Kapitel 47

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Und die böse Stiefschwester nahm den Glasschuh und zertrümmerte ihn an einer Wand, so dass Cinderellas Glück auf ewig verschwunden war – so wäre jedenfalls die melodramatische Abänderung von dem Märchen Aschenputtel, das sich mein Gehirn während des abflauenden Schocks schnell zusammengereimt hat. Ungläubig blicke ich auf die funkelnden Scherben herab, die eben noch Julianas Armband geformt haben, bevor ich meine Augen bis zu der vermeintlichen Drahtzieherin hinaufwandern lasse, die in einem rosa Federalptraum vor mir steht: Trish.

Jetzt mal im Ernst, wie viele Flamingos mussten für dieses Outfit sterben? Und ja, ich frage mich das, in der Gewissheit, dadurch die dramatische Wirkung des Moments zu zerstören und nebenbei auch noch kontextlosen Unsinn zu reden. Doch die Frage nagt genauso an meiner Neugierde, wie das Eintausend-Euro-Rätsel um die Verkommenheit meiner Schwester. Ich meine, wie konnte sie nur zu so einem Miststück werden? Nicht, dass ich bei der Mutter verwundert wäre, doch Trish scheint nochmal zu einer ganz anderen Gattung falscher Schlange zu gehören.

>>Oh nein! Um Gottes Willen, Fait! Wie konntest du nur so tollpatschig sein! Dein schönes Geschenk!<<, quietscht sie allen Anwesenden inklusive mir, auf höchstdramatische Weise ins Ohr. Eine wirklich glaubwürdige Schauspielleistung, wenn man bedenkt, dass sie zuvor noch gelacht hat, als ob sie ein Casting für die Rolle der bösen Hexe gewinnen will. Eine Idee, die ich durchaus unterstützen würde. Ich war schließlich schon immer der Meinung, dass die Welt schon mehr als genug grünhäutige Hexen in dunklen Gewändern gesehen hat, die böse lachend, Kinder kochen. Dabei wäre eine in Federn gehüllte Drama-Queen mit frisch manikürten Nägeln eine willkommene Abwechslung. Falls also irgendein Filmproduzent Interesse an ein wenig frischem Wind hat, weiß er ja schon, wen er als weiblichen Bösewicht buchen kann.

In diesem Moment verlässt mich der kurze Schock endlich mit all seinen Nebenwirkungen, so dass die Wut und das Bedürfnis ihr mit einer schnellen Handbewegung eine ordentliche Schelle zu verpassen, beinahe überhandnimmt. Zum wahrscheinlich ersten Mal in meinem Leben bin ich froh, dass ich mich wegen meiner Fähigkeiten so oft in Selbstkontrolle üben musste. Denn mal abgesehen von dem Schmerz in ihrer Wange, wäre das für Trish nur ein weiterer Triumph – sozusagen das goldene Krönchen auf ihrer toxischen Torte.

Trotzdem kann ich nicht verhindern, dass ich mich zu meiner vollen Größe aufrichte und meine Hände schon mal probeweise zu Fäusten balle, auch wenn ich eigentlich nicht vorhabe zuzuschlagen. Sofort fokussiert sich mein Blick einzig und allein auf meine Schwester, die immer noch gespielt erschüttert die Hand an ihre Wange hält, während sie mich überlegen anfunkelt. Atmen Fait, du darfst auf keinen Fall ausflippen. Es tut ihr mehr weh, wenn du ruhig bleibst, rede ich beruhigend auf mich ein. Eine Sache, die ich wirklich gut gebrauchen kann, denn meine Feuerkräfte warten wie immer am Rande meines Sichtfeldes und scharen wie ein Rudel Höhlenhunde an der imaginären Tür, die sie von der Außenwelt fernhält.

>>Wie konnte das nur passieren, Schwesterlein? Und was willst du jetzt tun? Du wirst wohl nach Hause fahren müssen. Immerhin hat Ms. Swan klar und deutlich gesagt, dass ein fehlendes Geschenk für den sofortigen Rauswurf sorgt<< Bei diesen Worten verkrampft sich mein Magen mit sofortiger Wirkung, denn so sehr ich es auch hasse, zugeben zu müssen: Trish hat Recht. Unsere Lehrerin hat uns das heute Morgen tatsächlich ausdrücklich gesagt, doch wie immer habe ich Ms. Swans Worte bis ins hinterste Eck meines Hirns verdrängt, was mir jetzt teuer zu Stehen kommt, da ich nicht auf diesen verbalen Angriff vorbereitet war.

Verdammt, was mache ich jetzt?, frage ich mich fieberhaft, während ich nach außen hin mein lässiges Pokerface aufrecht erhalte. Am liebsten hätte ich sie in diesem Moment einfach angeschrien und ihr vorgeworfen, dass sie das Ganze eingefädelt hat und dass mich keinerlei Schuld trifft. Doch ich bin nicht so naiv zu glauben hier die längeren Fäden in der Hand zu halten. Eher im Gegenteil, sollte ich das aussprechen, was mir gerade feurigprickelnd auf der Zunge liegt, werden sich alle gegen mich stellen und Trish den Rücken stärken. Einfach nur weil sie das glorreiche Model an der Spitze der High-Society-Nahrungskette ist und ich in den Augen der anderen, nur die schwarzgekleidete Außenseiterin bin, die in diesem Wettbewerb schon viel zu viel Glück hatte.

The chosen princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt