Kapitel 88

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Meine Gedanken kreisen immer noch so schnell wie in einem modifizierten Kettenkarussell, als die Innentür zu meinem Schrank endlich in Sicht kommt. Doch bevor ich die letzten Schritte zu meiner Alleinzeit hinter mich bringen kann, stoppt mich Daimon auf einmal. Bisher haben wir den ganzen Weg in einvernehmlichem Schweigen hinter uns gebracht, weil wir beide zu beschäftigt waren unseren Verstand wieder zur Ordnung zu rufen. Aber plötzlich gehen wir nicht länger nebeneinander her wie zwei flüchtige Bekannte, sondern stehen uns Auge um Auge entgegen, während Daimon mich wieder einmal mit diesem unglaublich ausdrucksstarken Blick durchbohrt, der mich unaufhörlich näher locken will. Dabei hat der Prinz bereits mit einem sanften Ruck an meiner Taille einiges an Distanz hinter sich gebracht, so dass wir beide nicht zum ersten Mal an diesem Tag dieselbe Luft, in unsere Lungen saugen. Doch das scheint meinem Körper selbst nach all der Aufregung nicht genug zu sein, denn das Bedürfnis die Lücke zwischen uns gänzlich zu schließen zerrt an mir.

>>Sag mir bitte, dass du morgen nicht wieder drei Schritte zurück machst und du alles was wir heute erreicht haben einfach wegwirfst<< , flüstert Daimon mir zu, >>Das würde ich nämlich nicht ertragen. Genauso wenig, wie den Gedanken daran, dass du dich wegen der Drohung meines Vaters wieder von mir entfernst, weil du es als deine Pflicht ansiehst mich zu schützen<<

Als würden seine Worte nicht schon genug Chaos in meinem Inneren erzeugen, berühren seine Fingerspitzen in diesem Moment vorsichtig meine Wangen. Sofort fühle mich wieder in den Kerker zurückversetzt, als er mich auf dieselbe Art streichelte und mir dabei sein größtes Geheimnis anvertraute. >>Das kann ich nicht<<, erwidere ich, weil ich heute unterbewusst die Entscheidung getroffen habe den Prinzen nie mehr anzulügen, >>Ich weiß nämlich nicht, was mein Kopf und meine Ängste mit meiner Meinung zu unserer heutigen Offenheit anstellen werden. Vielleicht werde ich es bereuen und mir wünschen, die Zeit zurückzudrehen oder aber -<< Daimons Zeigefinger legt sich sanft auf meine Unterlippe und sofort bleiben mir die nächsten Worte im Hals stecken. Es liegt nicht daran, dass ich wie ein schüchternes Mädchen vor einem Haufen Publikum meinen Text vergesse oder ich wegen dieser sanften Berührung schlichtweg nicht mehr in der Lage bin vernünftige Silben zu formen. Nein, in diesem Moment erscheint mir diese Intimität einfach wichtiger als meine nächsten Worte.

>>Das muss wohl reichen<<, meint er, während sich sein Mund zu einem selbstsicheren Grinsen verzieht und seine Hand wieder zu meiner Wange wandern lässt, >>Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass du deine Abwehr gegen mich jetzt noch zusammenflicken kannst. Denn mittlerweile bin ich mir ziemlich sicher, dass sich dein Herz doch für einen arroganten Idioten wie mich erwärmen kann<< Früher hätte ich ihm, wegen so einem Kommentar, die Hölle heiß gemacht und ihn mit dem größten Vergnügen durchs Fegefeuer gejagt, aber jetzt... Jetzt breitet sich auf meinen Lippen tatsächlich so etwas wie ein echtes Lächeln aus, das für mein altes ich, auch ohne unsere vorherige Entführung, das achte Weltwunder gewesen wäre.

>>Da bist du eindeutig auf dem Holzweg<<, antworte ich keck und recke provozierend mein Kinn ein Stückchen weiter nach vorne, doch anders all die anderen Male zuvor schwingt die Tatsache, dass ich ihn damit nur aufziehen will, klar und deutlich mit. >>Das glaube ich nicht. Sonst hättest du dich spätestens in dem Moment von mir abgewandt, in dem ich dir meine Geschichte erzählt habe<< Sein Ton ist plötzlich wieder vollkommen ernst, aber mittlerweile bin ich ja schon an Daimons rasante Stimmungswechsel gewöhnt und verschwende keinen zweiten Gedanken daran.

Stattdessen pocht mein Herz in meiner Brust noch ein Stückchen schneller und ein warmes Gefühl macht sich in meinem Bauch breit, denn wenn ich die angewandte Logik bei ihm anwende, bedeutet das automatisch, dass er ebenfalls etwas für mich übrig hat. Auch schon bemerkt?, macht sich eine zynische Stimme in meinem Inneren über mich lustig und verdreht im großen Stil die Augen. Dass sie eigentlich körperlos ist und somit gar nicht dazu in der Lage ist diese Art von Geste zu vollbringen, ignoriert sie dabei natürlich gekonnt.

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt