Gebrochene Versprechen

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(26.06.2015 – London, England)


„Lange nicht gesehen" ich stöhnte genervt auf, ich hatte ein wenig Frieden mit ihr geschlossen aber das hieß nicht dass ich sie weiterhin in meinen Träumen wollte. Ich drehte mich zu ihr um, sie stand wieder da, in meinem Körper während ich ihren innehatte. Sie stand im Spiegel, wie immer.

„mine ära" fauchte ich sie halbherzig an, forderte sie auf zu verschwinden. Sie lächelte mich an, ihr Blick war beinah stolz. „Du sprichst in der Sprache unserer Mutter zu mir. Ich fühle mich geehrt."

„Habs gegooglet" murmelte ich, es kam mir im Nachhinein lächerlich vor. Wie krank im Kopf musste man sein, für den Fall das man von seinem Alter Ego träumt ein Wort auf Estnisch zu lernen. Immer noch nicht das schlimmste, beziehungsweise sinnloseste was ich je getan hatte aber ziemlich nah dran.

„Das andere Wort nicht, das du auf der Party gesagt hast. An das hattest du dich erinnert. Weißt du was es bedeutet." Ich hatte es nicht mal Nachschlagen müssen, im Zusammenhang mit meinen Gedanken in dem Moment als es mir über die Lippen kam konnte es nur eines bedeuten „Großvater"

„Richtig" sie sah mich eindringlich an, was auch immer sie suchte schien sie nicht zu finden. „Er hat unsere Mutter getötet warum bist du nicht wütend darüber?" aus ihrem Gesichtsausdruck konnte ich eben so wenig lesen was in ihr vorging wie aus ihrem Ton als sie die Worte sprach.

„Welche dich getötet hat" erwiderte ich deshalb bemüht ebenso neutral zu klingen, eine Antwort vorerst umgehend „Warum bist du darüber nicht wütend?".

„Wer sagt dass ich es nicht bin" sie sah nicht wütend aus, eher ich wagte zu raten: herausfordernd. „Eben was wissen wir schon voneinander." sagte ich zu ihr, das war alles in meinem Traum aber ich hatte das Gefühl das ich dieses Gespräch dennoch führen musste. Um die Wahrheit zu sagen mein Mangel an rasender Wut auf meinen Großvater hatte mich selbst etwas überrascht aber das hieß nicht das ich so nicht empfand sondern eher das es keinen Unterschied machte wer sie getötet hatte, sie waren fort. Ich wollte meine neue Familie nicht verlieren in dem ich mich Rachegedanken und ähnlichem hingab.

Ich musste meinen Frieden schließen mit meiner Vergangenheit. Meiner ganzen Vergangenheit.

„Suvi" sie sah zu mir auf „es tut mir leid dass aus dir, ich wurde. Es tut mir leid dass ich mich nicht an dich erinnern kann. Mich nicht entsinnen kann jemals du gewesen zu sein. Aber auch wenn ich mich nicht erinnern kann bist du ein Teil von mir, ich habe keinen Zweifel mehr daran dass du mich all die Jahre aufrecht gehalten hast. Du bist wahrscheinlich der Starke Teil von mir. Und das ist das wichtigste daran, wir sind eins, du und ich. Wir müssen aufhören uns so zu treffen. Kannst du meine Schwäche akzeptieren wenn ich dir im Gegenzug verspreche mich selbst besser zu behandeln? Mich selbst zu lieben?"

Eine Antwort bekam ich nicht aber sie lächelte zum ersten Mal ohne Hohn oder Spott. Und irgendwie wusste ich als sie langsam verblasste das ich sie nie wieder sehen würde.

„Hüvasti Suvi" flüsterte ich in die dunkle Nacht hinein als ich aufwachte. Es war mehr ein Reflex, eine Nachwehe des Traumes als eine bewusste Entscheidung meines Hirns. Ich drehte mich so ruhig wie möglich, vermeiden wollend ihn zu wecken sollte er noch schlummern, zu Sherlock, er hatte tatsächlich die Augen geschlossen, seine Atemzüge kamen gleichmäßig und ruhig. Ich lächelte, er sah so friedlich aus, meine Finger wollten ihm die Locken aus dem Gesicht streichen aber ich hielt mich zurück. Begnügte mich damit seine Hand zu nehmen die neben seinem Kopf lag.


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(03.07.2015 – London, England)

Wie ein Sprung in die Themse dein Leben verändern kannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt