58. Ich bin für dich da

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27. Februar 1978

Wie schon so oft saß ich am See und starrte auf die Wasseroberfläche, als sich jemand neben mir im Gras niederließ.

Es war Marlene.

„Was willst du?", fragte ich sie, als sie auch nach einigen Minuten keine Anstalten machte etwas zu sagen. Immerhin wollte ich einfach meine Ruhe.

Mittlerweile hatte mich auch Severus gefragt, ob er mir irgendwie helfen konnte, doch ein einziger Blick auf seinen Unterarm genügte mir, um zu wissen, dass er mir wohl nicht einmal im Geringsten mehr helfen konnte.

„Hier sitzen.", war ihre schlichte Antwort und wieder kehrte Ruhe zwischen uns ein.

Irgendwann seufzte ich, als sicher war, dass ich sie so schnell nicht mehr losbekommen würde.

„Ganz schön tristes Wetter heute.", meinte Marlene dann und ignorierte mein Schnauben somit völlig.

Ich nickte, bevor ich antwortete: „Ich mag graue Tage und stürmisches Wetter, einfach weil ich mich dann verstanden fühle. Momentan tobt in mir auch ein fürchterlicher Sturm und es fühlt sich gut an, wenn es draußen genauso aussieht."

„Trist?", fragte sie und lachte leicht amüsiert auf, „Ich stell mich dich eher als strahlender Sonnenschein vor, Ani. Aber es ist eben nicht mehr wirklich viel von dem übrig, was du vor dem Vorfall warst."

Sie wirkte mit einmal Mal etwas ertappt, als hätte sie etwas gesagt, was sie besser lassen hätte sollen.

„Was war ich denn vorher?", fragte ich mit monotoner Stimme.

Sie atmete tief durch, während wir uns tief in die Augen sahen, bevor sie zu erklären begann: „Hoffnungsvoll. Du warst hoffnungsvoll, Ani. Aber wie kann man es dir verübeln, dass du es jetzt nicht mehr bist. Immerhin kommt irgendwann einfach der Punkt, an dem du so sehr von schlechten Menschen verletzt wurdest, dass du nicht einmal mehr den Guten vertrauen kannst."

Damit hatte sie wohl recht.

Nichts und niemanden war gerade auch nur ansatzweise in meinem Umfeld, von dem oder der ich behaupten konnte, dass ich ihm oder ihr vertraute. Ich wollte einfach nicht mehr, denn alles was mir Vertrauen gebracht hatte, war noch mehr Schmerz.

„Du weißt, dass ich für dich da bin?", fragte Marlene mich dann vorsichtig.

„Die Frage ist wie lange. Früher oder später lassen mich alle allein.", entgegnete ich ihr wahrheitsgemäß.

„Menschen verurteilen Menschen so schnell, weil sie ihre Geschichte nicht kennen, Anastasia. Aber ich will es tun. Ich will endlich verstehen, was in dir vorgeht, genauso wie du mir damals zugehört hast und nicht eine Sekunde gezögert hast für mich da zu sein nach meinem Outing. Ohne dich wäre ich jetzt nicht an dem Punkt, an welchem ich jetzt bin und das alles ganz allein, weil du da warst. Du warst da, als ich dich gebraucht habe und ich hab es zugelassen. Hab dir ohne mit der Wimper zu zucken vertraut. Also bitte, Ani, bring mir jetzt das Gleiche entgegen, wie ich es damals getan hab. Denn ich will für dich da sein, genauso wie du es damals für mich warst.", meinte Marlene schließlich und sah mich beinahe flehend an.

Sie hatte mich mit ihren Worten direkt ins Herz getroffen und sie hatte recht. Es brachte nun mal nicht im Geringsten etwas sich vor allem zu verkriechen, nur weil es potentiell weh tun konnte.

Ich konnte so nicht weiter machen und Marlene an meiner Seite zu haben, war definitiv ein Schritt in die richtige Richtung.

„Na gut.", murmelte ich schließlich leise und mit so einer Anstrengung, dass selbst jemand aus kilometerweiter Entfernung ahnen konnte, dass mir dies nicht leichtfiel.

„Dann erzähl mir doch, was alles so passiert ist.", schlug Marlene vor und ich stimmte ihr zu.

Also erzählte ich ihr alles. Von dem Tod meines Vaters bis zu den fiesen Kommentaren von meinen Mitmenschen und es tat gut.

Es tat gut zu wissen, dass jemand für mich da war und mir zuhörte...

THE LIES || s. blackWo Geschichten leben. Entdecke jetzt