Kapitel 16

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Im Speisesaal herrscht reges Treiben. Überall erzählen die Erwählten aufgeregt von ihren Kleidern oder diskutieren über die richtigen Laufstegposen. Besonders gefragt ist dabei natürlich Trish, die mit ihrem Modeldasein ein gefundenes Fressen für die Horde aufgewühlter Damen ist. Ich verdrehe die Augen. Als ob meine Schwester irgendjemand wertvolle Tipps liefern würde. Der Laufsteg ist ihr Terrain. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie diesen Vorteil heute schamlos ausnutzen möchte. Nächstenliebe zu leisten steht daher ganz sicher nicht auf ihrer To-Do-Liste.

Ihre Haltung, die ich zuhause so oft wie möglich analysiert habe, zeigt mir deutlich wie angefressen sie ist, dass bisher noch kein Prinz auf ihre makellose Visage hereingefallen ist. Neben den offiziellen Dates, die von den Kameraleuten begleitet werden, steht es den drei Männern natürlich auch frei sich ansonsten mit den Erwählten zu treffen. Eine Tatsache, die die Prinzen anscheinend auch schon ausgenutzt haben. Nur nicht bei Trish.

Dass sie noch keinen weiteren Anschlag auf mich verübt hat ist ein echtes Wunder. Besonders da ihre Blicke, die zuhause meist abschätziger Natur waren, nun immer mehr mit einer Messerattacke auf meine Augen gleich kommen, so dass ich mir nie sicher sein kann, ob sie mir nicht demnächst im Schlaf die Kehle durchschneidet. Okay, vielleicht ist das ein bisschen übertrieben. Aber schließlich kenne ich sie nicht gut genug, um einen Mord auszuschließen.

>>Ich kann nicht fassen, dass du schon siebzehn Jahre mit der da unter einem Dach lebst<<, stellt Cassie fest, die wohl bemerkt haben muss, auf welcher Person gerade mein Augenmerk liegt. >>Ja, ich die meiste Zeit auch nicht<<, gebe ich zu und ergänze in Gedanken: ,,Aber noch unglaublicher ist die Tatsache, dass wir die gleichen Gene teilen". Manchmal wünsche ich mir wirklich, ich könnte mit jemanden über alles reden. Und dieses Alles bezieht auch meine besonderen Fähigkeiten mit ein. Wie oft war ich schon kurz davor Rocelyn endlich die Wahrheit zu sagen und habe mich dann doch nicht getraut? Unzählige Male. Doch immer bevor die Worte aus meinem Mund strömen konnten, war da dieser kleine, hartnäckige Zweifel, der mir die alles entscheidende Frage stellte: Was ist, wenn sie mich dann nicht mehr lieb hat? Nächtelang hat mich die Antwort darauf gequält oder eher gesagt der Zustand die Antwort darauf nicht zu finden.

Schnell löse ich meine Hand von meinem Glas Wasser. Auf der Oberfläche hat sich schon eine kleine Eisblume gebildet, die ich am liebsten mit einem Hitzestrahl entfernt hätte. Leicht panisch werfe ich der einzigen Person, die die Veränderung bemerken könnte, einen Blick zu. Doch Cassie ist zu sehr damit beschäftigt die anderen Erwählten zu beobachten und gleichzeitig eine vollbeladene Gabel nach der anderen zu ihrem Mund zu führen, als dass sie die Eiszeichnung auf der klaren Oberfläche bemerken könnte. Langsam befreie ich die angehaltene Luft aus meinen Lungen.

Keine melancholischen Gedanken in der Öffentlichkeit rüge ich mich und umschließe das Trinkgefäß mit meinen mittlerweile wieder lauwarmen Händen, um den Tauprozess zu beschleunigen. >>Bist du eigentlich schon aufgeregt wegen heute?<<, frage ich und versuche mich mittels eines Gesprächs von meinem kleinen Patzer abzulenken. Wenn die anderen Mädchen sich nicht immer ans andere Ende der langen Tafel quetschen würden, um uns aus dem Weg zu gehen hätte das ordentlich ins Auge gehen können, denke ich, schiebe den Gedanken aber sofort außer Reichweite. Das Geschehene lässt sich sowieso nicht mehr ändern. Außerdem ist schon jetzt nichts mehr von dem Vorfall zu sehen, wie ich bei einem kurzen Blick auf das Glas feststellen kann.

>>Und wie<<, seufzt Cassie. >>Ich muss ständig daran denken, was alles schief gehen könnte. Ich habe so etwas noch nie gemacht und allgemein fühle ich mich unwohl, wenn so viele Blicke auf mich gerichtet sind. Ich bin für so was einfach nicht geschaffen<<, gesteht sie und schaut mir bei den letzten Worten direkt in die Augen. In dem olivgrün spiegeln sich so viele Gefühle wider- Angst, Selbstzweifel, Verletzlichkeit-, dass ich gar nicht anders kann als sie von der Seite aus zu umarmen. >>Keine Sorge, du schaffst das. Du bist wunderschön, hast ein tolles Lächeln und kannst gerade aus laufen. Es gibt nichts, was schief gehen könnte. Außerdem woher willst du wissen, dass überhaupt Leute live zusehen?<<, versuche ich sie zu ermutigen. Ich wusste, dass Cassie schüchtern sein kann, trotzdem hatte ich keine Ahnung wie viele Selbstzweifel sie mit sich herumschleppt. Und selbst ihre Schüchternheit habe ich nie als besonders ausgeprägt empfunden, da wir irgendwie gleich einen Draht zueinander gefunden haben.

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt