichtlichen Sturheitsschmerzen herausgewürgte und diesem Verb dabei alle Ehre machte, weil sie dabei so aussah als würde sie gerade einen Motoröllatte mit einem halben Liter Teerverfeinerung trinken? Nein? Dann serviere ich euch das Kopfkino eben erst jetzt auf dem Silbertablett. Ihre Reaktion ist wahrscheinlich sowieso keine große Überraschung für euch.

Und ist euch eigentlich aufgefallen, dass ich wieder damit angefangen habe so zu tun, als würden mir und meinen Gedanken irgendwelche unsichtbaren Zuschauer lauschen? Denn mir ist es das im Zusammenhang mit den Wörtern ,,durch fehlende Geduld verrückt geworden" und ,,auf Basis von zu wenig Gedanken entstandener Rückfall" durchaus in den Sinn gekommen. Immerhin habe ich so eine Beschäftigung für die Fahrt ins Nirgendwo gefunden, denn mich zum tausensten Mal zu fragen, wo der geheime Unterschlupf genau liegt, bringt mich schließlich auch nicht weiter.

In diesem Moment spüre ich plötzlich einen Anflug von Wärme, der mich mit geballter Macht von rechts trifft, was mein Herz automatisch dazu veranlasst einen Schlag auszusetzen. Daimon, schießt es mir durch den Kopf, obwohl mein erster Gedanke sonst immer Serienkiller ist. Doch irgendetwas an der Ausstrahlung seines Körpers, der meinem schon wieder viel zu nah ist und der vertrauten Art wie sein Atem über mein Ohr streicht, macht seine Anwesenheit unverwechselbar. >>Wenn du nicht bald damit aufhörst, bohrst du dir mit deinen Zähnen noch ein Loch in die Lippe, bevor wir überhaupt angekommen sind<<, raunt er mir zu und ich kann sein breites Grinsen ohne Schwierigkeiten seinem Tonfall entnehmen. Diese Mischung aus neckend, leicht provozierend und einem rauen Unterton höre ich schließlich nicht zum ersten Mal, doch heute ist einer der wenigen Momente, in denen seine Stimme in mir den Wunsch auslöst unruhig auf dem Sitz herumzurutschen.

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt