Kapitel 5

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>>Wer ist das denn?<< >>Was sucht die denn hier?<< >>Seht euch ihre Haare an. Was für ein seltsames Mädchen<<, die Stimmen kamen von überall her und bohrten sich wie Nadeln in meinen dröhnenden Kopf. Ich saß an einer riesigen Tafel, die mit allen möglichen Leckereien bestückt war. Auch auf meinem Teller dampfte etwas und versprühte einen Geruch nach Kräutern und Fleisch, doch ich konnte mich nicht auf das Essen stürzen, wie ich es sonst getan hätte. Mich begleitete eine seltsame Taubheit und ein unkontrollierbarer Druck baute sich in meinem Kopf auf. Dazu hörte ich die Stimmen tausender Mädchen, die ihren Tratsch über mich austauschten. Ihre Worte störten mich nicht im Geringsten, sollten sie sich doch alle das Maul über mich zerreißen. Trotzdem bohrten sich ihre Stimmen, wie Pfeile in meinen Kopf. Ich schrie, flehte um Ruhe, doch die Lautstärke schwoll unerbittlich an. Schließlich platzte mir wortwörtlich der Kragen und die Tischdecke ging gleißend hell in Flammen auf. Nun hallten markerschütternde Schreie von den Wänden wider. Durch das riesige Meer aus Feuer schossen todbringende Eiszapfen aus der Tischplatte und spießten den Leib eines Mädchens auf. Der andere Rest der Mädchen hatte genauso wenig Glück, da sie entweder einem weiteren Zapfen zum Opfer fielen oder von meinem Feuer in Aschehaufen verwandelt wurden. Meine Lippen formten einen tonlosen Schrei. Verzweifelt versuchte ich die innere Taubheit abzuschütteln, doch ich konnte nur weiter mit tränenden Augen der Zerstörung zusehen...


>>Miss, Miss. Wachen sie auf!<<, die Stimme des Fahrers reißt mich aus meinem Albtraum. Erschrocken öffne ich die Augen und sauge die Luft in meine Lungen. >>Miss?<<, meldet sich der Mann hinter dem Steuer wieder zu Wort. >>Ja<<, bringe ich gepresst hervor und blinzle die letzten Reste des Horrorszenarios weg. >>Wir sind da<<, meint er monoton und steigt in einer flüssigen Bewegung aus dem Auto. Mein Mund klappt, angesichts der Kühle des Fahrers, sprachlos auf. Man sollte doch meinen, dass der Mann in seinem Auto nicht jeden Tag panisch schreiende Mädchen herumkutschiert. Aber wenn ich mir einen Moment Zeit nehme, wie jetzt gerade, fällt mir auf, dass mein Hals schmerzfrei, ja nicht einmal trocken ist und ich auch nicht schweißüberströmt bin. Also habe ich wahrscheinlich die ganze Fahrt über keinen Ton gesagt und mit friedlichem Blick geschlummert.

Manchmal verwundert mich sogar meine eigene Seltsamkeit.

Kopfschüttelnd richte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das Wesentliche, also die Ankunft im Schloss und mein Vorhaben hier so wenig wie möglich aufzufallen. Ein Blick nach draußen, verrät mir aber schon, dass ich in diesem Vorhaben der Länge nach versagen werde. Mal angefangen mit meiner Kleidungswahl. Dem Aussehen der anderen Erwählten, die gerade aus schwarzen Limousinen steigen, nach zu urteilen ist das Thema nämlich körperbetont, bunt und extravagant und nicht Jeans, schwarz und Sneakers. Vielleicht hätte ich doch mein Lieblingssommerkleid anziehen sollen, schießt es mir durch den Kopf. Genau, da das schlichte hellblaue Ding viel weniger auffällt, mischt sich eine andere Stimme in meinem Kopf ein. Tja, wo ich Recht habe, habe ich Recht.

Nie hätte ich gedacht, dass Schwanzflossen-Trish hier weniger auffallen könnte als ich. Es ist ein glattes Wunder, dass mich meine Mutter so überhaupt hat fahren lassen. Der einzige logische Grund dafür, dass sie meine Jeans hat durchgehen lassen, ist dass sie von unserer morgendlichen Begegnung noch eingeschüchtert ist. Tja, da es nun sowie so zu spät ist etwas an meiner Kleidung zu ändern und ich mich nicht mal als modrige Leiche in ein kanarienvogelartiges Kleid stecken lassen würde, kann ich ja auch einfach aussteigen. Als ich mich schließlich wirklich dazu durchringe die Wagentür aufzustoßen und meinen Hintern aus der Limousine bewege, begrüßen mich die warmen Strahlen der Sonne.

Gekonnt ignoriere ich die Blicke und die Kamera, die seit dem Moment meines Ausstiegs auf mich gerichtet ist und recke mein Kinn in Richtung Sonne. Natürlich wird alles für die Menschen zuhause aufgenommen und live ausgestrahlt, denke ich. Was hatte ich auch anderes erwartet? Trotzdem beunruhigt mich das schwarze Equipment. Ab jetzt gibt es kein Zurück mehr.

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt