vierzehn

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Ich habe im Laufe des Tages schon ein bisschen ein schlechtes Gewissen, aber hauptsächlich genieße ich meinen Triumph. Er beruht zwar auf einer Lüge, aber trotzdem fühlt es sich gut an, Luke einmal überlegen zu sein. Irgendwie gefällt es mir, wie wütend er reagiert. Klar ist die Stimmung zwischen uns dann heute nicht ganz so gut, aber wann ist sie das schon? Bisher hatten Luke und ich fast jeden Tag einen Streit und meistens wurde er von ihm angezettelt. Von daher finde ich es nur fair, dass Luke jetzt auch mal leiden muss.

Ich erledige tagsüber ein paar Hausaufgaben für die Schule und versuche, den Stoff nachzuarbeiten. Die Inhalte sind ähnlich wie an meiner alten Schule, aber eben auch nicht genau die gleichen. Gegen Abend habe ich dann doch noch einmal das Bedürfnis nach frischer Luft und mache mich auf zum Strand. Von Luke habe ich gar nichts mehr mitbekommen, von daher halte ich es auch nicht für nötig, Bescheid zu sagen, wo ich bin.

Ich sehe den Strand und das Meer zwar jeden Tag durch mein Zimmerfenster und kann sogar den Sonnenuntergang perfekt von da betrachten, doch ich war bisher noch gar nicht wirklich am Strand. Irgendwie war in der Woche so viel los, dass ich mir dafür nicht die Zeit genommen habe.

Ich liebe das Meer, doch war bisher nur zwei Mal in meinem Leben da, wenn Mum mal mit mir in den Urlaub gefahren ist. Doch wir hatten nie viel Geld und deshalb kam das auch nur wirklich selten vor.

Ich laufe durch den irrsinnig großen Garten des Hauses, in dem ich bisher auch viel zu wenig Zeit verbracht habe. Ich saß nur ein einziges Mal draußen auf der Terrasse, doch abgesehen davon habe ich den Garten bisher nur durch mein Fenster beobachtet. Ganz hinten, hinter ein paar Sträuchern und einem alten Kirschbaum, ist der riesige Pool, denn ich von meinem Zimmer aus schon sehen konnte. Eigentlich finde ich es ganz angenehm, dass er hinter einigen Pflanzen verborgen ist, denn so muss man sich weniger beobachtet fühlen. Ich entdecke noch eine kleine Hollywoodschaukel, die ich bisher noch gar nicht sehen kann, doch widerstehe der Versuchung, mich direkt dort hinzusetzen. Ich hatte ja schließlich den Plan, ans Meer zu gehen. Hinten am Garten ist ein Tor, durch das man direkt zur Promenade und zwei Meter weiter zum Strand kommt.

Meine Füße versinken im weißen Sand. Ich komme mir vor wie im Film. Die Sonne nährt sich immer weiter dem Horizont und lässt das kristallklare Wasser golden schimmern. In der Nähe ist ein langer Steg, an dem sich ein paar Leute aufhalten. Ich schlage die andere Richtung ein, um meine Ruhe zu haben. Ich habe Glück, hier ist beinahe niemand. Nur ein paar genauso einsame Seelen wie ich.

Nachdem ich eine Weile gelaufen bin, lasse ich mich in den Sand fallen und vergrabe meine Füße darin. Ich habe jetzt schon das Gefühl, dass dieser Ort ebenso gut zum Abschalten sein wird wie die Kirche.

Ich versinke in meinen Gedanken, bekomme nichts von den Menschen um mich herum mit, bis plötzlich jemand direkt neben mir stehen bleibt. Ich zucke zurück und sehe nach oben. Als ich sehe, dass es nur Luke ist, atme ich erleichtert auf.

"Was willst du hier?", frage ich.

Er verdreht nur die Augen. "Darf ich hier nicht sein? Ich bin hier eben lang gelaufen und hab dich dann hier gesehen."

"Ach so.", sage ich und schweige einen Moment. Dann beschließe ich, dass wir das Kriegsbeil vielleicht wieder begraben sollten und ich fürchte, dass ich da den ersten Schritt machen muss. "Setz dich doch.", sage ich also und deute neben mich auf den Boden.

Luke sieht kritisch auf die Stelle und schaut mir dann genervt ins Gesicht. "Nein, danke. Vielleicht hast du ja Glück und dein Lover von letzter Nacht kommt noch vorbei."

Ich seufze genervt auf. "Stell dich nicht so an."

"Das hat überhaupt nichts mit Anstellen zu tun!", ruft Luke und starrt wütend zu mir herunter. Ich muss mir ein Lachen verkneifen. Er ähnelt sehr einem Kindergartenkind, dem man die Schaufel weggenommen hat.

"Komm, jetzt setz dich doch, dann können wir reden.", sage ich geduldig und lasse meine Stimme freundlich klingen. Ich sollte meine Lüge wohl jetzt gleich mal aufklären, denn vorher wird Luke sich nicht beruhigen.

Luke schnaubt und tippt sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. "Vergiss es. Ich hab echt keine Lust, mit dir zu reden, ich gehe nach Hause." Mit diesen Worten dreht er sich um und läuft mit großen Schritten zurück.

Ich springe auf und laufe ihm hinterher durch den Sand. Es ist gar nicht so leicht, ihn einzuholen, da er wirklich schnell läuft und seine Beine gefühlt doppelt so lang sind wie meine. "Luke, warte! Warte doch mal!" Ich halte ihn an der Schulter fest und er verlangsamt seine Schritte, bis er schließlich stehen bleibt und sich zu mir umdreht.

"Mein Gott, Isabella, was ist denn?", sagt er genervt. "Falls du auf ein klärendes Gespräch hoffst - zwischen uns gibt es nichts zu klären! Du bist ein freier Mensch, mach doch was du willst. Du hattest gestern dein erstes Mal und jetzt ist es eh egal, du kannst ruhig jeden Abend mit fremden Typen rumvögeln. Mein Lebensstil ist ja auch nicht anders. Genieß dein Leben, lass es dir gut gehen. Ist nicht meine Sache, also lass mich aus dem Spiel und nerv mich in Zukunft nicht mehr mit deiner Kindergartenkacke." Luke atmet tief durch, während mir einen Moment der Atem wegbleibt. "Ganz ehrlich, für mich ist auch nicht alles leicht, seit ihr hergezogen seid, und trotzdem hab ich noch versucht, für dich da zu sein. Das spar ich mir in Zukunft einfach, du hast ja andere Typen, die sich um deine Probleme kümmern können. Dann muss ich auch nicht mehr den Helden spielen." Mit diesen Worten dreht er sich um und geht schnellen Schrittes weiter. "Lass dich ruhig vögeln!", ruft er noch über seine Schulter. Mir klappt der Mund auf.

"Du... Arsch!", brülle ich ihm hinterher, auch wenn andere, schlimmere Beleidigungen durchaus angemessener wären, doch all diese fallen mir in dem Moment nicht ein. Luke reagiert nicht mehr, sondern geht zielstrebig zurück zum Haus. Ich sinke auf den Boden und drücke mein Gesicht auf meine Knie. Erst jetzt kommt die volle Bedeutung von Lukes Worten in meinem Bewusstsein an.

Ich weiß genau, worauf er angespielt hat: Auf die Situation mit Louis, Josh, Noah und Matt, aus der er mir heraus geholfen hat. Dass er das jetzt so dargestellt hat und mir gesagt hat, dass ich in Zukunft nicht mehr mit seiner Hilfe rechnen kann, verletzt mich unglaublich.

Ich spüre meinen Körper heftig zittern und bekomme kaum Luft. Meine Brust fühlt sich eng und eingeschnürt an. Durch Lukes harte Worte kamen eine Menge Emotionen durch, die ich bisher so gut in mir halten konnte.

Verdammt. Ich hätte niemals mit dieser Lügerei anfangen sollen. Ich habe noch nie in meinem Leben gelogen, abgesehen von kleineren Notlügen. Das war wirklich das, was mir schon als Kleinkind als wichtigster Grundsatz fürs Leben beigebracht wurde. Und jetzt habe ich es gemacht, nur um mich ein  einziges Mal Luke gegenüber überlegen zu fühlen. Aus so einem bescheuerten Grund! Andererseits ist Luke ja auch nicht ganz unschuldig, er hat mir das schließlich von Anfang an unterstellt.

Meine eigene Dummheit verzeiht trotz allem nicht das, was Luke mir gerade an den Kopf geworfen hat. Seine Worte waren einfach nur verletzend. Damit hat er mir mehr als deutlich gemacht, dass ich in Zukunft nicht mehr auf ihn zählen kann. Dann bleibt mir nur noch zu hoffen, dass ich nicht wieder in solche schlimmen Situationen geraten werde.

let me be your babyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt