zweiunddreißig

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Zoe hat sich neben das Sofa gehockt und streichelt meinen Arm. Ich sehe sie an. Ihre Augen sind rot und geschwollen, doch ich sehe die Stärke in ihrem Blick. "Wach bleiben, Isabella. Versuch wach zu bleiben, vielleicht ist das besser." Ihre Stimme klingt ruhig, doch ich höre das Zittern eindeutig raus.

Zoes Bruder hockt sich ebenfalls so hin, dass ich ihn ansehen kann. "Luke weckt eure Eltern. Dann schauen wir, wie es weitergeht. Es wird alles gut."

Ich versuche, meine Augen offen zu halten und nicht wieder das Bewusstsein zu verlieren, auch wenn es eine enorme Kraftanstrengung erfordert. Die Übelkeit ist grausam und ich wünschte, ich könnte mich einfach übergeben, doch das scheint nicht zu funktionieren. Immer wieder tauchen die Bilder von gerade vor meinem inneren Auge auf. Ich spüre die Berührungen immer noch und erneut breitet sich der Ekel in mir aus. Bitte, bitte, lass mich all das einfach vergessen.

Ich höre hastige Schritte. Mum. "Schätzchen. Oh Isabella." Sie ist blass, jegliches Blut scheint ihr aus dem Gesicht gewichen zu sein. Ihre Hand zittert leicht, als sie sie ausstreckt und auf meine Wange legt. "Wie konnte das passieren, wie konnte das nur passieren..."

James taucht hinter ihr auf und kniet sich neben mich. Er hat eine Tasche dabei. "Isabella? Hörst du mich?"

Er sieht mich an und wartet offenbar auf eine Reaktion. Ich gebe ein leises Wimmern von mir.

"Okay..." James fühlt meine Puls und leuchtet mir dann mit einer kleinen Lampe in die Augen. Einen Moment später drehen sich meine Pupillen wieder ins Schwarze. "Oje. Verdammt. Normal ist das nicht, da war definitiv mehr als nur Alkohol im Spiel."

"Ihr Rücken blutet ziemlich.", sagt Zoe. "Und ihre Wange..." Ihre Stimme bricht.

James nickt nur. "Ja. Ich kann hier nicht viel ausrichten, sie muss auf jeden Fall ins Krankenhaus. Ich fahre sie."

"Ich komme mit.", sagen Mum und Luke sofort. James erhebt sich. "Luke... Am Besten trägst du sie raus, ich hole schnell das Auto. Und pass auf, wenn sie sich übergeben sollte, dreh sie so, dass sie sich nicht verschluckt."

"Nein...", bringe ich leise hervor. Nicht ins Krankenhaus. Ich will nur in mein Bett und einschlafen und nicht wieder aufwachen. Ich will nur das alles vergessen. Ich will keine Untersuchungen und nicht darüber nachdenken müssen, was passiert ist. Ruhe, ich brauche einfach nur Ruhe.

"Bella... Wir müssen. Es ist das Beste." Dann spüre ich wieder Lukes Arme unter meinem Körper. Und so schrecklich ich mich in diesem Moment auch fühle, so gut fühlt sich dennoch Lukes Wärme an.

"Ich glaube es ist besser, wenn wir erst einmal nach Hause gehen. Halt uns auf dem Laufenden.", sagt Jordan. "Gut, mach ich.", murmelt Luke. Dann wird es wieder dunkel.

***
Das nächste Mal wache ich wieder im Krankenhaus auf. Ein Arzt hat sich über mich gebeugt. Unter mir spüre ich das kalte Leder einer Liege. Das Licht ist gleißend hell und bereitet mir stechende Kopfschmerzen. Panik wallt in mir auf und ich schnappe nach Luft.

"Ruhig, ruhig. Du bist im Krankenhaus, alles gut. Du bist in Sicherheit, okay?" Der Arzt hat eine tiefe, beruhigende Stimme.

Ich sehe mich hektisch um. Mum steht auf der anderen Seite der Liege und hält meine Hand. In meinem Arm steckt ein Zugang und eine durchsichtige Flüssigkeit fließt aus einem Infusionsbeutel in meinen Körper.

"Wir haben dir etwas gegen die Schmerzen und die Übelkeit gegeben.", sagt der Arzt. "Und Blut abgenommen. Dann sind wir hoffentlich bald schlauer. Wir müssen uns trotzdem kurz unterhalten, dann kannst du bald weiter schlafen, okay?"

Ich sehe ihn an und gebe einen unverständlichen Laut von mir. 

"Okay.", sagt er langsam. "Du hörst mich?"

Ein Krächzen entfährt mir. Meine Zunge scheint immer noch gelähmt zu sein.

"Versuch, deine Arme zu bewegen. Klappt das?"

Mein Körper fühlt sich an als wäre er aus Blei. Als ich meinen Arm leicht hebe, ist es, als wäre die Luft dicker als Wasser. Ich lasse ihn wieder fallen.

"Sehr gut. Und deine Füße, kannst du die bewegen?", fragt er weiter. Auch hier schaffe ich es unter größter Anstrengung, sie ein bisschen zu bewegen. 

"Gut, Isabella. Kannst du dich an das erinnern, was heute Nacht passiert ist?", fragt er. Sein Gesichtsausdruck ist ernst und gleichzeitig vorsichtig, als hätte er Angst, mich zu überfordern.

"Ja.", bringe ich undeutlich hervor. Ich versuche, die Bilder, die erneut vor meinen Augen aufflackern, beiseite zu schieben, doch es gelingt mir nicht. Mein Herz fängt an zu rasen und das EKG gibt ein schnelles Piepen von sich. Ich schließe die Augen. Schon wieder fühle ich mich wie in dichtem Nebel.

"Hey. Wach bleiben, Augen auf." Ich zwinge mich, meine Augen zu öffnen und schaue wieder in das Gesicht des Arztes. "Alles gut, ganz ruhig. Ich muss dir leider schon ein paar Fragen stellen. Aber das bekommen wir hin."

Mum drückt meine Hand. Ich bin ihr so dankbar, dass sie in diesem Moment da ist. In so einer Situation ist sie wirklich der einzige Mensch, dem ich vollends vertraue und der mir hilft.

"Hat dich eine andere Person so verletzt?", fragt der Arzt. Er deutet auf meine geschwollene Wange.

Ich nicke leicht. In meinem Hals scheint ein riesiger Kloß zu stecken, der mir beinahe den Atem raubt. "Vier.", versuche ich zu sagen, doch es kommt nur ein undeutliches Lallen heraus. Meine Zunge fühlt sich an wie aus Gummi.

"Bitte?" Er runzelt leicht die Stirn.

"Vier.", wiederhole ich etwas deutlicher.

Er stockt kurz. "Vier andere Personen." Dann nickt er langsam. Mums Griff um meine Hand wird fester. In ihr scheint es vor Wut und Verzweiflung zu brodeln. "Und meinst du, diese Personen könnten dir etwas verabreicht haben? Vielleicht in deinem Getränk?"

"Mh.", mache ich undeutlich und schließe wieder die Augen. Ich weiß es tatsächlich nicht. Ich bilde mir ein, gut auf die Getränke aufgepasst zu haben, aber es gab sicher Momente, in denen ich nicht genau hingeschaut habe. Anders kann ich mir meinen Zustand und die ganze Situation nicht erklären.

"Gut." Er seufzt. "Ich würde vorschlagen, dass wir uns morgen noch einmal darüber unterhalten und du dich erst einmal ausschläfst. Es kommt gleich noch eine Kollegin und kümmert sich um die Wunden an deinem Rücken. Tut dir sonst etwas weh?"

Ich schüttele leicht den Kopf, auch wenn das nicht ganz die Wahrheit ist. Eigentlich tut mir alles weh, würde ich jetzt am Liebsten sagen. Doch um das genau zu beurteilen, müsste ich wohl mehr bei Sinnen sein. Ich bin irgendwie auch froh, gerade noch in meiner Wattewolke zu sein. Hier sind die Gefühle nicht ganz so stark.

"Die Wunden sind nicht tief, das ist gut.", sagt die Ärztin, die später meine Wunden versorgt. "Nur eben sehr großflächig. Wir müssen nur aufpassen, dass es sich nicht entzündet, aber dann sollte das schnell verheilen."

Ich liege teilnahmslos auf der Seite und habe die Augen geschlossen. Ich bin erschöpft, nur erschöpft. So unglaublich müde.

"Gut.", sagt die Ärztin schließlich an meine Mutter gewandt und legt die Decke wieder über meinen Körper. "Ich glaube, jetzt braucht sie wirklich Schlaf. Bleiben Sie über Nacht hier?"

"Natürlich.", sagt Mum sofort.

"Okay. Drücken Sie den Notfallknopf, falls etwas sein sollte. Über Unregelmäßigkeiten des Herzschlags werden wir automatisch informiert. Morgen sollte es ihr dann schon besser gehen. Dann schauen wir weiter."

Mum bedankt sich, die Ärztin verlässt den Raum, dann ist erst einmal Ruhe. Nur das regelmäßige Piepen des EKGs ist zu hören, doch das hindert mich auch nicht am Einschlafen. Ich spüre noch, wie Mum ihren Kopf neben meinem auf das Kissen legt, dann drifte ich wieder weg.

let me be your babyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt