siebenundvierzig

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Das Wochenende war noch wunderschön - ich bin traurig, als es vorbei ist und am Montag der Schulalltag wieder beginnt. Trotzdem finde ich es auch in der Schule perfekt, wie es mit Luke ist. Im Unterricht sehen wir uns nicht (das würde mich wahrscheinlich auch viel zu sehr ablenken), in den Pausen aber immer. Und in meinem Kopf geistert er sowieso die ganze Zeit herum, das lässt sich auch nicht abstellen. Ich will es aber auch nicht abstellen. Die Gedanken sind positiv und bringen mich zwischendurch immer wieder zum Grinsen. Ständig muss ich an die vorletzte Nacht denken und wie schön es war. Ich will das wieder.

"Okay, du musst mir nachher auf jeden Fall erzählen, was passiert ist.", sagt Zoe in der Pause zu mir. 

Ich schaue sie stirnrunzelnd an. "Wieso? Was soll passiert sein?" In dem Moment, in dem ich das ausspreche, merke ich schon, wie schlecht meine Lüge klingt. Ich bin nicht besonders überzeugend.

Sie schüttelt den Kopf und rollt mit den Augen. "Man sieht es dir ziemlich eindeutig an, Isabella. Du bist die ganze Zeit wie blöd am Grinsen. Irgendetwas mit Luke, habe ich Recht?"

"Pscht." Ich lege einen Finger auf meine Lippen und schaue mich um. Zum Glück scheint niemand in der Umgebung zu sein, den das hier interessieren könnte. Trotzdem bin ich lieber übervorsichtig. Es muss echt nicht sein, dass sich da etwas herumspricht. Ich stehe nicht gerne als Gesprächsthema im Mittelpunkt, schon gar nicht mit so etwas. "Ja, okay. Dann lass uns kurz nach da hinten.", sage ich und deute auf eine etwas entlegene, leere Ecke des Schulhofs. Zoe nickt und wir machen uns auf den Weg.

"Also... Wir hatten wieder was. Ziemlich viel sogar. Aber keinen Sex, falls du das denkst.", erkläre ich.

Zoe grinst. "Dachte ich mir doch. Wobei ich schon damit gerechnet hätte, dass ihr miteinander geschlafen habt. Und was genau hattet ihr so?"

Ich werde rot. "Das kannst du dir bestimmt vorstellen.", antworte ich. Es muss jetzt echt nicht sein, dass ich ihr das in allen Details offen lege.

"Ach, lass mal, lieber nicht." Sie verzieht das Gesicht. "Oh Gott, jetzt habe ich Gedanken."

Ich boxe ihr gegen die Schulter. "Nein, hör auf damit." 

Sie hebt die Hände. "Sorry. Aber zurück zum Thema: War es denn gut?"

Mein Grinsen kommt wieder zurück und ich merke, wie ich rot werde. "Ja, und wie. Irgendwie... fühle ich mich echt ganz schön wohl mit ihm. Vielleicht ein bisschen zu sehr. Ich bin süchtig."

"Ach, so ist das am Anfang doch immer." Zoe winkt ab. "Bei mir und Miles doch auch. Aber meistens legt sich das dann irgendwann ein bisschen und man ist einfach nur noch verliebt, kann aber wieder denken wie ein normaler Mensch."

"So sollte es aber nicht beim Stiefbruder sein.", sage ich. Die Bedenken, die ich bei der ganzen Sache, tauchen immer mal wieder in meinem Hinterkopf auf. Das, was wir tun, ist falsch. Das gehört sich nicht.

"Na und? Ihr seid nicht verwandt. Der Rest ist doch egal. Und solange es sich gut anfühlt und ihr euch beide wohl fühlt, go for it.", sagt Zoe bestärkend.

"Naja, aber es ist... unsittlich.", sage ich. Unsittlich. Oh je. Ich muss total bescheuert klingen für Menschen, die nie etwas mit der Kirche zu tun hatten.

Zoe lacht kurz auf, reißt sich dann aber zusammen. "Ich will dich nicht auslachen oder so. Ich weiß, dass dir die Kirche und Gott und so wichtig sind. Das ist ja auch vollkommen in Ordnung. Aber das sollte nicht bestimmen, was du tust und was du nicht tust."

"Hast ja Recht.", murmele ich, bin aber immer noch unsicher. Das, was ich momentan mit Luke habe, verstößt streng genommen gegen alle Prinzipien, die ich jemals hatte. Kein Sex vor der Ehe. Sich passend kleiden und nicht zu freizügig. Und schon gar nicht was mit seinem Stiefbruder anfangen. Ich versuche, die Gedanken abzuschütteln. Kirche ist Kirche. Ich muss mich aber nicht an alles halten. Außerdem ist es jetzt vermutlich sowieso zu spät - schon seit ich hier wohne, habe ich gegen sämtliche Regeln verstoßen.

"Komm, lass uns zu den anderen gehen.", sagt Zoe ermunternd, vermutlich um mich abzulenken - und um noch ein bisschen was von Miles zu haben. Bei dem Gedanken, dass ich dann wieder bei Luke stehe, muss ich wieder ein bisschen grinsen.

Auch Lukes Blick fällt direkt auf mich, als wir auf die Gruppe zugehen. Er grinst ebenfalls leicht, wobei er den einen Mundwinkel etwas weiter hochzieht als den anderen. Wie kann ein Lächeln so süß aussehen? Ob es ihm genauso geht wie mir gerade? Ob er sich auch die ganze Zeit so verwirrt und... verliebt fühlt? Ich hoffe es irgendwie.

Die Jungs begrüßen uns mit einem Winken. "Hey.", sagt Luke. Seine Stimme klingt heiser und tief, sein Blick löst sich nicht von mir. Ich schlucke.

"Hey.", antworte ich und versuche, dabei möglichst normal zu klingen. Ich bin mir nicht wirklich sicher, ob mir das gelingt. Schnell wühle ich in meinem Rucksack herum, um mein Brötchen herauszusuchen und um meinen wahrscheinlich hochroten Kopf zu verbergen.

Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie sich die Jungs vielsagende Blicke zu werfen. Ich frage mich, was Luke ihnen alles erzählt hat. Wie ich ihn kenne, nicht besonders viel - aber sie werden sich ihren Teil wohl denken können. Ich glaube, unser Verhalten ist schon ziemlich eindeutig.

Zoe geht sofort rüber zu Miles und drückt ihm einen Kuss auf die Lippen. Ich erwische mich dabei, wie ich plötzlich doch ein bisschen neidisch bin. Es hat schon auch Vorteile, wenn man wirklich offiziell zusammen kann und das alles nicht geheim halten muss, nur weil die Eltern zusammen sind. Aber das, was ich gerade mit Luke habe, ist irgendwie auch perfekt. Irgendwie auch aufregend.

"Wie geht's dir? Wie war der Unterricht?", fragt Luke. 

Etwas nervös wende ich mich ihm zu. "Äh... ganz gut. Wobei, eigentlich auch langweilig. Ähm- wir hatten Physik. Nicht mein Lieblingsfach." Nach jedem zweiten Wort verhaspele ich mich. Oh Mann. Wieso kann ich mich plötzlich nicht mehr normal verhalten? Nur weil er mich gestern... Ich schüttele den Gedanken sofort wieder ab. Wenn ich da jetzt weiter drüber nachdenken würde, würde es nur noch schlimmer werden.

Lukes Augen funkeln amüsiert. Er hält den Augenkontakt. Er kann das irgendwie ganz schön gut, ohne dass es ihm unangenehm wird. Und irgendwie schafft er es, mich mit seinem Blick so zu fesseln, dass ich auch nicht wegschauen kann. "Und bei dir?", frage ich schnell.

"Ganz gut. Wir hatten nur Sport.", antwortet er. Man sieht ihm überhaupt nicht an, dass er Sport gemacht hat. Liegt wahrscheinlich daran, dass er generell deutlich trainierter ist als ich. Vor allem, wenn er nichts anhat...

"Es hat gerade geklingelt, übrigens.", höre ich Zoe, als sie mit der Hand vor meinen Augen wedelt. Ich schaffe es, meinen Blick von Luke loszureißen. 

"Oh. Na dann mal los.", bringe ich hervor und spüre, wie mir wieder das Blut in den Kopf schießt. Beruhigend ist nur, dass Luke den Gong offenbar auch nicht wahrgenommen hat. Wie kann er mich nur so aus dem Konzept bringen?

let me be your babyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt