drei

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"Wieso zeigst du Isabella nicht heute mal die Stadt, Luke?", fragt James am nächsten Morgen beim Frühstück. Ich zucke zusammen. Bis jetzt war ich nur körperlich anwesend, da ich erstens keine Lust auf Familiengespräche habe und zweitens noch viel zu müde bin. James und Mum haben nach dem gestrigen Abend auch noch darauf bestanden, dass wir heute mit der Familie frühstücken. "Um uns alle etwas zu beschnuppern." Na klar. Ich hätte nicht gedacht, dass es mal so weit kommen würde.

"Ich hab noch was vor.", brummt Luke und ich bin mir nicht ganz sicher, ob das die Wahrheit oder irgendeine Ausrede ist.

"Das ist wirklich nicht nötig.", sage auch ich hastig. Es muss ja nicht sein, dass Luke und ich gezwungen nebeneinander durch die Stadt laufen und kein Gesprächsthema finden. Wir sind einfach nicht auf einer Wellenlänge.

"Also, ich finde das eine ganz wunderbare Idee!", fällt Mum mir in den Rücken. Ich versuche, sie mit meinem Blick zu bestrafen, doch sie strahlt mich nur an. Seit wir hier sind, ist sie wie ausgewechselt. Man merkt ihr an, dass sie glücklich ist, doch ich vermisse auch die alte Mum, die mehr für mich da war und mit der ich über alles reden konnte. Jetzt wird sie noch zu einem Familienmenschen und James wird in ihrem Leben eine größere Rolle spielen als ich.

"Ich kann mir die Stadt auch alleine anschauen, wenn Luke noch was vorhat.", sage ich.

"Ach, Luke, das ist doch nichts Wichtiges. Du triffst dich doch fast jeden Tag mit deinen Freunden, kannst du da nicht ein Mal drauf verzichten?", fragt James eindringlich.

Luke gibt ein undefinierbares Grunzen von sich, das wohl heißen soll, dass er da eigentlich nicht drauf verzichten will.

"Keine Widerrede jetzt.", sagt James plötzlich in einem barschen Ton, den ich noch gar nicht von ihm kenne. "Das ist eine gute Gelegenheit für euch, euch ein bisschen besser kennenzulernen."

Ich würde am Liebsten lautstark widersprechen, doch ich traue mich nicht. Auch Luke seufzt nur auf, sagt aber gar nichts mehr. Na super. Dann ist es wohl so - ich werde den Tag mit Luke verbringen. Das kann ja lustig werden.

Nach dem Frühstück gehe ich noch schnell Zähne putzen und packe ein paar Sachen in eine Handtasche, dann fliegt meine Zimmertür auf. Luke steht im Türrahmen.

"Können wir los?"

"Man kann auch mal klopfen.", murmele ich.

Er verdreht genervt die Augen. "Ja, ja. Was jetzt, bist du fertig?"

Ich stehe auf. "Ja, wir können los." Wir gehen die Treppe herunter. Unten schlüpfe ich in meine Chucks, die ich eigentlich zu jeder Gelegenheit anziehe - dementsprechend sehen sie auch aus. Luke sagt schnell Bescheid, dass wir jetzt weg sind, dann verlassen wir das Haus.

"Wir gehen mal in die Innenstadt. Unterwegs kommen wir auch an der Schule vorbei.", sagt Luke.

"Okay.", sage ich nur. Ich weiß echt nicht, was ich dazu sagen soll. Ich finde kein Gesprächsthema mit ihm. Generell fällt es mir schwer, mit Leuten zu reden, die ich neu kennenlerne. Ich bin einfach ein wahnsinnig schüchterner Mensch und gerade, wenn ich mit Jungs spreche, bekomme ich manchmal kein Wort heraus. Besonders bei solchen wie Luke.

"Das ist die Schule.", sagt Luke und deutet nach links. Wir sind nur fünf Minuten gelaufen. Ist ja super, dass die so nah ist, dann muss ich nicht mit dem Bus oder Fahrrad fahren. Die Schule ist echt schön, in einem alten Backsteingebäude mit großem Schulhof. Sie sieht nicht so groß aus, dass man sich darin nicht zurechtfindet, aber ist trotzdem größer als meine alte.

"Wie ist die so?", frage ich, um etwas Intelligenteres als "okay" zu sagen

Luke zuckt mit den Schultern. "Na ja. Schule halt." Er macht eine kurze Pause, dann ringt er sich offenbar doch noch dazu durch, noch etwas zu sagen. "Sie ist in Ordnung. Die Lehrer sind okay, die Leute sind cool. Die Jahrgänge sind relativ klein, du wirst dich schnell zurechtfinden."

let me be your babyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt