Kapitel 21

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>>Ich kann es kaum erwarten, dass du meine Mutter und meine kleine Schwester kennenlernst<<, quietscht Cassie neben mir. Mühevoll ringe ich mir ein Lächeln ab, das sich so anfühlt, als könnte es nur von Tackernadeln in Position gehalten werden, dabei freue ich mich wirklich auf die Begegnung mit Ms. Hunter und der kleinen Blair. Cassie hat mir in den letzten Tagen viel von ihnen erzählt und es klingt wirklich so als würde ich die beiden sofort ins Herz schließen, dennoch ist die Familie meiner Freundin leider nicht die Einzige, die heute anreist. Wiedermal unterdrücke ich ein Seufzen. Warum lasse ich mich von dem Gedanken an meine Eltern nur so beeinflussen?

Normalerweise liebe ich das Winterfest. Ich habe es immer zusammen mit Rocelyn und den anderen Angestellten gefeiert, die nicht das Glück hatten ,sich an diesem Tag frei nehmen zu dürfen. Die Stimmung war jedes Jahr aufs Neue ausgelassen und die Küche von Lachen erfüllt. Es ist fast so als könnte ich immer noch den Duft nach Zimt wahrnehmen, der in diesen Stunden immer in der Luft hing. Für einen Augenblick ist mein Lächeln echt und ich schwebe in den Erinnerungen an diese Glücksmomente, dann lande ich wieder auf dem Boden der Tatsachen.

Dieses Jahr wird es keine kuschelige Runde in der kleinen Küche meines Zuhauses geben. Keine Umarmungen von Rocelyn, die mir einen guten Start in den Winter wünscht. Nur ein gigantisches Schloss, fremde Gäste, ein vornehmes Bankett, ein anschließender Ball und oben drauf noch die Anwesenheit meiner Eltern. Kein Wunder, dass meine Feiertagslaune dieses Jahr zu wünschen übrig lässt.

Ein Feiertag kann von nichts und niemanden ruiniert werden, lediglich durch seine eigenen negativen Emotionen zerstört, schallt mir plötzlich Rocelyns belehrende Stimme durch den Kopf. Zuerst brauche ich etwas, um diesen Rat an eine Erinnerung zu knüpfen, doch schließlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Es war kurz nach meinem Umzug in das Erdgeschoss und der beinahe völligen Abkapselung von meinen Eltern. Mein damaliges Ich war der naiven Überzeugung, dass wir wenigstens diesen besonderen Tag zusammen verbringen würden. Natürlich lag ich damit komplett daneben. Eine Stunde lang saß ich weinend in meinem Zimmer, bis schließlich Rocelyn mit mehlbedeckter Schürze und mit Teig besudelten Händen den Raum betrat und mich tröstete. Dann sagte sie genau diesen Satz und versprach mir, dass wir den besten Feiertag aller Zeiten erleben würden. Sie behielt Recht.

Alle Angestellten kümmerten sich rührend um mich - erzählten Witze oder spielten mit mir Spiele. Am Ende dachte ich überhaupt nicht mehr daran, dass oben meine Eltern ohne mich feierten. Denn plötzlich war ich ganz unverhofft auf eine echte Familie gestoßen. Leute, die mich liebten, mich unterstützten, sich nach meinem Wohlbefinden erkundigten – all das was eine richtige Familie ebenso ausmacht.

>>Sie sind da. Sie sind da<<, meint Cassie aufgeregt und reißt mich aus meinen Gedanken. Ihre auf und ab wippenden Locken bringen mich sofort zum Lachen und zum ersten Mal seit mich die Nachricht des heutigen Ablaufs erreicht hat, denke ich, dass heute vielleicht doch nicht so schlimm wird wie ich es tief in meinem Inneren vermute. Natürlich sind die Umstände für diesen Feiertag nicht die Besten, trotzdem hat Rocelyn Recht. Ich sollte aufhören den Miesepeter zu spielen und stattdessen endlich in Winterstimmung kommen. Meine Eltern wollten die letzten Jahre kein Teil meines Feiertages sein, dann wird es heute wohl kaum anders sein. Ignorieren und Spaß haben – das ist jetzt mein Tagesmotto.

>>Mama<<, ruft Cassie aus, bevor sie einer freundlich aussehenden Frau Ende dreißig in die Arme fällt, die gerade aus einer der vielen schwarzen Limousinen steigt. Genau wie die anderen Erwählten warten ich und meine Freundin schon eine geraume Zeit vor dem Schloss auf die herankutschierten Gäste. Jetzt mal ehrlich, manchmal frage ich mich, warum die Oberschicht nicht auch noch ihre Wagen bunt lackieren, um auch den letzten Volltrottel darauf hin zu weisen, wie viel Geld sie besitzen. Denn hier stehe ich nun in mitten dem Familientrubel und bemerke, dass die Mütter der Erwählten aussehen wie die ältere Version ihres Paradiesvogelkindes. Alle haben sich für den Besuch extra schick gemacht und so brennen meine Augen schon beinahe von den vielen grellen Farben.

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt