Kapitel 77

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Stille wiegt wie eine stürmische See durch den Innenraum des Vans und es liegt eine Art Knistern in der Luft, als hätte sich soeben etwas elektrostatisch entladen. Mein Blick wandert wieder von einem Mitglied zum anderen, angefangen bei Rave, die aussieht als ob sie mich jeden Moment in die Irrenanstalt einweisen möchte. Weiter zu Dylan, dem der Mund leicht offen steht und der auch ansonsten eher ein aufgeregtes Bild abgibt, so als wäre er in diesem Moment auf einen Schatz gestoßen und könnte sein Glück noch gar nicht fassen.

Rocelyns Miene kann man am besten als eine in Gedanken versunkene Angespanntheit betiteln und Daimons Mundwinkel ist leicht nach oben gezogen, so dass ein schiefes Grinsen mit diabolischer Note entsteht. Immer noch hat keiner das Wort erhoben und selbst die Atemgeräusche hallen nur leise im Auto wieder. Ich weiß nicht, ob alle die Informationen und die unterschwelligen Wurzeln meines hirnrissigen Plans erst noch verarbeiten müssen, aber langsam geht mir diese Schweigeminute, zum Begräbnis meiner geistigen Gesundheit, echt auf den Zeiger.

Doch kurz bevor ich meinen Mund öffnen kann, um die anderen zum Wörterformen anzuregen, schreitet Rave bereits ein und erklärt sich damit zur ersten, richtigen Reaktion bereit. >>Okay, Prinzessin. Hör mir mal zu. Es ist ja wirklich schön, dass dich das Königreich und die Unterschicht mehr zu kümmern scheint, als ich dir zu Anfang zugetraut habe, aber das was du da für einen Plan andeutest kann nicht in eine Millionen Jahren funktionieren. Ich weiß, du bist erst seit gestern in dieser Gruppe, deshalb gebe ich dir nochmal eine kostenlose Auffrischung der Tatsachen: Das Video war unser erster richtig großer Schritt, der nicht bloß aus Planung für das Stadium danach und die Aufstellung eines guten Teams bestand. Wir stehen also gerade mal an der Startlinie und können nicht einfach so in dieser angedeuteten kurzen Zeit bis zum Ziel springen, nur weil deine idealistischen Gedanken mit dir durchgehen. Ich meine, von wie vielen Wochen reden wir hier? Zwei? Drei? So oder so, das ist nicht genug für eine ordentliche Planung und die nötige Organisation!<<

Ich würde ja sagen, ich bin überrascht davon, dass sie nicht in die Hände klatschen und meinen Vorschlag mit einem ,,Machen wir!"-Siegel versehen, die sie dann mit süßen Konfettizeichnungen umrunden. Aber das bin ich nicht, weil das hier nicht irgendein Heldinnenroman ist, bei denen solche Planungsansätze mit sofortiger Begeisterung und Umarmungen quittiert werden, sondern die Realität. Und in dieser werde ich noch einen Haufen Überredungskunst, stichfeste Argumente und Speichel brauchen, um meinen Willen durchzusetzen, aber es wird die Arbeit wert sein. Hoffe ich zumindest.

>>Zwei Wochen. Und ja, ich weiß, dass das einen mehr als hirnrissigen Eindruck auf dich machen muss, aber zu unserem Pech haben wir nicht mehr Zeit oder können um einen Aufschub bitten. Die Koslower werden in das Schloss einmarschieren und sich den Thron ohne Umschweife holen. Das kann ich dir als eure Spionin mit großer Sicherheit sagen, denn anders als uns ist es ihnen egal, wie viel Blut für ihre Ziele fließen muss oder ob gerade ein Unschuldiger durch ihr Schwert zu Tode kommt. Glaubt mir, ich war da und weiß außerdem aus verlässlichen Quellen, dass es dem Königreich an Wachen mangelt. Durch die Angriffe wurden die Reihen noch mal zusätzlich ausgedünnt, aber schon davor bestand ein Problem, weil die Koslower auch an der Grenze vorrücken und die Soldaten vor Ort beschäftigen<<

Eine Kunstpause einbauend werfe ich Rave einen intensiven Blick zu, bevor ich meine Lippen befeuchte und weiterspreche. >>Tja, und da es in Koslow üblich ist schon früh physisch starke Kinder aus ihren Familien zu holen und zu Killermaschinen zu erziehen, werden sie Heavensent zahlenmäßig weit überlegen sein. Doch nicht nur das, einige von ihnen sind auch im Besitz einer Schusswaffe. Ich weiß zwar nicht wie viele es sind, aber selbst bei gleichen Mengenverhältnissen könnte diese Tatsache den entscheidenden Vorteil während einer Schlacht liefern. Es wäre also sowieso notwendig, wegen diesem Angriff etwas zu unternehmen, weil eine zu große Chance besteht, dass die Koslower die Macht erlangen. Und dann frage ich euch abermals: Warum sollten wir die Möglichkeit, die sich uns dann bietet ungenutzt lassen? Die Königsfamilie ist zu diesem Zeitpunkt geschwächt, was uns eine einmalige Gelegenheit bietet, die wir ansonsten nie wieder bekommen<<

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt