zweiundfünfzig

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Die kommende Woche ist sehr merkwürdig. Luke und ich schaffen es ziemlich gut, uns gegenseitig zu meiden. Natürlich begegnen wir uns ständig, aber ignorieren uns gekonnt. Wir wechseln kaum ein Wort miteinander. Am komischsten ist es beim Abendessen - unsere Eltern legen nämlich noch immer sehr viel Wert auf ein schönes, geselliges Familienessen. Luke und ich sitzen uns gegenüber und würdigen uns keines Blickes, während Mum verzweifelt versucht ein "nettes" Gespräch aufrecht zu erhalten.

"Was ist denn los bei euch? Seid ihr nicht gut drauf? Gibt es Streit?", fragt Mum nach ein paar Tagen und schaut uns beide abwechselnd an.

Synchron schütteln wir den Kopf. "Alles gut.", sage ich unschuldig. 

"Nur gerade viel Stress in der Schule. Klausuren und so.", fügt Luke hinzu.

Ich bin mir nicht sicher, ob Mum uns das abkauft, aber zumindest lässt sie es fürs erste darauf beruhen.

***

"Ich weiß, du bist vielleicht noch nicht wieder ganz im Partyfieber... Aber morgen hast du leider keine Wahl. Simon feiert seinen Geburtstag.", kündigt Zoe es mir am Donnerstag in der Schule an. 

Ich seufze unzufrieden auf. Ich hab in der letzten Woche schon mitbekommen, dass das ansteht, aber es erfolgreich verdrängt. "Oh, verdammt. Muss das sein?", frage ich.

Zoe nickt. "Ja, muss sein. Ich meine, es ist sein Geburtstag. Und vielleicht tut es dir ja auch ganz gut, mal wieder rauszukommen. Außerdem ist es ja bei uns zu Hause, so schlimm kann es also nicht werden."

"Ja, du hast wahrscheinlich Recht.", sage ich. Ich bin zwar absolut nicht in der Stimmung, aber vielleicht muss ich langsam auch mal über meinen Schatten springen.

"Ich habe einen Vorschlag.", kündigt sie an. "Nachmittags gehen wir in die Stadt und suchen uns beiden ein Outfit für die Party. Dann holen wir uns wieder irgendwo was zu essen und trinken bei mir zu zweit ein bisschen vor, bevor wir dann loslegen. Was sagst du?"

"Klingt gut.", sage ich schon etwas zufriedener. Das erinnert mich an meine erste Party hier in Key West, bei der ich mich noch viel unsicherer gefühlt habe. Mit Zoe ist es dann irgendwie doch immer gut.

Freitagnachmittag bummeln wir dann also entspannt durch die Stadt und ich bin schon deutlich besserer Laune. Ich war wirklich so lange nicht mehr feiern, dass ich vielleicht auch ein bisschen vergessen habe, wie viel Spaß das eigentlich machen kann. Und zwar nicht nur das feiern an sich, sondern auch das Ganze drumherum.

Wir suchen uns gegenseitig Outfits raus und verbringen eine Ewigkeit in der Umkleidekabine. Am Ende haben wir aber beide etwas ziemlich tolles gefunden. Zoe trägt ein pistaziengrünes Trägerkleid, ich schwarze Shorts und ein dunkelgrünes, bauchfreies Top. Wir passen sogar ziemlich gut zusammen.

"Ich finde, wir sehen bombe aus.", sagt Zoe, als wir uns vor dem Spiegel betrachten. Ich nicke überzeugt. "Wird gekauft."

Auf dem Rückweg holen wir bei unserer Stammpizzeria zwei Pizzen und machen uns dann zu Fuß auf den Weg zu Zoes und Simons Haus.

Simon ist schon dabei, unten alles vorzubereiten, als wir auftauchen. Er grinst uns an. "Hey, ihr beiden."

Ich lächele und ziehe ihn in eine enge Umarmung. Wir haben uns heute in der Schule gar nicht gesehen, sodass ich noch keine Gelegenheit hatte, ihm zu gratulieren. "Alles, alles Gute zum Geburtstag, Simon!"

Er erwidert die Umarmung. "Danke."

Ich ziehe sein Geschenk aus meiner Tasche. Ein paar selbstgebackene Kekse, eine Flasche von seinem Lieblingsschnaps und etwas Geld. Was Geschenke angeht, bin ich leider nicht besonders kreativ. Simon freut sich trotzdem wie ein kleines Kind.

"Wir gehen dann mal hoch.", sagt Zoe und unterbricht damit seinen freudigen Moment. Erst jetzt nehme ich Luke wahr, der hinter Simon im Türrahmen lehnt und seinen Blick wie immer partout abwendet.

"Ihr könnt auch gerne noch helfen!", ruft Simon Zoe hinterher, die jedoch schon die Treffe hochläuft.

"Nichts da, wir müssen uns noch fertig machen. Das schafft ihr schon alleine!", brüllt sie zurück. Ich lache und laufe Zoe hinterher. Zoe und Simon sind wirklich zwei ziemlich süße Geschwister.

Oben angekommen ziehen wir uns um und ich werde mal wieder von Zoe geschminkt. Das ist wahrscheinlich die eine Sache, die ich niemals lernen werde. Am Ende bin ich mit dem Ergebnis genauso zufrieden wie die letzten Male auch. Wir betrachten uns zusammen im Spiegel. Es ist immer wieder faszinierend, was ein passendes Outfit und ein bisschen Makeup alles aus einem herausholen können. Es ist nicht so, dass ich mich ohne hässlich finde, aber so finde ich mich gerade eben noch ein bisschen schöner. 

"Du siehst echt heiß aus.", sagt Zoe anerkennend.

Ich lache. "Danke. Du aber auch."

Ich weiß nicht, wann ich dieses Selbstbewusstsein bekommen habe. Bevor ich hier in Key West gelebt habe, hatte ich es jedenfalls noch nicht. Aber ich bin ziemlich stolz auf mich.

"Ganz ehrlich, wahrscheinlich könntest du heute Abend jeden Typen hier haben.", sagt Zoe und lässt sich neben mich auf das Sofa fallen. "Also trau dich doch mal was. Du kannst jetzt dein Leben leben."

Ich schnappe mir erst einmal gierig ein Stück Pizza. Ich habe wirklich Hunger. "Weiß ja nicht.", sage ich dann. "Ich glaube, so sehr bin ich noch nicht über Luke hinweg."

"Das vielleicht nicht.", sagt Zoe. "Aber muss man das? Ich glaube, man kann auch Spaß haben, ohne über jemanden hinweg zu sein. Du musst ja nicht gleich eine Beziehung suchen."

"Mal sehen was kommt.", sage ich nur. Ich glaube nicht, dass ich der Typ dafür bin, sich einfach auf einer Party jemanden zu suchen. Aber wer weiß, was der Abend bringt - vielleicht sollte ich tatsächlich mal meine Chancen nutzen. 

Zoe schenkt mir Wein nach, dann stoßen wir an. "Das wird ein guter Abend."

Ich nicke. "Auf jeden Fall. Es ist die erste Party seit der am Strand.", sage ich dann etwas nachdenklich."

"Ja.", sagt Zoe leise und legt eine Hand auf meine Schulter. "Und wie fühlst du dich damit?"

Ich zucke mit den Schultern und atme tief durch. "Gute Frage. Fühlt sich irgendwie komisch an, aber ich versuche, nicht so viel darüber nachzudenken. Zumindest nicht jetzt. Aber... ich habe schon das Gefühl, dass ich langsam wieder bereit bin zu feiern, zu trinken und zu tanzen. Oder sowas hier anzuziehen. Es wird besser."

Zoe lächelt. "Das freut mich. Ich bin sehr, sehr stolz auf dich."

Ich umarme sie fest, ohne etwas zu sagen. Sie soll einfach nur wissen, wie dankbar ich bin, sie als beste Freundin zu haben.

let me be your babyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt