dreizehn

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Am nächsten Morgen habe ich pochende Kopfschmerzen, als ich aufwache. Ich gehe den letzten Abend in Gedanken durch. Ich glaube, ich kann mich immerhin noch an alles erinnern. Die Gespräche mit Zoe, das Tanzen, das Flaschendrehen, der Moment mit Luke... Ich schüttele den Gedanken an ihn sofort ab. Ich sollte nicht drüber nachdenken. Es ist alles normal. Doch Zoes Bemerkungen gehen mir nicht aus dem Kopf.

Es ist schon elf Uhr, normalerweise schlafe ich nie so lange, doch heute kam ich auch erst um halb vier nach Hause. Und zwar nicht mit Luke - der ist irgendwann mit dem blonden Mädchen verschwunden und soweit ich weiß auch noch nicht wieder gekommen. Soll er doch, wenn es ihn glücklich macht.

Nachdem ich mir eine Kopfschmerztablette genehmigt und mich in Ruhe fertig gemacht habe, gehe ich nach unten in die Küche. Obwohl Samstag ist, scheint niemand zu Hause zu sein. Auf dem Küchentisch entdecke ich jedoch einen Zettel mit Mums Handschrift. Wir besuchen heute Freunde, wir kommen erst heute Abend wieder. Macht euch einen schönen Tag!

Ich seufze und lege den Zettel weg. Na gut, sollen sie das machen. Mir soll es Recht sein. Ich muss mich langsam wirklich mit der Tatsache abfinden, dass Mum jetzt einen neuen Lebenspartner hat, mit dem sie ihre Zeit verbringt, und ich eben nicht mehr die Nummer eins in ihrem Leben bin. Ich bin ja auch keine zehn mehr, das sollte okay für mich sein.

Ich schmiere mir ein Brötchen mit Nutella zum Frühstück und esse es in aller Ruhe. Dann bin ich heute wohl erst einmal alleine. Ich könnte alles tun und lassen, was ich möchte. Nur leider kommt mir nichts wirklich Tolles in den Sinn. Ich weiß ja auch noch gar nicht, wann Luke wieder kommt.

Schließlich fällt mir das ein, was ich schon die ganze Woche machen wollte - zur Kirche gehen. Ich bin immer noch nicht dazu gekommen. Ich bin selbst so begeistert von meiner Idee, dass ich den Rest meines Brötchens eilig herunter schlinge und mich direkt auf den Weg mache.

***

Die Kirche hier in Key West ist recht klein, aber immer noch größer als die in meiner Heimat. Außerdem ist sie wirklich wunderschön und ich denke, dass ich mich hier wohlfühlen werde. Eine Weile lang genieße ich nur die Stille in der Kirche und habe endlich mal wieder das Gefühl, Gott nahe zu sein. Dieses Gefühl hatte ich in der ganzen Woche, die ich jetzt schon hier wohne, noch gar nicht. Die Kirche ist einer der wenigen Orte, an denen ich meine Gedanken wirklich frei lassen kann und wieder einen klaren Kopf bekomme. Ich fühle mich danach immer ruhig und weniger aufgewühlt als vorher.

In der letzten Woche ist so viel passiert, dass ich es gar nicht so schnell verarbeiten kann. Die Situation mit Louis und seinen Freunden geht mir nicht aus dem Kopf und ich bin mir sicher, dass mich das auch noch eine ganze Weile im Alltag begleiten wird. In der Schulwoche habe ich es geschafft, das alles mehr oder weniger zu verdrängen, doch mir ist klar, dass das auf Dauer auch keine sinnvolle Lösung ist. Doch ich komme auch zu keiner anderen, für mich sinnvollen Lösungen. Es fühlt sich immer noch am Besten an, einfach damit klarzukommen, was passiert ist und zu hoffen, dass es nicht noch einmal vorkommt. Die Zeit heilt ja bekanntlich alle Wunden, warum nicht auch diese?

Die zweite Sache, die mir unentwegt im Kopf herumgeistert, ist Zoes Vermutung, die sie gestern geäußert hat. Ist es wirklich so, dass ich Luke verliebt anschaue? Wenn, dann ist es mir bisher noch nicht aufgefallen. Ich sollte wohl mal besser auf meinen Gesichtsausdruck achten.

Und was ist mit ihm? Auch da ist mir bisher noch nichts Außergewöhnliches aufgefallen. Ich kenne ihn zwar noch nicht lange, aber meiner Ansicht nach verhält auch Luke sich völlig normal mir gegenüber. Klar hat er manchmal seine Momente, in denen er seinen Beschützerinstinkt etwas zu sehr heraushängen lässt, aber dass liegt wohl eher daran, dass er sich jetzt wie ein großer Bruder fühlt. Und ja, es gab auch schon Momente zwischen Luke und mir, in denen wir uns sehr nah waren, aber das war doch nichts Besonderes. Ich bin froh, dass er in der letzten Woche meistens für mich da war.

Beim Rausgehen werfe ich einen Blick auf das schwarze Brett der Kirche. Kirchenchor - Soprane gesucht. Ich muss lächeln. Nach genau so etwas habe ich gesucht. Ich finde zwar keine weiteren interessanten Angebote, aber das reicht mir völlig. Montagabend, 19 Uhr, das werde ich mir merken. Es tut mir sicher gut, hier auch ein Hobby zu haben und wieder mehr Zeit in der Kirche zu verbringen.

***

"Wo verdammt warst du?", werde ich von Luke begrüßt, als ich wieder zu Hause ankomme. Er steht mit verschränkten Armen und düsterem Gesichtsausdruck im Flur.

Ich runzele die Stirn und schließe die Tür hinter mir. "Was geht dich das an?"

"Oh, das geht mich sogar sehr viel an!", sagt er laut und geht ein paar Schritte auf mich zu. "Ich habe mich doch gestern Abend deutlich ausgedrückt und dir klar gemacht, dass du nicht in betrunkenem Zustand irgendwelche Dinge tun sollst, die du später bereuen wirst!"

Jetzt leuchtet mir ein, wieso Luke so einen Aufstand macht. Er denkt, dass ich genau wie er die Nacht in einem fremden Bett verbracht habe und jetzt erst Heim komme. Ich verkneife mir ein Grinsen, auch wenn mich das Theater gerade innerlich tierisch aufregt. Doch ich beschließe, ihn noch ein bisschen hinzuhalten.

"Ich bereue aber nichts.", zische ich und trete einen Schritt an ihn heran. "Was genau ich mit wem mache, ist meine Sache. Und du wirst es ohnehin nicht erfahren."

Lukes Mund klappt erschrocken auf, dann funkeln seine Augen wütend. Er legt seine Hände an meine Oberarme und sieht mich eindringlich an. "Isabella, das kann doch nicht dein verdammter Ernst sein."

Ich mache mich groß und schaue ihn provozierend an. "Oh doch, das ist mein voller Ernst. Du hast mir nichts zu sagen, Luke. Ich kann tun und lassen, was ich will."

Luke atmet tief durch und ich spüre die Wut in ihm beben. Wieder muss ich mir ein Grinsen verkneifen. Ich genieße es, dass ausnahmsweise mal ich die Oberhand habe, auch wenn ich gerade lüge. Doch seine Reaktion ist es wert. "Bei welchem Idioten warst du?"

Ich zucke nur unschuldig mit den Schultern. "Tja... Das wird erst einmal mein Geheimnis bleiben."

"Bei wem warst du?", wiederholt Luke seine Frage eindringlich. "Den mach ich fertig."

Genervt verdrehe ich die Augen. "Keine Sorge, niemand hat mir wehgetan. Im Gegenteil, es war gut."

Lukes Körper spannt sich an und er gräbt seine Finger fest in meine Oberarme. Ich schüttele ihn ab und drehe mich um. "Wenn du mich entschuldigen würdest, ich habe noch zu tun." Mit diesen Worten gehe ich die Treppe hoch. Luke kommt mir hinterher geeilt und bevor ich die Zimmertür hinter mir schließen kann, kommt er ebenfalls hinein.

"Isabella, ich will wissen, welches Arschloch dich mit nach Hause genommen hat!", ruft er wütend und schlägt an die Wand. "Das kann doch nicht dein Ernst sein, so etwas Wichtiges einfach so wegzuschmeißen!"

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. "Ach, und bei dir ist das alles völlig in Ordnung, oder was? Du kannst mir auch nicht erzählen, dass du bei deinem ersten Mal völlig nüchtern warst. Und gestern bist du doch auch noch mit zu dieser blonden Barbie gegangen."

"Das ist doch was völlig anderes.", knurrt er.

"Oh nein, das ist überhaupt nichts Anderes!", sage ich laut. "Du kannst mir nichts vorschreiben, wenn du dich selbst nicht besser verhältst!"

"Mann, Isabella, versteh es doch!", ruft er laut und geht einen Schritt auf mich zu. Wieder hält er mich an den Schultern fest. "Du bist mir wichtig, okay? Und du kannst mir nicht erzählen, dass du mit deiner christlichen Einstellung wirklich dein erstes Mal an irgendeinen besoffenen Typen verschenken wolltest. Das sollte etwas Besonderes sein, zumindest bei dir."

Ich kneife die Lippen zusammen. "Tja... Zu spät. Ich bereue trotzdem nichts."

Lukes Augen funkeln wütend, dann lässt er von mir ab und stürmt aus dem Raum. "Ach, mach doch was du willst.", höre ich ihn noch murmeln, bevor er die Tür hinter sich zuschlägt.

let me be your babyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt