vierunddreißig

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Kaum sind James und Mum aus dem Raum, streift Luke seine Schuhe ab und legt sich neben mir aufs Bett. Ich drehe mich auf die Seite und schaue ihn an. So liegen wir da und schauen uns eine Weile nur in die Augen, als würden wir versuchen, tief ins Innere des anderen zu schauen. In Lukes Blick liegen Schmerzen und Verzweiflung.

"Ich hatte solche Angst um dich, Bella.", sagt er schließlich heiser.

Kurz schließe ich die Augen. Es tut weh, ihn so zu sehen - wegen mir. "Ist ja nochmal gut ausgegangen.", höre ich mich sagen, doch so richtig kann ich meine Worte selbst nicht glauben. Wie kann man so etwas gut ausgegangen nennen? Wie können alle sagen, ich hätte Glück gehabt?

"Und jetzt ehrlich.", sagt Luke leise. "Wie geht es dir wirklich?"

Ich schlucke hörbar. "Wie gesagt, schon okay."

Luke zieht leicht die Augenbrauen hoch. "Isabella, bitte mach jetzt nicht dicht. Mit mir kannst du reden, das weißt du doch."

Ich beiße mir auf die Lippe, versuche nicht zu weinen. "Es war so schrecklich.", bringe ich nur hervor, dann brechen die Tränen aus mir heraus, die ich die ganze Zeit versucht habe zurückzuhalten.

Luke seufzt, legt seinen Arm um mich und will mich an sich ziehen, doch ich zucke zurück. "Nein! Nein, bitte nicht.", bricht es atemlos aus mir heraus. Meine Hände zittern. "Nicht so anfassen, bitte nicht."

Luke sieht so getroffen aus, dass es mir beinahe das Herz bricht. "Ich kann nicht, es tut mir Leid, ich kann einfach nicht.", schluchze ich und schlage die zitternden Hände vors Gesicht. "Ich muss immer daran denken, es war so..."

"Hey. Isabella, schon gut, beruhige dich.", sagt Luke beschwichtigend. "Es ist alles gut. Ich verstehe das wirklich."

Es dauert eine Weile, bis ich ihn wieder anschauen kann. Es tut weh, ihn so leiden zu sehen, nur wegen mir. 

"Ich bin für dich da, Bella. Ich hoffe, das weißt du.", flüstert Luke schließlich nach einer langen Stille. Ich nicke. 

Ich spüre, wie Luke vorsichtig meine Hand nimmt, bemüht, nicht zu weit zu gehen. Ich lasse sie liegen, zucke nicht zurück. Es fühlt sich gut an. Seine Hand ist warm und weich, so wie immer.

"Es tut mir alles so Leid.", sagt er leise. "Ich hätte dich nicht allein gehen lassen dürfen. Ich hätte mehr auf dich achten sollen. Ich hätte merken müssen, dass etwas nicht stimmt."

Ich schüttele sofort den Kopf. "Nein. Hör auf, Luke. Es hat überhaupt nichts mit dir zu tun. Im Gegenteil, du bist gekommen und hast das Schlimmste verhindert. Ohne dich..."

Ich merke, dass Luke widersprechen will, doch dann schluckt er nur. "Es war so grausam, dich so zu sehen."

Ich schließe kurz die Augen, um die Tränen aufzuhalten, doch es ist ohnehin längst zu spät.

"Kannst du nachher dabei sein, wenn die Polizei mich befragt?", frage ich. "Wenn das geht. Ich kann das nicht alleine. Und ich kann mich nicht mehr an alles erinnern."

Luke nickt. "Ja klar." Ich bin dankbar. Ihm fällt es wahrscheinlich auch nicht leicht. Aber zu zweit darüber zu reden ist besser, als ganz alleine befragt zu werden.

***

Etwas später steht dann die gynäkologische Untersuchung an. Mum, die rechtzeitig von ihrer Kaffeepause zurück kam, bringt mich bis zur Tür. Als sie Anstalten macht, mit rein zu kommen, halte ich sie jedoch auf. "Bitte nicht. Du solltest nach Hause fahren, ehrlich. Du bist schon die ganze Nacht hier gewesen."

Unsicher schaut sie mich an. "Meinst du nicht, dass es leichter für dich ist, wenn ich dabei bin?"

Bestimmt schüttele ich den Kopf. "Nein, ich glaube das würde es nicht leichter machen. Du musst dich ausruhen, Mum."

"Okay... okay.", sagt sie schließlich, doch man merkt, dass sie mit sich hadert. "Aber nur, wenn ich wirklich nichts tun kann."

Ich schüttele den Kopf. "Nein. Ist schon okay."

Mum gibt mir einen Kuss auf die Wange. "Du schaffst das, Schatz. Das weiß ich. Spätestens morgen früh bin ich wieder da."

Ich winke ihr zum Abschied und will gerade an die Tür klopfen, als diese von innen auf geht. Eine jüngere Ärztin steht da. "Ach... Isabella Winter?"

Ich nicke. "Ja."

"Ich habe dich schon erwartet, komm rein."

Ich nehme ihr gegenüber an einem Schreibtisch Platz. "Dr. Collins hat mich schon über die wichtigsten Dinge informiert. Das hilft vielleicht, dann musst du nicht alles noch einmal erzählen. Aber trotzdem... Wenn es etwas gibt, was für die Untersuchung relevant sein könnte, kannst du mir alles sagen."

Langsam schüttele ich den Kopf. "Nein... Ich glaube, ich habe alles gesagt." Ich habe meinen Blick auf den Tisch gesenkt. In mir wallt wieder die Panik auf, wenn ich an die Untersuchung denke, die mir bevorsteht.

"Du brauchst keine Angst zu haben, Isabella.", sagt die Ärztin. "Ich weiß, es ist immer unangenehm, wenn man das erste Mal beim Frauenarzt ist. Besonders nach so einem Erlebnis. Aber ich bin hier, um dir zu helfen."

"Ich weiß.", murmele ich.

"Ich versichere dir, die Untersuchung wird schnell vorbei gehen und nicht weh tun. Ich bin Ärztin und glaub mir, ich habe das schon tausende Male gemacht." Sie lächelt, doch ich kann ihr Lächeln nicht erwidern. Was bringt es mir, dass sie das schon so oft gemacht hat? In diesem Moment gar nichts.

Ich schweige vor mich hin. "Okay...", sagt sie schließlich. "Wenn du dich bereit fühlst, kannst du dich dort hinter dem Vorhang untenrum frei machen und dann auf dem Untersuchungsstuhl Platz nehmen."

Ich schlucke. "Ich...", bringe ich trocken hervor. Ein fremder Mensch wird mich gleich anfassen. Vor einigen Tagen hätte ich das nicht so schlimm gefunden - jetzt schon. Mein Herz beginnt zu rasen, meine Hände zittern. "Ich kann nicht..."

"Alles gut.", sagt sie geduldig. "Wir können uns noch ein bisschen Zeit nehmen."

Es dauert einige Zeit, bis die Ärztin mich so weit gebracht hat, dass ich auf dem Untersuchungsstuhl Platz nehme. Sie ist nett, deshalb tut es mir wirklich Leid, dass ich mich so verhalte. Doch es ist wie eine Blockade und alles in mir sträubt sich gegen diese Untersuchung. 

Im Endeffekt geht es schnell und ist nicht so schlimm wie erwartet. Auch wenn es, anders als sie es angekündigt hat, schmerzhaft ist. Ich bin wahnsinnig erleichtert, als ich den Raum verlassen und wieder in mein Zimmer gehen kann.

Nach der Untersuchung dusche ich mich endlich ab. Ich dusche lange, schrubbe meinen Körper in der Hoffnung, dass das ekelhafte Gefühl verschwindet. Doch es hat keinen Sinn. Das Gefühl von fremden Händen auf meiner Haut bleibt. Fremde Hände, die brutal mit mir umgegangen sind und meine Wehrlosigkeit eiskalt ausgenutzt haben.

James hat mir, nachdem er Mum nach Hause gefahren hat, immerhin frische Kleidung mitgebracht und ich kann endlich die Klamotten der letzten Nacht loswerden. Danach fühle ich mich besser.

let me be your babyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt