Kapitel 55

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Ich bin wieder im Körper meines elfjährigen Ichs und beobachte das tanzende Feuer der Kerzenflamme, die ich soeben mit einem Streichholz angezündet habe. Wahrscheinlich eine echte Verschwendung, wenn man bedenkt, dass ich den Docht auch einfach mit einem Handwedeln zum Entflammen bringen könnte. Doch normale Menschen benutzen immer Streichhölzer oder Feuerzeuge – also wollte auch ich mich an diese stille Regel halten.

Und ich muss zugeben, dass ich dieses selbstentworfene Gesetz bis heute befolge. Vielleicht liegt es daran, dass es mir bei all dem schrägen Zeug, das ich mit meinen Fähigkeiten anstelle, ein wenig Normalität verleiht. Aber ich glaube dieser Tick findet seinen Ursprung nicht in komplexen psychologischen Tatsachen, sondern vor allem in der Einfachheit der Geste, an der ich schon von klein auf einen Narren gefressen habe. Das Geräusch, wenn man mit dem Streichholz über die Schachtel fährt ist bis heute man absolutes Lieblingsgeräusch, doch am meisten fasziniert mich die kleine Rauchschwade, die beim Auspusten der Kerzenflamme entsteht.

Dieses Ereignis bleibt nämlich aus, wenn ich eine Kerze mit meinem Feuer entzünde. Natürlich sondern größere Flammen ebenfalls Rauch ab, doch da andere Naturgewalten nicht auf meine Kräfte einwirken, lässt sich mein Feuer nicht einfach so auspusten. Doch ich schweife ab, denn eigentlich soll es in dieser rückblickartigen Kindheitserinnerung um etwas ganz anderes gehen.

Mein Kindheits-Ich betrachtet weiterhin die Flammen, während sie ihre dünnen, feingliedrigen Finger durch das Feuer bewegt und ein wenig mit ihnen spielt. Ich erinnere mich noch ganz genau daran, dass ich schon damals die Energie des Feuers spüren konnte, doch ich habe es bis zu diesem Tag immer auf die kribbelnde Hitze geschoben, die scheinbar jeder zu fühlen scheint. Doch seit diesem Moment wusste ich, dass die feurige Energie, die ich von der Flamme vernahm und die unter meiner Haut prickelte, alles andere, als eine normale Reaktion ist.

Wie eine Außenstehende sehe ich, wie das Gesicht des Kindes aufgeregt zuckt, als wäre ihr eine Blitzidee durch den Kopf geschossen. Ein paar Minuten später schließt sie die Augen und konzentriert sich erstmals voll und ganz auf dieses besondere Gefühl. Ich kann immer noch einen Nachklang der Neugierde spüren, die mich damals durchströmte und vor meinem inneren Auge sehe ich, wie ich meine Augenbrauen fokussiert zusammenziehe.

Da spürt sie plötzlich wie Hitze ihren Arm hochkriecht, als ob sich ein flüssiges Feuer einen Weg durch ihre Adern ziehen würde und als sie ihre Augen wieder überrascht aufschlägt, sieht sie nur noch einen rauchenden Docht vor sich. Aufgeregt zündet sie die große Kerze wieder an, um den Vorgang zu wiederholen. Und zu wiederholen. Und zu wiederholen. Doch nach einiger Zeit fühlte es sich nicht mehr so an, als würde die Kraft nur so durch ihr Blut schießen. Ihr war heiß – nicht so wie es sich wohl anfühlen musste, wenn eine normale Person in eine Flamme griff, sondern so wie sich Personen aus vergangenen Zeiten im Sommer gefühlt hatten.

So oder so – etwas derartiges hatte sie noch nie erlebt, da ihr Körper durch ihre Fähigkeiten sehr neutral auf Temperaturen reagierte. Trotzdem machte sie weiter, um die Geheimnisse ihrer Kräfte noch weiter zu ergründen und um erstmalig am eigenen Leib zu spüren, wie sich wahre Hitze anfühlt. Ein schwerer Fehler – wie ich jetzt weiß. Nachdem ich nämlich einige Versuche machte, diese neu erhaltene Energie zu nutzen und dafür noch ein paar Flämmchen mehr in mich aufnahm, begann die Hitze in meinen Adern irgendwann unerträglich zu werden.

Schmerz blitzte durch meinen Kopf und ich entschied mich in einer Kurzschlussreaktion die Hände um die Kerze zu schließen und einfach loszulassen.

Viel blieb von der Kerze nicht übrig und ich habe bis heute einen scheußlichen roten Wachsfleck in dem teuren Teppich unter dem Tisch, aber ich hatte meine Lektion gelernt: Keine Aufnahme von echtem Feuer. Denn zum einen tut es nach einiger Zeit echt höllisch weh und zum anderen muss ich diese Energie irgendwann auch wieder irgendwo abladen – und dafür gibt es eben nicht immer einen passenden Ort. Jedenfalls blieb dieses Experiment das einzige dieser Art, da diese neue Facette meiner Kräfte, ganz eindeutig ihren Reiz verloren hat. Immerhin konnte ich außer einem unkontrollierten Loslassen der Energie, nichts damit anfangen.

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt