dreißig

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Die einzige Möglichkeit, eine Horde betrunkener Menschen zu ertragen, ist, sich selbst zu betrinken. Das ist eine der Lektionen, die ich im Laufe des Abends lernen muss. Ich bin mittlerweile an dem Punkt angelangt, an dem meine Stimmung minütlich zwischen emotional und lustig und aufgekratzt wechselt. Ich habe den Überblick darüber verloren, wie viele Cocktails und Schnäpse ich schon getrunken habe. Fakt ist, dass ich mich gerade eigentlich ziemlich gut fühle. Den anderen geht es ähnlich.

Zoe und Miles sind schon seit einer Weile am rumknutschen. Simon ist ebenfalls mit einem Mädchen beschäftigt. Luke, Jordan und ich reißen nur immer schlechter werdende Witze und trinken dabei einen nach dem anderen. Nebenbei komme ich sogar noch mit ein paar anderen Leute aus meiner Stufe ins Gespräch.

Ich stelle fest, dass ich Strandpartys wirklich mag. Und, dass Cocktails wie Saft schmecken, man aber ziemlich schnell von ihnen betrunken wird. Hin und wieder nehme ich auch Louis, Josh, Noah und Matt wahr, die ebenfalls hier sind. Aber selbst das ist mir mittlerweile ziemlich egal. Gerade finde ich alles einfach nur witzig.

Irgendwann ist Zoe auch wieder fertig damit, Miles zu küssen und wir sitzen zu zweit alleine im Sand.

"Was war das vorhin mit Luke?"

Ich drehe meinen Kopf zu ihr. "Was denn genau?"

Zoe verdreht die Augen. "Na, alles. Wie er dich immer ansieht. Und wie er dich manchmal berührt. All das. Du weißt, was ich meine."

Ich muss lachen, auch wenn daran eigentlich überhaupt nichts lustig ist. Zoe sieht mich an, als wäre ich bekloppt, dabei ist sie selbst genauso betrunken wie ich. "Ich weiß absolut nicht, was du meinst.", sage ich und versuche, ernst zu bleiben, doch es gelingt mir nicht.

Zoe schlägt mir auf den Arm, muss aber selber mit lachen. "Isabella, im Ernst jetzt!"

Ich räuspere mich. "Keine Ahnung, ich weiß selbst nicht genau, was da ist. Gibt auch nicht so viel zu erzählen.", lüge ich. Was soll ich denn sonst auch sagen? Dass ich Luke gebeten habe, mich zu entjungfern? Dass wir uns immer näher kommen? Dass Luke mir gesagt hat, wie viel ich ihm bedeute und dass wir trotzdem etwas anderes als bloß Geschwister sind?

Ich springe auf. "Lass uns ins Wasser." Ich halte Zoe meine Hand hin und ziehe sie hoch. Zugegeben, es geht mir hauptsächlich darum, dieses Gespräch zu beenden, aber ich habe tatsächlich ziemlich große Lust, ins Meer zu laufen. Da sind wir auch nicht die ersten. Zoe zieht sich ohne zu Zögern ihre Schuhe, Top und Shorts aus und schmeißt sie achtlos in den Sand. Ich tue es ihr gleich. Vielleicht würde ich mir im nüchternen Zustand mehr Gedanken darüber machen, wie ich im Bikini aussehe, ob mich andere anschauen oder ob ich meine Sachen einfach so hier im Sand liegen lassen kann - aber dafür bin ich eindeutig zu betrunken. Es ist mir alles völlig egal und ich mag diesen Zustand.

Das Meer ist lauwarm und fühlt sich gleichzeitig erfrischend an. Die Szenen kommen mir vor wie im Film. Irgendwie ist alles lustig, bunt und schön. Kurze Zeit später rennen die Jungs mit tosendem Lärm zu uns ins Wasser.

Es ist, als wären wir alle zehn Jahre jünger. Luke nimmt mich auf den Rücken und wirft mich Sekunden später ins Meer. Prustend tauche ich auf. "Luke, du Idiot!" Meine Haare hängen klatschnass an mir herunter und ich entferne angewidert eine Alge aus ihnen. Das war es dann wohl mit den schönen Locken, die Zoe mir gemacht hat.

Er lacht nur schelmisch. "Ups, du bist ja ganz schön nass geworden."

"Ja, das kann man wohl sagen.", sage ich und versuche, dabei anklagend zu klingen, was mir jedoch nicht gelingt. Dafür ist die Situation einfach zu lustig und ich zu betrunken. Stattdessen renne ich als Rache auf ihn zu und werfe mich mit aller Kraft gegen ihn. Damit hat er offenbar nicht gerechnet, denn er kippt rückwärts ins Wasser und ist jetzt genauso nass wie ich. Ich kriege mich vor Lachen nicht mehr ein, als er mit überraschter, wütender und gleichzeitig belustigter Miene wieder auftaucht. 

Wir sind längst nicht mehr die einzigen im Wasser, offenbar haben wir ein paar andere motivieren können. Und so beschließen wir nach einer Weile, wieder raus zu gehen und uns am Lagerfeuer etwas aufzuwärmen. Es ist zwar immer noch warm draußen, doch schon jetzt ist es ein ziemlich großer Unterschied zu den Temperaturen, die herrschten, als ich vor ein paar Wochen hierher gezogen bin. Irgendwie fühlt sich die kurze Zeit an wie eine Ewigkeit. Seitdem habe ich mich so stark verändert, wie ich es vorher nie für möglich gehalten hätte. Doch ich mag es, stelle ich mal wieder überrascht fest. Ich bin froh über diese Veränderung. Ich war vorher nicht unzufrieden, doch ich bin gerne so, wie ich jetzt bin.

Ich hole für Zoe und mich noch einen Cocktail an der Bar, dann setze ich mich wieder zu den anderen ans Lagerfeuer. Hier herrscht eine ganz andere Stimmung als eben noch im Wasser. Irgendwie ruhig und entspannt, auf eine angenehme Art. Es ist eine willkommene Abwechslung dazu, wie es gerade war. 

Zoe und Miles sitzen eng aneinander gekuschelt. Ich gönne es ihr. Seit ich die frohe Botschaft erfahren habe, dass die beiden nun zusammen sind, wirkt sie wie im siebten Himmel. Nicht, dass sie vorher nicht auch schon ein Sonnenschein war, aber jetzt scheint sie einfach noch ein bisschen glücklicher zu sein.

Trotzdem muss ich feststellen, dass ich irgendwie ein bisschen neidisch bin, als ich die beiden da so sitzen sehe. Ich hätte auch gerne so eine Person. Und so sehr ich das, was ich momentan mit Luke habe, auch liebe, so sehr wünsche ich mir auch manchmal etwas Richtiges. Etwas, was man nicht immer verheimlichen muss. Wobei vielleicht auch gerade das den Reiz an der Sache ausmacht.

Ich genieße es dennoch, hier im Sand direkt neben Luke zu sitzen. Seine bloße Anwesenheit reicht, um mich wuschig zu machen. Die Atmosphäre fühlt sich irgendwie magisch aufgeladen an. Hier am Lagerfeuer werden keine Spiele gespielt oder getanzt, hier sitzen alle entspannt nebeneinander, reden, lachen, und genießen die Gesellschaft. Vielleicht kommt es durch diese Stimmung, dass Luke irgendwann weniger zurückhaltend wird. Seine Hand liegt federleicht auf meinem hinteren Rücken, sein Daumen streicht sanft über den streifen nackter Haut zwischen Hosenbund und Top. Ich bin versucht, die Augen zu schließen und mich dem einfach hinzugeben.

Meine entspannte Stimmung wird jäh unterbrochen, als mich plötzlich ein Schwall von Übelkeit überkommt. Ich versuche, langsam zu atmen, aber es hilft nicht viel. Ich fühle mich merkwürdig. Anders, als die letzten Male, als ich betrunken war.

"Ich hol mir mal ein Wasser.", höre ich mich sagen und stehe wie fremdgesteuert auf.

Luke wirft mir einen besorgten Blick zu. "Geht es dir nicht gut?"

Ich zucke mit den Schultern. "Nur ein bisschen übel. Aber geht schon."

Er nickt und lächelt schief. "Kommt bestimmt vom Alkohol. War vielleicht doch etwas viel."

Ich ringe mir ebenfalls ein Lächeln ab. Ja, daran wird es wahrscheinlich liegen. Doch irgendwie bleibt dieses merkwürdige Gefühl, dass es nicht nur am Alkohol liegt. Das hier fühlt sich komisch an. 

Ich steuere auf die Bar zu, als ich plötzlich eine fremde Hand an meiner Schulter spüre. Langsam drehe ich mich um. Louis. Ich will etwas sagen, doch in meinem Kopf fügen sich keine passenden Worte zusammen. Mein Mund öffnet sich und schließt sich wieder. Louis grinst. "Komm mit."

Seine Hand an meiner Schulter schiebt mich in eine Richtung, weg von den Partygästen. Das Lagerfeuer ist längst zu weit entfernt um die Hoffnung zu haben, jemand könnte mich sehen. Und für die anderen mag es vielleicht nach einer ganz normalen Szene aussehen, wie ich hier willenlos neben Louis her gehe. Auch wenn ich durch verzweifelte Blicke versuche deutlich zu machen, dass ich das hier nicht freiwillig mache - niemandem scheint etwas aufzufallen. Der Lärm der Party wird hinter uns leiser und immer mehr umgibt uns die Dunkelheit. Ich weiß nicht, wie spät es mittlerweile ist, doch es muss weit nach Mitternacht sein.

"Das hier, Isabella, ist für das letzte Mal, als wir ja eher im Schlechten auseinander gegangen sind.", höre ich Louis sagen. Ich werfe ihm einen verzweifelten Blick zu. Wieder öffne ich meinen Mund, doch es kommt nur ein tonloses Krächzen heraus. Was passiert hier? 

Erst jetzt nehme ich Josh, Noah und Matt wahr, die grinsend auf uns zukommen. Josh klopft Louis auf die Schulter. "Scheint funktioniert zu haben."

Louis nickt. "Willenlos wie nie zuvor. Kommen gar keine dummen Sprüche mehr von ihr, oder?" Er schüttelt meine Schulter. Ich reagiere nicht. Von den anderen kommt ein Lachen.

Hier stimmt etwas nicht. Das kann nicht die Wirklichkeit sein, doch trotzdem passiert es... Und ich kann nichts dagegen tun.

let me be your babyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt