Kapitel 87

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Mein Herz entscheidet sich spontan einen Schlag auszusetzen, als sich eine Gestalt elegant durch einen Spalt in der Tür quetscht und uns somit nicht einmal Raum für eine Flucht geben würde, wenn wir direkt am Ausgang Stellung bezogen hätten. Zum Glück sieht mein Plan das auch gar nicht vor, denn obwohl mein Geduldsfaden bekanntlich nicht allzu stabil ist, weiß ich trotzdem, dass wir es hier nur heil rausschaffen können, wenn ich bedacht vorgehe.

Diese Strategie sieht leider auch vor, die Person, die sich gerade mit einem hämischen Grinsen zu uns umdreht ,nicht mit sofortiger Wirkung ,mit einem fallenden Eisblock Schachmatt zu setzen. Dabei zupft dieses Bedürfnis nach Daimons Erzählung mit einer fast unmenschlichen Kraft an meinen Nervenenden und allein von dem befriedigten Funkeln in den Augen des Königs flammt eine solche Wut in mir auf, dass sich beinahe ein kleines Inferno in meiner nach oben ausgerichteten Handfläche bildet.

Mit zusammengebissenen Zähnen ringe ich um Kontrolle, denn das letzte, was ich jetzt gebrauchen kann ist, dass der wohl kaltblütigste Mann, dem ich je Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, von meinen besonderen Begabungen erfährt und unerbittlich Jagd auf mich macht. Wenn er nicht bereits von diesem Geheimnis erfahren hat, flüstert eine kleine Stimme irgendwo in den Tiefen meines Verstandes und sorgt dafür, dass sich zu der leisen knisternden Wut noch eine ganz andere Gefühlsregung mischt: Angst.

Denn so sehr ich es auch hasse das zugeben zu müssen, aber auch mich lässt die mächtige Aura, die ihn zu umhüllen scheint nicht vollkommen kalt und das obwohl mir vor Autoritätspersonen eigentlich noch nie die Knie geschlottert haben. Aber Henrys Sinclairs Ausstrahlung hat diesen besonderen Touch des Wahnsinns, den er uns in diesem Raum unbeschönigt offenbart und der sofort jedem klar macht, dass er genug psychopathische Züge aufweist, um seine Macht auf die schlimmsten Arten zu missbrauchen.

Vielleicht springt mir das genau jetzt ins Auge, weil er vor uns beiden aufragt wie ein Todesengel, der bereit ist seine Waffe zu schwingen und er ,ohne die Anwesenheit anderer, seine falsche Fassade bis auf die Grundmauern sinken lässt. Möglicherweise fühle ich mich aber so kurz nach meinem Gespräch mit Daimon einfach verletzlicher als bei meinen vorherigen Begegnungen mit dem König. Doch egal was es auch sein mag, ich würde eher in ein offenes Messer laufen, als ihm irgendetwas von meinen aktuellen Gefühlen Preis zu geben.

Also schaue ich ihm mit gerecktem Kinn und dem besten Pokerface entgegen, das ich aufbringen kann, während er Schritt für Schritt näher kommt. Uns auf die Folter spannt. Darauf wartet, dass wir versuchen die Flucht zu ergreifen, wie jede gute Beute es in der Gesellschaft eines hungrigen Löwen tun würde. Doch auch für diese Masche habe ich äußerlich nicht mehr übrig als ein spöttisches Hochziehen der Mundwinkel, auch wenn in meinem Inneren bereits ein Amoklauf aus Planfetzen und Theorien wütet.

Weiß er über meine Kräfte Bescheid und möchte ihren Ursprung aus mir herausprügeln, indem er seinen eigenen Sohn foltert? Oder ist es Daimon, dem er Informationen entlocken will und ich diejenige, die als Druckmittel herhalten soll?, frage ich mich, während ich fast gleichzeitig die wichtigsten Regeln meines Plans durchgehe. Erstens: Setze auf keinen Fall deine Kräfte ein– es sei denn es besteht keine Gefahr, dass jemand von meinen besonderen Fähigkeiten erfährt und dabei überlebt. Zweitens: Erst zuhören, dann handeln. Denn ohne die Begleitung einer unserer Entführer aus dieser Tür zu treten ist nur der erste Schritt unserer Flucht. Zum einen wissen wir nämlich immer noch nicht, ob wir uns im Schloss oder einer der auswärtigen Kerkerräume befinden und zum anderen habe ich keine Ahnung, welche Sicherheitsvorkehrungen uns hinter dem Stahl erwarten. Einfach ohne jegliche Informationen loszustürzen wäre also nicht nur dumm, sondern auch lebensgefährlich. Und drittens, die ersten beiden Vorschriften mit sofortiger Wirkung dorthin schießen, wo der Pfeffer wächst, wenn irgendjemand Daimon in irgendeiner Weise körperlich schadet.

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt