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Jessica steht wartend und mit wippendem Fuß vor der kleinen Mall von Fitchburg, in der wir, wie verabredet, Kleider für meine Geburtstagsfeier kaufen wollen.
Ich will kein neues Kleid, nicht mal für meinen Geburtstag. Ehrlich gesagt, wünsche ich mich gerade zurück auf die Arbeitsfläche der kleinen gemütlichen Küche mit Jace zwischen meinen Beinen.

Aber ich habe Jess das hier versprochen und sie hat sich schon seit Tagen auf unseren kleinen Shopping-Trip gefreut.
Auch wenn ich über eine Stunde zu spät komme, sehe ich die Freude in ihrem Gesicht aufleuchten.
"Das wurde aber auch Zeit", begrüßt sich mich mit verschränkten Armen, als ich vor ihr zum Stehen komme.

"Es tut mir leid", sage ich etwas außer Atem, weil ich das letzte Stück hierher gejoggt bin.
Jessica macht eine abwertende Bewegung mit ihrer linken Hand. In der anderen hält sie eine lilafarbene Tasche mit glitzernden, blauen Schmetterlingen darauf.
Sie passt hervorragend zu ihren klobigen, schwarzen Boots und dem eng anliegenden Saint Laurent Jumpsuit, der ihren Kurven schmeichelt.

"Ich erwarte eine glaubwürdige Ausrede, Ophelia Rosethorn. Und überhaupt ..."
Sie macht einen Schritt nach hinten und betrachtet mich mit einer tiefen Falten auf der Stirn.
"Was hast du mit deinen Haaren gemacht?"
Sie lässt eine Kaugummiblase platzen.

Kurz überlege ich und fahre unter einen Träger meines Tops.
"Mal was Neues ausprobiert", antworte ich dann zögerlich.
"Ja ... lass das lieber sein."
Sie rümpft die Nase und knufft mich dann freundschaftlich in die Seite.

"Und jetzt erzähl mir endlich, warum du deine aller, allerbeste Freundin auf der ganzen Welt vergessen hast!"
Wir schlendern auf die breiten Schwingtüren zu und ich bin heilfroh, dass sie sich dabei bei mir unterhakt. Also alles fast wieder gut.

Dennoch lässt mir der Blick aus ihren stechend blauen Augen wenig Zeit zum Überlegen. Die kalte Brise aus der Klimaanlage lässt mich erschauern, als ich den Mund öffne.
"Probleme mit der Familie. Meine Mom ist wieder da und will alle organisatorischen Kleinigkeiten für meine Feier an sich reißen."
Jessicas Mundwinkel ziehen sich nach unten.

"Das tut mir leid", sagt sie mitfühlend.
Augenblicklich muss ich mich zusammenreißen, nicht angewidert das Gesicht zu verziehen.
Wie kann ich ihr nur so dreist ins Gesicht lügen?
Im ersten Laden, den wir betreten, spiegelt ein riesiger Spiegel die Szenerie wider.

Ich muss mich abwenden, weil ich meinen eigenen Anblick in diesem Moment nicht ertragen kann.
Ich sehe eine gottverdammte Heuchlerin.
Jess bekommt davon zum Glück nichts mit. Sie hat sich bereits auf den ersten Verkaufstisch mit nudefarbenen High Heels gestürzt.

Ich selbst tue so, als würden mich völlig überteuerte T-Shirts mit kleinen eingestickten Bienen interessieren.
Sie weiß, dass meine Mutter zur Kur war. Warum, weiß sie nicht wirklich.
"Wenn du darüber reden willst, ich bin immer da. Aber ich kann verstehen, wenn du jetzt erstmal an etwas anderes denken willst, als an die ewig lächelnde Georgia."

Mir gefällt es nicht, wie sie den Namen meiner Mutter ausspricht, dennoch lache ich.
"Letzteres trifft zu."
Um weiteren Fragen aus dem Weg zu gehen, drucke ich mich zwischen zwei Regale und suche nach einem Korsett in meiner Größe, einfach so, um dem kleinen Wirbelwind auszuweichen.

"Was hast du eigentlich nächsten Samstag vor?", fragt ihre helle Stimme über einen Stapel hellblauer Hosen hinweg, als wir uns bereits durch den halben Laden gearbeitet haben.
Ein Mädchen im Teenageralter drängelt sich zwischen mir und einer Schaufensterpuppe durch. Ihr Gesicht sagt deutlich aus, was sie vom Shopping-Trip mit ihrer Mutter hält, die ihr dicht auf den Fersen ist. 

Wie sehr ich die Zeiten vermissen, in denen meine Mutter und ich noch solche Touren unternommen haben.
Ich reißen meinen Blick von den Beiden los und sehe Jessica fragend an, fahre dabei mit meinen Fingern über ein seidiges Tuch.

Sie verdreht die Augen.
"Na, es ist ja wohl offensichtlich, dass es am Montag keine Chance für uns geben wird, deinen Geburtstag richtig zu feiern. Also müssen wir in einen Club gehen. Ah!"
Bei ihrem Aufschrei zucke ich zusammen.

"Jetzt hast du auch endlich keine Ausrede mehr, nicht mit uns in einen Club gehen zu können!"
Sie tut gerade so, als wäre sie fünf Jahre älter als ich, dabei sind es nur vier Monate.
Nichtsdestotrotz hatte Jess schon mit 18 einen gefälschten Ausweis, den sie gerne zum Besten gegeben hat.
Und ich hatte schon immer das Bedürfnis mich vor Aktivitäten wie Clubgängen mit allen Mitteln zu drücken.

"Ich weiß nicht, ich ..."
"Keine Widerrede, allein für deine Verspätung heute bist du mir das schuldig."
Nach diesen Worten schiebt sie ihre dunkel geschminkte Unterlippe hervor und sieht mich mit ihrem besten Hundeblick an.

Ich lasse die Schultern hängen.
"Sei ehrlich, wenn ich dich nicht angerufen hätte, hättest du mich ganz vergessen, hab ich nicht recht?"
"Na schön! Wir gehen Samstag aus", gebe ich mich geschlagen und werde gleich darauf in eine feste Umarmung gezogen.

Jess quietscht in mein Ohr und ein paar Strähnen ihres roten Haars gelangen in meinen Mund.
Ich lache und drücke sie an mich.
Die Schuldgefühle bleiben.
Ich bin es gewohnt zu lügen und ja, ich lasse viele Details aus meinem Leben aus, dennoch habe ich ihr noch nie so direkt ins Gesicht gelogen.

Und warum?
Ich schäme mich nicht wegen Jace. Ich habe nur Angst vor ihrem Urteil.
Denn wenn Jessica eins gerne und gut tut, dann ist es urteilen.
Aber mich sollte ihr Urteil nicht abhalten, wenigstens ihr von dem jungen Mann zu erzählen, der sich in mein Herz geschlichen hat.

"Dann müssen wir jetzt zwei Kleider kaufen. Ein Familientaugliches ist und eines, in dem dich deine Eltern besser nicht zu Gesicht bekommen", kichert sie in mein Ohr und tänzelt auf den nächsten Kleiderständer zu.
Ich verdrehe die Augen, folge ihr aber.

Für Jess werde ich eben in einen Club gehen, auch wenn ich noch nie verstanden habe, was Menschen daran so reizvolles finden - außer die offensichtliche Partnersuche natürlich.
Ich betrachte meine Freundin von hinten, wie sie ihr Haar über eine Schulter wirft und dann ein lachsfarbenes Kleid betrachtet.
Vielleicht will sie mich auch einfach nur verkuppeln.

Mit schlurfenden Schritten folge ich ihr durch jeden Gang des Geschäftes.
Eine eifrige Verkäuferin nimmt uns jedes der ausgewählten Kleider ab und hat auch schon eine Lieferung an die Haustür bestätigt, falls wir uns für ein Kleid entscheiden sollten.
Ich weiß jetzt schon, dass Jess das schwarze mit dem roten Tüll nimmt.

Wir betreiben Smalltalk und meidet es, meine Familie anzusprechen.
Wir unterhalten uns über unsere Pläne für den Sommer - sie und ihre Eltern werden voraussichtlich an die Côte d'Azur fliegen, ich habe noch keine wirklich Pläne.
Immer, wenn sie mir ihr strahlend weißes Lächeln zuwirft, zieht sich etwas in meinem Herzen zusammen.

Ich fühle mich kein bisschen besser, als wir drei Läden durchkämmt und laut Jess zwei heiße Favoriten haben.
In der vierten Boutique schaue ich ihr dabei zu, wie sie sich durch einen Ständer mit Jacketts wühlt, bis sie schließlich einen quietschgelben herauszieht und mit einer Grimasse hochhält.

Sie ist meine beste Freundin.
Und ich habe nichts Besseres zu tun, als sie anzulügen.
Das ist ihr gegenüber nicht fair.

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Song: Fit Back In - BOY

Reden wir einfach nicht über gestern Abend. Reden wir nicht drüber. Einfach nein. 

Ich bin echt traurig. Sowas nimmt mich immer mit :(

Anderes Thema ahaaa: Habt ihr schon mal eure beste Freundin / euren besten Freund angelogen? Also so richtig krass?

Ich gehe mich jetzt verkriechen. All my Love,
von eurer enttäuschten Lisa xoxo

P.S! ANNA TODD JUST ANSWERED ME HERE ON WATTPAD?!?!!!! DA FUK

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt