Kapitel 66

3.9K 219 824
                                    

Bevor ich auch nur einen weiteren Gedanken fassen kann oder sogar auf die dumme Idee komme mir meine Haarbürste von der Frisierkommode zu schnappen, um mich mit meinen Werfkünsten zu verteidigen, wird die Kleiderschranktür auch schon aufgestoßen und mir bleibt nichts anderes übrig, als einfach in Verteidigungsposition zu gehen. In Erwartung mir gleich einen unausgewogenen Kampf mit einem Koslower zu leisten, spannen sich bei mir sämtliche Muskeln an und mein Herz legt einen Stolpermarathon hin.

Doch schlussendlich scheint das alles umsonst gewesen zu sein, da mir kein bewaffneter Feind gegenüber steht sondern Daimon. Ungläubig blinzele ich ein paar Mal, um mich zu vergewissern, dass da nicht gerade ein arroganter Prinz aus meinem Schrank gesprungen ist, doch das Bild bleibt dasselbe. Dunkelbraune Haare, stürmische Augen, ein überhebliches Grinsen... Und eine Lederjacke? Was zum Teufel? Die Verwirrung schlingt sich wie eine Anakonda um meinen Verstand und legt ihn somit lahm, was wohl die Begründung dafür ist, warum es mir so schwerfällt dieses plötzliche Auftauchen zu verarbeiten

>>Du weißt schon, dass mein Zimmer auch eine Tür hat, oder? Und damit meine ich eine Richtige, die allein dafür erfunden wurde, dass man diesen Raum betreten und verlassen kann und nicht die, die du gewählt hast. Diese ist dafür da, dass man das Chaos im Schrank nicht sieht, aber wie ich sehe hast du sie ja erfolgreich für gruselige Auftritte umfunktioniert<< , ist das erste, das aus mir herausplatzt, als sich mein Mund entscheidet endlich seinen Dienst wiederaufzunehmen. Tja, und wie wir sehen ist das Erstbeste, was mein Hirn zu bieten hat, eine Aneinanderreihung von Fakten, die reichlich mit meinem Hat-das-Kleinkindstadium-wieder-bei-dir-eingesetzt-Unterton getränkt ist.

>>Und was machst du hier überhaupt? Ich dachte, wir treffen uns vor dem Kinosaal und bringen das Date dann schnellstmöglich hinter uns<<, meine ich, was mir innerlich ein kleines Halleluja entlockt. Denn, ach sieh mal einer an, da ist ja doch die normale Reaktion auf einen Schrankbesuch. Soweit es dafür irgendeine Norm gibt, was ich schon fast vermuten muss, da ich Ms. Swans Wälzer über das richtige Benehmen gesehen habe. Und wenn sie nicht eigentlich plant damit gesellschaftliche Querschläger mit einem fetten Rumps aus dem Weg zu räumen, ist es wohl am wahrscheinlichsten, dass das Buch randvoll mit langweiligen Kniggeregeln für jede Lebenslage ist. Also, warum nicht auch für das Miterleben eines plötzlichen Schrankbesuchs? Wer weiß, vielleicht hat Daimon den Absatz für den Auftauchenden ja gerade erst gelesen und sich dann entschieden das Gegenteil zu machen, um seinem Ruf als Idioten gerecht zu werden.

>>Tja, kleine Planänderung, obwohl das wohl das falsche Wort für eine Idee ist, die nie richtig Thema für mich war. Der angesetzte Besuch des Heimkinos war allein zur Ablenkung des Kamerateams gedacht, damit wir beide in Ruhe etwas Anderes unternehmen können<<, teilt mir Mister Unausstehlich über seine Schulter hinweg mit, da er gerade dabei ist meinen Kleiderschrank zu durchwühlen. Einen Moment sehe ich seinen Rücken einfach nur fassungslos an, bevor ich auf ihn zu stapfe und ihm das Kleidungsstück, das er gerade in der Hand hält, aus seinen Klauen reiße.

Mein Gemütszustand kommt den Hundertachtzig gerade gefährlich nahe, obwohl meine Wut einen Moment zuvor noch im Daimonnormal-Bereich lag. Doch das passiert eben, wenn die Verwirrung abflaut und Platz für die Gefühle lässt, die darunter brodeln. Und das ist in diesem Fall ein gleißender Vulkan, der sich nicht nur darüber aufregt, dass er ohne großartige Ankündigung durch meinen Schrank hindurch in mein Zimmer einbricht, sondern auch darüber, mit welcher Selbstverständlichkeit ihm das Ganze von der Hand geht.

Hinzu kommt, dass er in meinem Schrank herumwühlt als wäre er sein Eigentum und dabei nicht mal eine Sekunde daran denkt, dass ich vielleicht ein Problem damit haben könnte, wenn Leute in meinen Privatsachen herumfingern. Ach ja, und was war das mit seiner Planänderung, die keine ist, weil er alles von Anfang an wusste und es nicht für nötig hielt mich einzuweihen?

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt