Alltag gegen den Entzug

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„Sherlock" sagte ich und blickte ihn aufmerksam an. Er saß auf seinem Sessel, die Hände gefaltet und beide Zeigefinger lagen an seinen Lippen. Übersah man das sanfte heben und senken seines Brustkorbes könnte man glauben das er durch eine Wachsfigur ersetzt worden sei. Diese Regungslosigkeit seiner Position war ein Schauspiel das ich mir seit fünfzehn Minuten angesehen hatte.

Auch auf mein Rufen gab er mir keinerlei Antwort, er hatte nicht einmal gezuckt oder die Augen geöffnet. Es war 15.30, zeigte mir ein schneller Blick auf die Uhr. Das zittern im Schatten meines drohenden Entzugs und der damit verbundene Kopfschmerz waren kaum besser geworden aber man gewöhnte sich ja bekanntlich an alles.

Jedoch gab es da etwas das mir allmählig den Rest meines Verstandes zu rauben drohte und das war die Stille die über uns gefallen war. Diese ließ mir für meinen Geschmack viel zu viel Platz für meine Gedanken. Mein Geist und ich hatten kein besonders gutes Verhältnis, besser man ließ uns nie zu lange allein.

„Sherlock" sagte ich nun etwas energischer und siehe da, er lebte. Mehr als das, er bewegte sich sogar soweit das er mich ansah. In seinen Augen lag die Stumme Aufforderung: Sprich

„Sherlock" okay ich musste mir abgewöhnen andauernd seinen Namen zu sagen aber er rollte so wunderbar über meine Zunge, nebensächlich, ich hatte ein Anliegen.

„Ich höre meine Gedanken." Mit meinen Zeigefingern deutete ich das spirale kreisen meiner Gedanken an und fasste mir beinah selbst ins Auge, bevor ich merkte das meine Glieder wohl nicht mehr vollkommen unter meiner Kontrolle waren. „Können wir vielleicht irgendwas machen" schlug ich hoffnungsvoll vor da mir schwitzen, zittern und mich elend fühlen, allein auf Dauer echt öde wurden.

„Irgendetwas machen" wiederholte Sherlock meine letzten Worte, es klang beinah als wüsste er nicht recht was diese Worte in dieser Reihenfolge zu bedeuten hatten aber ich verstand es einfach mal als Aufforderung Vorschläge zu machen.

„Wir könnten drei Aussagen, zwei Wahrheiten spielen" war das erste das aus mir heraussprudelte, es war Sues liebstes Spiel gewesen und auch ich hatte Gefallen daran gefunden. Ich erinnerte mich an viele Abende an denen wir es gespielt hatten während wir herum gegangen waren, allein oder auch manchmal mit anderen Straßenkindern. Dies war vor ihrem und auch meinem Absturz gewesen.

Nichts desto trotz mochte ich dieses Spiel und hatte es lange nicht mehr gemacht. Des Weiteren war es ein gutes Mittel um mehr über einen Menschen herauszufinden und über diesen Sherlock Holmes wollte ich definitiv noch mehr wissen. Da war etwas an ihm das ich nicht fassen konnte aber das mich wie einen Magneten anzog.

Aber zu meinem Zuwachs an Wissen sollte es an diesem Tag wohl nicht kommen, den er schnaubte nur verächtlich und setzte einen 'ist das dein Ernst blick auf'. Ich hielt dem Stand, denn ja, das war mein ernst gewesen, weshalb er sich nach kurzem Schweigen dazu herabließ mir eine verbale Antwort zu geben.

„Ich würde gewinnen, ich hab dir schon mal gesagt, ich sehe es den meisten Leuten, so auch dir an wenn sie Lügen". Das war Wahr, also konnte nur die Schultern sinken lassen und mich ergeben. Er hatte das tatsächlich gesagt, nachdem ich ihn mit einem falschen Namen abspeisen wollte, im Nachhinein keine meiner Glanzstunden. Meinen Lebensretter anzulügen aber die Straße hatte schlimmeres aus mir gemacht als eine Lügnerin.

„John sieht sich gern irgendwelche Sendungen im Fernsehen an wenn ihm langweilig ist" holte mich Sherlock aus meinen trüben Gedanken und ich war ihm immens dankbar dafür.

„Gute Idee sehen wir fern" sagte ich begeistert, wann hatte ich das letzte Mal nur stumpf in eine Fernsehröhre geblickt? Ich konnte mich nicht erinnern. Ob das nun am Trauma meiner Kindheit, der Obdachlosigkeit oder den Drogen lag konnte ich nicht sagen, die Erinnerung klemmte einfach.

Wie ein Sprung in die Themse dein Leben verändern kannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt