acht

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Am nächsten Morgen habe ich beinahe Angst, in die Schule zu gehen und ich spiele einen Moment mit dem Gedanken, mich krank zu stellen. Doch ich weiß, dass mich das keinen Schritt weiter bringen würde. Vermutlich würde es Louis, Matt, Josh und Noah sogar nur noch die Bestätigung geben, die sie suchen, und diese Genugtuung werde ich ihnen sicher nicht geben. Außerdem würde ich mir damit nur noch mehr die Chance verspielen, in der Schule guten Anschluss zu finden.

Also mache ich mich genau wie gestern zu Fuß auf den Weg, nachdem ich mich aus dem Bett gequält habe. Mit jedem Schritt, den ich der Schule näher komme, wächst meine Angst.

In der ersten Stunde habe ich Biologie. Meine Hoffnung, nicht mit Louis oder Josh in einem Kurs zu sein, erlischt, als ich den Raum betrete, in dem schon einige Schüler Platz genommen habe. Mein Blick fällt sofort auf die Beiden, die sich in die zweite Reihe gesetzt haben. Mir wird kalt und ich erstarre für einen Moment.

Auch Josh bemerkt mich sofort und er stößt Louis mit dem Ellbogen an. Dieser blickt von seinem Smartphone auf und grinst mich schäbig an. Mir wird übel.

Ich zwinge meine Beine, sich in Bewegung zu setzen, und bahne mir einen Weg durch die Reihen. Mein einziges Ziel ist es, einen Platz in möglichst großer Entfernung zu Louis und Josh zu finden.

"Hey!", kommt es da von rechts. Ich blicke mich um. Ein blondes Mädchen lächelt mich strahlend an und hat die Hand zum Gruß gehoben. Verwirrt schaue ich sie an. Soweit ich weiß haben wir uns gestern nicht kennen gelernt und hatten auch noch keinen Kurs zusammen.

"Isabella, richtig?", fragt sie. Ich nicke überrascht. "Ich bin Zoe.", stellt sie sich vor. "Setz dich doch." Sie deutet auf den freien Platz neben sich. Ich zögere eine Sekunde, doch dann setze ich mich entschlossen neben sie. Sie macht mir nichts vor, ihre Freundlichkeit ist ernst gemeint.

"Danke, das ist lieb.", sage ich ehrlich und bringe ein Lächeln zustande.

"Gerne doch.", antwortet sie strahlend. "Du wunderst dich sicher, woher ich deinen Namen kenne. Simon hat ihn mir verraten. Er meinte, du bist die Stiefschwester von Luke und neu in unserer Stufe."

Ich nicke und denke einen Moment nach, wer Simon ist, doch dann fällt mir der große, blonde Freund von Luke ein. "Achso. Und woher kennst du Simon?", frage ich nach.

Zoe lacht. "Stimmt, das kannst du ja gar nicht wissen. Ich bin seine Schwester."

Ich muss grinsen. Ich hatte schon den Verdacht, dass die beiden ein Paar sind, doch dass sie seine Schwester ist, ist viel offensichtlicher. Erst jetzt fällt mir auf, wie ähnlich sie sich sehen. Zoe hat genau die gleichen wunderschönen blonden Locken wie ihr Bruder. "Stimmt, jetzt wo du es sagst... Hätte ich auch gleich drauf kommen können."

"Ja, wir bekommen ziemlich oft zu hören, dass wir uns ähnlich sehen.", sagt Zoe, während sie ihre Schulsachen aus dem Rucksack kramt und vor sich auf dem Tisch ausbreitet. "Und wie fühlst du dich hier in Key West?"

Ich zucke mit den Schultern.... "Na ja, es ist hauptsächlich ungewohnt. Ist natürlich nicht so schön, die Heimat zu verlassen. Aber... es ist in Ordnung."

Zoe lacht leise auf. "Klingt ja nicht so begeistert."

Ich grinse schief. "Ich muss mich wohl erst einmal einleben und Anschluss finden, danach ist es sicher schon besser."

"Anschluss hast du ja jetzt." Sie lächelt. "Die Jungs sind am Freitag bei uns und ein paar andere Leute sind auch noch eingeladen. Du kannst ja gerne auch kommen."

"Ich weiß nicht...", sage ich zögernd. Ich weiß zwar nicht, was genau das am Freitag werden soll, aber ich bin definitiv kein Partygirl, das ist einfach nicht meine Welt.

"Komm schon." Sie stößt mich mit dem Ellbogen auffordernd in die Seite. "Es ist meistens ganz lustig, glaub mir."

"Na gut.", gebe ich mich geschlagen. "Danke für die Einladung." Ich bin mir zwar nicht sicher, ob das mein Ding ist, aber ich sollte wohl jede Gelegenheit nutzen, um Anschluss zu finden. Und wenn es mir nicht gefällt, kann ich immer noch eher gehen.

***

Der Tag vergeht glücklicherweise viel, viel schneller als der vorherige. Ich bin echt verdammt froh, Zoe kennen gelernt zu haben und wir verbringen auch die Pausen miteinander. Ich erfahre eine Menge über sie. Es gibt Menschen, mit denen man einfach von Anfang an ganz locker und unbefangen reden kann, und Zoe gehört definitiv dazu. Leider haben wir nicht allzu viele Fächer zusammen, und so verbringe ich die meisten Schulstunden dann doch alleine. Das macht mir solange nichts aus, bis ich in der letzten Stunde Literatur habe.

Die Sitzordnung ist genau die gleiche wie gestern und es ist natürlich auch niemand bereit, daran was zu ändern. Ich habe erst versucht, mich auf einen Platz in der ersten Reihe zu setzen, doch wurde direkt gebeten, den Platz zu verlassen. Das nehme ich auch niemandem übel, doch so bleibt mir nichts anderes übrig, als mich wieder hinten auf den Platz von gestern zu setzen.

Ich habe noch die kleine Hoffnung, dass Louis und Josh die letzte Stunde schwänzen, doch kurz vor Unterrichtsbeginn betreten sie den Raum. Ihre Blicke sind sofort auf mich gerichtet. Ich starre in mein Schulbuch.

Louis lässt sich neben mir auf den Stuhl fallen und rückt unnötigerweise noch ein Stück näher an mich heran. Ich schlucke.

"Hallo, Isabella. Schön dich wiederzusehen. Unser Abschied gestern war ja doch ziemlich abrupt, oder nicht?"

Ich antworte nicht, sondern rücke nur ein paar Zentimeter weiter weg, was jedoch keinen großen Effekt hat.

"Hey, willst du nicht mit uns reden?", mischt Josh sich ein und lehnt sich über den Tisch zu mir. Louis und eher fangen an zu lachen.

Ich blicke entschlossen auf. "Nein, danke, ich möchte nicht mit euch reden. Das Gespräch gestern hat mir gereicht.", sage ich kühl, auch wenn ich nicht weiß, woher ich in diesem Moment den Mut nehme. Doch was ich genau weiß, ist, dass es nur dann besser wird, wenn ich mich weiterhin wehre.

Die Jungs scheinen tatsächlich für einen Moment überrascht davon zu sein, dass ich etwas erwidert habe, doch dann fangen sie sich wieder. "Schade, wir hätten alle gerne noch mehr Zeit mit dir verbracht.", sagt Louis ironisch. Glücklicherweise betritt genau in diesem Moment unser Lehrer den Raum und beginnt mit dem Unterricht.

Der Unterricht hält Louis und Josh zwar wenigstens davon ab, weiterhin auf mich einzureden, doch nicht davon, mich zu berühren. Völlig rücksichtslos legt er seine Hand gefährlich weit oben auf meinen Oberschenkel.

Ein Schauer durchfährt meinen Körper, aber es ist definitiv kein schönes Gefühl. Am Liebsten würde ich aufspringen und hinausrennen, doch das kommt mitten im Unterricht nicht in Frage. Stattdessen drücke ich mit aller Kraft gegen Louis' Arm und versuche, ihn irgendwie abzuschütteln. Louis verstärkt seinen Griff. Ich schaue entsetzt zu ihm, doch er starrt völlig ausdruckslos nach vorne und lässt sich absolut nicht anmerken, was er hier gerade unterm Tisch in der letzten Reihe tut.

Mir wird schlecht, als seine Hand weiter nach oben wandert. Mit aller Kraft lasse ich meine Faust auf seine Hand donnern - die letzte Möglichkeit, die ich sehe. Doch ich habe Erfolg. Louis gibt ein leises Keuchen von sich und zieht seine Hand reflexartig weg. 

"Alles gut in der letzten Reihe?" Unser Lehrer hat sich von der Tafel zu uns umgedreht und schaut uns auffordernd an. Ich nicke schnell. "Alles in Ordnung.", murmelt Louis. Damit hat sich das Thema für diesen Tag erst einmal beendet.

let me be your babyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt