sechsundfünfzig

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Lukes Schritte werden vom Sand so gedämpft, dass ich ihn erst bemerke, als er direkt neben mir steht. Ich blicke auf, bin erst wütend. Dann sehe ich seine geröteten Augen. Hat er geweint? Hat Luke Sawyer tatsächlich geweint? Augenblicklich schwindet meine Wut etwas. Ich kann es gar nicht haben, Menschen weinen zu sehen.

"Ich...", setzt er an, bricht dann kurz ab. "Ich- hab dir Frühstück mitgebracht.", bringt er dann stotternd hervor und hält mir zwei eingepackte belegte Brötchen hin.

Ich kann mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen und nehme die Brötchen entgegen. Dann kommen mir plötzlich die Tränen und ehe ich es verhindern kann, schluchze ich los. Ich vergrabe mein Gesicht an meinen Knien. 

"Oh... Oh nein, Isabella, bitte nicht...", höre ich Luke etwas unbeholfen sagen. Er nimmt neben mir Platz.

"Mann, es ist alles so scheiße.", sage ich. "Es war so scheiße in der letzten Woche. Und der Streit gerade." Ich schluchze noch ein paar Mal auf und wische mir dann die Tränen aus dem Gesicht.

Luke tätschelt nach kurzem Überlegen etwas unsicher meine Schulter, was mich beinahe wieder zum Lachen bringt. "Ich weiß. Für mich auch."

Ich seufze und ziehe ein Taschentuch hervor, um mir die Nase zu putzen.

"Ich glaube, ich muss jetzt mal ehrlich reden.", sagt Luke nach einer Weile. Er klingt entschlossen.

Ich nicke. "Ja, wahrscheinlich wäre das ganz gut."

"Okay." Er wendet sich mir zu und schaut mich an. "Du musst mich jetzt ausreden lassen, sonst schaffe ich das alles nicht, ja?" Ich nicke. "Gut. Also... Es war wirklich, wirklich schlimm die letzte Woche. Und zwar weil ich dich echt wahnsinnig gern habe und du mir unglaublich wichtig bist. Ich habe nur manchmal ein kleines Problem in meinem Kopf, was Liebe angeht. Ich weiß nicht, was das ist und woher das kommt, aber ich kann es nicht haben, wenn Menschen mich lieben und wenn ich Menschen liebe - dann bekomme ich irgendwie Angst. Vielleicht... hängt das irgendwie mit meiner Mutter zusammen, ich weiß es nicht. Und bei uns beiden... Ich mochte dich von Anfang an sehr gerne, das weißt du. Und wir beiden hatten eben diese eine Bedingung: Dass wir uns nicht ernsthaft ineinander verlieben, sondern dass wir eben ein bisschen ausprobieren, Spaß haben und uns toll finden dürfen. Diese Bedingung hat irgendwie dazu geführt, dass ich mich sicher mit allem gefühlt habe. Ich habe es mit einem Mädchen noch nie so weit kommen lassen, dass Liebe hätte entstehen können. Bei dir war die "Gefahr" größer, das wusste ich sofort, und deshalb hat mich diese Grenze, die wir gezogen haben, beruhigt." Er macht eine kurze Pause und schluckt. Die ganze Zeit hat er seinen Blick nicht von mir gelöst. In seinen Augen liegt so viel Schmerz, Angst und Hoffnung. Ich sage nichts, sondern warte ab, bis er weiter spricht. 

"Als du das dann letzte Woche gesagt hast... Dass du mich liebst... Da hab ich Angst bekommen. Es ist, als wäre ich allergisch gegen dieses Wort oder so etwas, weil es im ersten Moment eben nur Angst in mir auslöst. Und dann kommt mein Fluchtinstinkt und ich muss einfach weg. Natürlich habe ich mich nachher dafür geschämt, dass ich so reagiert habe, weil mir ja auch bewusst ist, wie das für dich ausgesehen haben muss. Aber gleichzeitig habe ich versucht, rational zu denken und mich nicht von Gefühlen leiten zu lassen. Und dann habe ich beschlossen, dass es am Besten ist, wenn wir alles beenden und abbrechen. Ich halte mich gerne an meine eigenen Regeln, weißt du? Um mich selbst und andere zu schützen."

Ich nicke. "Verstehe.", sage ich leise und wende meinen Blick ab. Das tut weh, aber es tut weniger weh als zuvor. Wenigstens kann ich ihn jetzt verstehen.

"Hey." Er nimmt meine Hand. "Ich hab gesagt, du sollst mich ausreden lassen. Ich war noch nicht fertig."

Ich runzele die Stirn und schaue ihn wieder an.

Er räuspert sich. "Okay, jedenfalls... Das in der letzten Woche war so etwas wie eine Schutzreaktion. Ich dachte irgendwie, dass ein klarer Cut für uns beide am Besten wäre. Und ich hätte auch nicht gewusst, was ich dir sagen soll und wie ich mich erklären soll. Ich bin nicht gut darin, meine Gefühle auszudrücken. Diese Rede hier habe ich genauestens vorbereitet." Er lacht leise und auch ich muss grinsen. "Gleichzeitig bin ich verdammt eifersüchtig geworden in der letzten Woche. Das war schlimm. Als ich dann gestern dich mit diesem Typen gesehen habe, dachte ich, es würde mir helfen, selbst Sex zu haben, wenn du eben auch welchen hattest. Ich weiß, ziemlich kindisch. Und nicht mit dir reden zu können war auch schlimm. Ich hab nicht verstanden, dass es für uns beide so viel verletzender ist. Was ich sagen will, ist... Ich habe so reagiert, weil ich nicht wollte, dass wir uns lieben und uns dann verletzen. Und was habe ich erreicht? Genau das Gegenteil, nämlich dass wir uns beide verletzen. Dann ist mir bewusst geworden, dass es eh schon längst zu spät ist. Weil ich dich schon lange liebe." 

Luke kneift die Lippen zusammen. Seine Augen glänzen verdächtig. Auch ich gebe mir größte Mühe, die Tränen zurück zu halten. Ich mache jedoch nicht den Fehler, ihn noch einmal zu unterbrechen.

"Bella, ich liebe dich. Und ich hab das noch nie zu jemandem gesagt, deshalb ist das gerade nicht leicht. Aber es ist so. Ich weiß, dass ich eine Menge Fehler in der letzten Woche gemacht habe. Gerade das mit gestern tut mir unglaublich Leid, genau wie das, was ich dir eben an den Kopf geworfen habe. Ich habe mich komplett daneben benommen, aber ich hoffe, du kannst jetzt ein bisschen verstehen, warum ich mich so verhalten habe. Und du sollst wissen, wie Leid mir all das tut. Ich hoffe, du gibst mir noch eine Chance, denn ich will dich wieder zurück. Wir können uns in aller Ruhe überlegen, wie es weiter gehen soll. Aber ich will... mit dir zusammen sein. Ich kann nicht ohne dich."

Mein Körper zittert durch all die Emotionen, die ich in mir habe. Dann kann ich auch die Tränen nicht mehr zurück halten und fange schon wieder an zu heulen. Ich nicke. "Ja. Ja, ich will auch mit dir zusammen sein." 

Lukes Arme umschlingen mich und er vergräbt seinen Kopf an meiner Schulter. Ich kann die ganzen Gefühle in mir kaum beschreiben. Glücklich, erleichtert, erschöpft... Ich will Luke immer fester umarmen. Langsam beruhige ich mich wieder etwas und löse mich dann von ihm, um ihn anzuschauen. Meine Hand lasse ich an seiner Wange liegen.

"Danke, Luke. Danke, dass du mir das alles gesagt hast. Und ja, du hast dich echt daneben benommen, aber ich kann dir das verzeihen. Ich bin gerade einfach nur... erleichtert."

Luke lächelt, dann küsst er mich, als wäre es sein letzter Halt. Ich habe beinahe vergessen, wie gut das ist.

let me be your babyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt