Kapitel 28

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Langsam löse ich mich wieder von Cassie und mustere ihr vom Weinen gerötetes Gesicht und die vereinzelten Tränen, die noch immer über ihre Wange kullern. Ihr Anblick tut mir im Herzen weh, doch das Stechen kann die unbändige Erleichterung, die ich empfinde nicht trüben. Sie lebt, wiederhole ich immer wieder in Gedanken, bis es schließlich bis in mein taubes Herz und meinen müden Verstand dringt. Tatsächlich fühle ich mich mittlerweile wie gerädert, so als ob mit der vollkommenen Sicherheit, ein mit Erschöpfung beladenes Fuhrwerk über mich gefahren wäre.

Meine Muskeln schmerzen von der Anspannung, die während des Überlebenskampfes mein ständiger Begleiter war und ein unangenehmes Pochen hat sich in meinem Kopf breit gemacht. Das Adrenalin hat mich zwar jegliche Beschwerden während des Gefechts vergessen lassen, doch jetzt würde ich am liebsten nur noch in mein Bett fallen und all meine Sorgen auf morgen verschieben. Meine ersten Toten. Der Einsatz meiner Fähigkeiten. Einfach alles.

Außerdem macht sich ein schmerzhaftes Stechen in meiner linken Schulter breit, das in etwa einem Rein- und Rausziehen winziger Nadeln gleich kommt. Verwundert berühre ich die Stelle, um wenig später festzustellen, das an meinen Fingern frisches Blut klebt. Mit zusammengezogenen Augenbrauen betrachte ich das Stückchen Haut, das von einem langen, glatten Schnitt geziert wird, den mir ein Gegner wohl während eines Schwertkampfes zugefügt hat. Zum Glück ist die Wunde nicht allzu tief und muss nicht genäht werden, trotzdem könnte es sein, dass ich eine feine, längliche Narbe zurückbehalte.

>>Oh mein Gott, Fait. Ist das dein Blut?<<, fragt Cassie und starrt wie paralysiert auf ein dünnes Rinnsal, das aus der Wunde sickert. Dafür, dass es in ihren Büchern recht blutig zugeht , scheint sie im echten Leben ein kleines Problem mit der dunkelroten Flüssigkeit zu haben, denn ihre Wangen werden sofort etwas blasser. Vielleicht liegen ihre Nerven durch ihre Sorge um mich aber auch einfach nur blank und sie denkt, ich werde gleich vor ihren Augen an einer Blutvergiftung sterben.

>>Es ist alles gut. Nur ein kleiner Schnitt, der nicht allzu tief ist. Er muss nur desinfiziert werden und dann bin ich wieder wie neu, versprochen<<, beruhige ich sie sogleich, um ihr nicht unnötig Sorgen zu bereiten. Es wäre für sie sowieso am besten, wenn sie sich ausruhen würde. Gerade will ich ihr diesen Vorschlag unterbreiten, als mich eine Stimme hinter mir unterbricht. >>Das Säubern der Wunde kann ich übernehmen. Schließlich kann ich nicht zulassen, dass meine Favoritin vor meinen Augen verblutet<<

Lächelnd drehe ich mich um und ein weiterer Teil des Felsbrockens fällt mir vom Herzen, denn vor mir steht kein anderer als Macen, der - sowie ich unter gründlicher Musterung erkennen kann – keinerlei Schaden genommen hat. >>Zum Glück geht es dir gut<<, sprudelt es aus mir heraus und ich kann nicht verhindern, dass meine Augen ein wenig feucht werden. Zwei sind wohl auf, fehlen nur noch Miri und Dean, denke ich, bevor ich mich von Macen in die Arme ziehen lasse.

Seine plötzliche Nähe vor aller Augen ist mir zunächst etwas unangenehm, doch dann lasse ich mich einfach in die Umarmung sinken und genieße es, gehalten zu werden. >>Weißt du, das ist eigentlich mein Satz. Immerhin warten wir schon gefühlt eine Ewigkeit darauf, dass du und Daimon durch diese Tür spaziert kommt. Ich bin froh, dass ihr euch in dem Trubel gefunden habt. Ich wüsste nicht, ob mein Bruder ansonsten noch atmen würde. Und trotz meines Vertrauens zu dir habe ich mir große Sorgen um dich gemacht. Ich dachte schon, du würdest mich verlassen bevor ich dich auf ein zweites Date einladen kann<<, scherzt er halbherzig, doch die Verzweiflung ist klar aus seiner Stimme herauszuhören.

Kein Wunder, immerhin hätte er heute fast seinen Bruder verloren. Das muss sicher hart sein. Ein letztes Mal drücke ich ihn fest an mich, bevor ich mich von ihm los mache. >>Es ist ja doch noch alles gut gegangen, aber sag mal, wen meinst du mit wir?<<, frage ich und sobald das letzte Wort meine Lippen verlassen hat, durchschellt eine schrille Stimme die kurze Atmosphäre des Friedens.

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt