Kapitel 31

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Langsam lasse ich mich auf den Boden sinken, während sich die Bilder der Toten immer wieder vor meinem inneren Auge abspielen. Der Klang ihrer Schreie. Die Hitze meines Feuers. Das alles fühlt sich so echt an, als würde ich immer noch dort stehen, während sich meine Flammen an den Soldaten ergötzen.

Ich versuche die Erinnerungen, wie die blasse Ahnung eines Albtraumes von mir zu schütteln, doch es ist viel schwerer etwas zu vergessen, das wirklich passiert ist, als etwas, das nur in deinem Kopf existiert. Daimon hat Recht. Ich bin eine Mörderin.

Das definiert mich nicht. Das macht mich nicht aus, flüstere ich mir immer und immer wieder wie ein Mantra zu, doch ich kann meine Augen nicht davor verschließen, dass mich meine Fähigkeiten sehr wohl ausmachen. Es ist das, was mich von anderen abhebt und Leute, die mein Geheimnis kennen, dazu veranlasst in meiner Nähe Angst zu bekommen. Ich kann diesen Teil von mir nicht einfach auslöschen oder in einer Kiste vergraben – auch wenn ich das gerne tun würde.

Wieder sehe ich diese Endlosschleife aus verbrennendem Fleisch vor mir und ein Schluchzer löst sich aus meiner Kehle, als mich eine Welle aus Schuldgefühlen überrollt. Urplötzlich arten meine Tränen in einen Sturzbach aus salzigem Nass aus, während meinen Körper immer lauter werdende Schluchzer schütteln. Du hast sie umgebracht. Du bist Schuld an ihrem Ableben. Die flüsternde Stimme klingt genauso anklagend wie Daimon und bringt mich beinahe um den Verstand. Sei ruhig, will ich schreien, doch ich spüre jetzt schon die Heiserkeit, die mit der Lautstärke der Schluchzer einhergeht.

Das Schlimmste daran, ein Leben zu nehmen, ist definitiv die Gewissheit, dass diese Menschen nicht bis auf den tiefsten Grund ihres Herzens böse waren. Vielleicht haben sie in diesem Kampf die falsche Seite gewählt, doch das muss trotzdem nicht heißen, dass sie kein fürsorglicher Vater oder ein guter Freund waren. Es gibt immer Angehörige, die um einen Verlust trauern und gerade fühlt es sich so an, als ob nicht nur die Qualen dieser zehn Soldaten auf mir lasten, sondern auch ihr Schmerz, ein geliebtes Gesicht nie wieder zu sehen.

Warum bin ich bloß in diese Küche gegangen? Warum habe ich Daimon diese wichtige Aufgabe anvertraut? Immer weitere Warums schwirren zwischen unendlichen Was-wäre-wenn-Fragen durch meinen Kopf, bis ich schließlich bei einer hängen bleibe: Was wäre wenn ich mich dagegen entschieden hätte, meine Fähigkeiten einzusetzen? Ich kenne die Antwort. Ich würde tot neben Daimon liegen, ob erwürgt, abgeschlachtet oder mit einem kurzen Messerstich, vermag ich nicht zu sagen, aber wir wären auf jeden Fall beide nicht mehr lebendig genug, um uns zu streiten.

Doch das ist es nicht, was mich so sehr an dieser Sache festhalten lässt, es ist vielmehr die andere Frage, die daraus resultiert. Würde ich mich anders entscheiden, wenn ich noch einmal in die gleiche Situation komme, oder würde ich die gleiche Flammenshow noch einmal abziehen? Um ehrlich zu sein, habe ich in diesem Moment keine Antwort darauf. Meine Gefühle scheinen gerade viel zu überwältigend und einnehmend, als dass ich an etwas anderes denken kann. Dieser Augenblick will mir einfach nicht aus den Kopf gehen, selbst wenn ich mich mit einem Tischbein erschlage, würde die Erinnerung an meine Tat immer noch wie eine kaputte Schallplatte vor meinen Augen ablaufen.

Dabei will ich einfach nur noch schlafen. Ich bin so müde und meine Augen haben sich schon vor einer Weile wie von selbst geschlossen, doch statt endlich meinen Träumen übergeben zu werden, fließen die Tränen einfach weiter über meine Wangen. Mein Schluchzen ist ein wenig abgeflaut, was wahrscheinlich eine Folge dessen ist, dass so langsam jegliche Kraft aus mir weicht.

Ein lautes Klopfen lässt mich meine Erschöpfung kurzzeitig vergessen. Zunächst denke ich, dass ich es mir eingebildet habe, doch als das Klopfen ein zweites Mal in einem lauten Rhythmus erklingt, bin ich mir sicher, dass es nicht nur meiner Vorstellungskraft entspringt. Zwei spätabendliche Besuche an einem Tag?, frage ich mich verwirrt, bevor mir ein ganz andere Gedanke durch den Kopf schießt. Würde Daimon es wagen sich noch einmal blicken zu lassen?

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt