Trauer

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Nun gab es nichts mehr was ich vorschieben konnte, keine Aufgabe die mich aufrecht hielt und ich war nicht stark genug meine Emotionen noch länger zurückhalten zu können. Ich hatte mich meiner blutigen Kleider entledigt und war unter die Dusche getreten. Unter dem Strahl des kalten Wassers konnte ich nicht länger unterscheiden ob ich weinte oder nicht. Obwohl ich wusste das ich es tat, es gab keinen anderen Beweis als mein Schluchzen doch das wurde übertönt vom rauschen des Wassers.

Nur in der Einsamkeit des Badezimmers traute ich mich vorerst zusammenzubrechen, meine Beine gaben unter mir nach und nachdem ich mich erinnerte wie vor wenigen Wochen Rebecca ebenfalls in dieser Position an exakt dieser Stelle gewesen war verkrampfte sich mein ganzer Körper unter unsichtbaren Peitschenhieben. Ich hatte ihren Tod nicht verhindern können, nun musste ich nicht nur ohne sie weiterleben, sondern auch mit der Schuld die sich durch meine Eingeweide fraß.


Ein Blick.

Ein Blick über meine Schulter.

Ein Blick auf meine Frau.

Ein einziger Blick in ihr Gesicht hätte gereicht.

Nur für den Hauch einer Sekunde hätte ich zu ihr blicken müssen.


Ich spielte den Moment immer wieder in meinem Kopf ab. Zwang mich in der Leichenhalle zu stehen und zu hören wie sie fortging. Ich hatte sie nicht angesehen. Kaum einen halben Gedanken an ihr Verschwinden aus dem Raum verschwendet. Immer wieder ging ich es durch, wollte mich zwingen mich umzudrehen. Doch das Bild änderte sich nicht. Einen Blick Schwachkopf, mehr hättest du nicht gebraucht, schrie ich mich selbst an.

Ich presste meine Handballen gegen meine Augen, schüttelte meinen Kopf, nasse Locken klebten in meinem Gesicht aber ich spürte es ebenso wenig wie die Kälte des Wassers welches unbarmherzig über meinen Körper lief. Die restliche Wärme davontrug. Nicht wenn alles was ich denken konnte war das sie fort war, sie würde niemals mehr bei mir sein und das war meine Schuld.

Weil ich sie nicht angesehen hatte.


*

(05.07.2015 – London, England)


Etwas unterkühlt, schwach und eingewickelt in ein Handtuch stand ich in meinem Schlafzimmer. Überall waren Spuren von Rebecca, ich sah sie alle, sie pressten sich schmerzhaft in mein Bewusstsein. Mir wurde auch klar dass es inzwischen nach Mitternacht war, der erste Tag nach Rebeccas Tod war angebrochen. Allein dieser Gedanke brachte neue Tränen in meine Augen, ich hatte seit meiner Kindheit nicht mehr so viel geweint wie in den vergangenen Stunden.

Wie ein scharfes Messer bohrte sich die Tatsache in mein Herz das dies er erste von vielen Tagen ohne sie werden würde. Alles in mir sträubte sich dieses Wissen anzunehmen. Ich wollte mich gegen das Rad der Zeit stemmen nur um nicht in einer Welt leben zu müssen in der sie Vergangenheit war. Wie lange ich mit kraftlosen Gliedern in meinem Zimmer stand wusste ich im Nachhinein nicht mehr.

Nach einer Weile beschloss ich das Pflaster einfach abzuziehen und legte mich in unser Bett, mein Bett korrigierte ich mich, durch meine Unachtsamkeit gehörte es mir nun wieder ganz alleine. Sofort nahm ich den Geruch ihres Shampoos wahr und darunter lag ihr ganz eigener Duft, so flüchtig wie sie es in meinem Leben gewesen war.

Ich vergrub mein Gesicht in ihrem Kissen, mich dem Schmerz vollkommen hingebend, meine Gedanken wirr im Kreis laufen lassend und weinte bis ich keine Tränen mehr zu vergießen hatte.

Wie ein Sprung in die Themse dein Leben verändern kannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt