Alleingang

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(13.03.2015 - London, England)

Der Frühling kam langsam, ich hatte es immer geliebt wenn der Schnee schmolz und sich das Grün seinen Platz in der Natur zurückholte. Alles erwachte aus der kalten Starre die der Winter gebracht hatte, in diesem Jahr fühlte es sich auch für mich wie ein Neuanfang an.

Zwar hatte für mich bereits Anfang Januar ein neues Leben begonnen aber erst an diesem Freitag, im März fühlte ich mich neu bis auf die Knochen. Ich war aufgeregt, es war der erste Tag an dem ich alleine in die Stadt gehen sollte, nicht weit, nur bis zum nächsten Laden und zurück, dennoch Sherlock und John setzten großes Vertrauen in mich.

Die letzten Wochen hatten sie angefangen mich auf ein selbstständigeres, nicht immer überwachtes Leben vorzubereiten. Es hatte mit ein oder zwei Stunden, in denen ich alleine blieb angefangen, dann hatte John eine Schicht in der Klinik übernehmen müssen und ich blieb allein für acht Stunden. All diese kleinen Hürden hatte ich gemeistert, wobei es einen Zwischenfall gegeben hatte.

Lächerlich, im Rückblick betrachtet, ich hatte mir einen Salat machen wollen, war mit dem Messer abgerutscht und hatte mir in den Daumen geschnitten. Daraufhin hatte ich mich selbst in eine Panikattacke gedacht, was wenn sie dachten ich hätte es absichtlich gemacht? Was wenn ich nun wieder regelmäßig anfing mich zu schneiden? Warum hatte ich nicht aufpassen können? Warum war ich so unfähig?

Schlussendlich hatte ich nur keinen Rückfall in alte Muster bekommen weil ich mich mit dem Gesicht voran in Sherlocks Seite des Bettes geworfen hatte. Von seinem Geruch umhüllt hatte ich mich in den Schlaf geweint.

Dennoch ich hatte ein gutes Gefühl, jedoch hielt das John nicht davon ab mir zum gefühlt zehnten Mal zu erklären was wir taten, warum und dass ich ihn jederzeit anrufen könnte. Er schien nervöser zu sein als ich. Ich sah ja ein dass es risikoreich war ein ehemaliges Junkie Mädchen mit Bargeld in London umherlaufen zu lassen aber irgendwann musste ich dieses Pflaster abreisen. Ich konnte ja nicht für den Rest meines Lebens nur mit Sherlock oder John an meiner Seite raus gehen. Nicht dass es etwas Schlechtes war das zu tun, ich liebte es mit den Beiden Zeit zu verbringen aber ich wollte die Wahl.

„Ja ich weiß John, ich bekomme das hin" unterbrach ich ihn als er wieder von vorn anfangen wollte.

„Gut, ich weiß ich mache mir zu viele Gedanken aber...... hast du dein Telefon?"

Ich schüttelte lächelnd den Kopf, zeigte ihm jedoch mit meiner rechten Hand das Gerät. Er nickte zufrieden.

„Okay, die Liste hast du auch"

Diese zeigte ich ihm als nächstes, noch bevor er Luft zum Fragen holen konnte „Das Geld hat mir Sherlock gegeben. Ich habe alles, in zwanzig Minuten bin ich wieder da". Eine kurze Umarmung später verließ ich zum ersten Mal alleine die Baker Street. Sherlock war heute Morgen bereits sehr früh aus dem Haus gegangen, leider hatte er mich seit dem Banküberfall und dem Streit mit John zu keinen Fällen mehr mitgenommen. Er wollte aber irgendetwas hielt ihn zurück.

Vielleicht würde er mich mitnehmen, wenn ich den Test bestand, ich würde das schaffen. Direkt zum Laden, kaufen was auf der Liste stand, bezahlen und wieder zurück, einfach. Ich nahm einen tiefen Atemzug der vom Frühling gewärmten Luft, es war ein herrlicher Tag. Die Sonne schien, keine einzige Wolke war am Himmel zu sehen und irgendwie wirkte die Welt wacher, klarer.

Im Laufen fiel mir mal wieder auf wie einen doch die Menschen ganz anders ansahen je nach, dem wie man aussah. Noch im letzten Jahr, mit meinen abgetragenen Sachen, den ungewaschenen Haaren und dem gehätzten Verhalten einer Süchtigen hätten mich Blicke verfolgt, wenige mitleidig, viele verachtend aber alle abschätzend. Doch nun nahm niemand richtig Notiz von mir, ich war angepasst. Ich gehörte wieder zur „normalen" Gesellschaft.

Einzig meine Narben würden mich enttarnen, jedoch war es vollkommen angebracht lange Sachen zu tragen. Niemand würde erkennen was in mir vorging oder was ich durchgemacht hatte. Ich wusste ich würde für immer eine Süchtige sein, dieser Hunger in mir würde niemals vergehen, Sherlock hatte mir seine Geschichte anvertraut, im Schutze der Nacht um mich vorzubereiten auf die Hürden die ich nehmen musste, jeden Tag. Immer wieder neu.

Dennoch war ich zuversichtlich, es war alles gut. Meine Dämonen waren da aber ich lernte mit jedem Mal mehr ihren Angriffen auszuweichen oder zumindest zurückzuschlagen. Mein Training lief erstaunlich gut, dafür dass ich es hasste, Sarah war, keine Freundin, wir trafen uns nie außerhalb unserer Stunden am Montag- und Mittwochnachmittag jeder Woche, dennoch mochte ich sie.

Meine Tage waren ansonsten gefüllt mit Hausarbeit, die ich gerne für meine Mitbewohner tat, Sherlocks Geschichten, die seiner Fälle oder auch von seiner Vergangenheit im Allgemeinen, Kochversuchen mit John, Teekränzchen mit Mrs. Hudson und so vielem mehr. Ich wusste mich gut zu beschäftigen, dennoch die Süchtige in mir wollte mehr. Es war nicht nur die Zeit die ich mit Sherlock verbringen wollte die mich dazu brachte mich nach dem Abendteuer seiner Fälle zu verzehren, ich wollte die Aufregung die ich sonst nur aus seiner tiefen Stimme entnehmen konnte wenn er sich verlor in den Details eines Fallen und der Jagd durch London nach Verbrechern.

Beinah wäre ich an dem Geschäft vorbei gegangen, so in Gedanken war ich versunken gewesen, ich lachte kurz über meine eigene Verträumtheit. Als ich mich schnell umdrehte, dem Eingang entgegen, war es mir so als würde ich ein bekanntes Gesicht sehen aber noch bevor ich einen genaueren Blick in die entsprechende Richtung werfen konnte, rammte mich ein Mann in skinny Jeans.

„Oh mein Gott das tut mir ja so leid" entschuldigte er sich sogleich, als wäre nicht ich es gewesen die mitten auf dem Bürgersteig stehen geblieben war. „Alles in Ordnung, es war meine Schuld, wirklich" versicherte ich dem Fremden lächelnd.

„Nein ich hätte besser aufpassen sollen" sprach er weiter, seine Stimme klang melodisch, er wirkte so lebhaft „Ich habe auf mein Handy geschaut, ich arbeite in der Informationstechnik und ein neues Programm hat alle Patientendaten gelöscht und nun muss ich schnell ins Büro um sie wiederherzustellen" er sprach einfach immer weiter, er schien ein sehr offener Mensch zu sein.

Ich besah mich des Fremden während er sprach, er wirkte fast ein wenig übergepflegt, wenn das Sinn ergab aber ich wollte nicht kritisch sein, Vorurteile machen war schlecht, er gab acht auf sich, das war lobeswert. Es gab genug Männer die das nicht taten.

„Sieh an, ich rede und rede Sie hier voll und habe mich noch nicht einmal vorgestellt, wie unhöflich von mir" ich bekam das Gefühl das ich kein echter Teil dieses Gesprächs war.

Er hob eine seiner maikürten Hände zu einem kleinen Winken, wie es Sarah getan hatte, ich war schlecht in Zwischenmenschlichen Angelegenheiten, vielleicht tat man das so wenn man jemanden nicht die Hand geben wollte?


„Mein Name ist Jim"


[A/N: Gedanken? Gefühle?]

Wie ein Sprung in die Themse dein Leben verändern kannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt