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Ich habe den restlichen gestrigen Abend damit verbracht, dass Gästebad zu putzen und jeden Hinweis von Jaces blutigen Wunden und meinen Versuchen, diese zu versorgen, in den Mülltonnen seitlich des Hauses zu verstecken.
Dad würde die blutigen Tücher und die Reste des Verbandmaterials nicht finden.

Aber was, wenn Mirella ...
Dieser Gedanke plagt mich noch jetzt, während ich in der Morgensonne am Küchentisch sitze und mein Müsli esse.
Hätte ich den Müllbeutel doch lieber unter drei und anstatt nur zwei Säcke mit Küchenmüll legen sollen?

Ich lasse meinen Löffel in die Schüssel fallen und stütze meine Stirn auf meinen geballten Fäusten auf.
"Na da sieht aber einer glücklich aus."
Ich blicke auf und erhasche einen seltenen Blick auf Ben, der in einem weißen T-Shirt, welches mit verzerrten Gesichtern einer Rockband bedruckt ist, zum Kühlschrank schlurft. Sein rechter Arm wird immer noch von einer Schlinge an seinem Oberkörper gehalten.

"Dir auch einen guten Morgen", seufze ich und senke den Kopf.
"Geht's dir nicht gut?"
Ben ist hinter der Kochinsel stehen geblieben und hält eine Milchpackung in der Hand.
Ich verenge meine Augen, nachdem ich mich gezwungen habe wieder aufzusehen; ihm damit zu zeigen, wie wenig Schlaf ich tatsächlich bekommen habe.

Sich Gedanken über Jace und seinen Zustand, seinen Aufenthaltsort, seine Sicherheit und seinen Gesichtsausdruck, kurz bevor er gegangen ist, zu machen, verträgt sich nicht gut mit der Nachtruhe.
"Könntest du bitte nicht -"
Ben hebt in diesem Moment die Milch an seine Lippen. Der Mittelfinger seiner gesunden Hand ist dabei in die Luft gestreckt.

"... aus der Packung trinken", beende ich meinen Satz.
Nach ein paar großen Zügen knallt der schwarzhaarige die Box auf den Tresen.
"Sieht nach einer langen Nacht aus", sagt er dann und nickt in meine Richtung.
Augenblicklich versteife ich.

"Wieso?"
Unschuldig streiche ich meine Haare hinter die Ohren und ziehe meine Füße unter den Stuhl, strecke meinen Rücken so gerade durch, wie meine Mutter es immer tut.
"Na, dein ganzes Gepauke für die letzten Prüfungen vor dem Sommer. Glaub mir, am Ende interessiert sich sowieso keiner mehr für deinen Abschluss. Ich weiß das aus erster Quelle."

Er zuckt mit den Schultern und stellt die Milch zurück an ihren Platz.
"Das stimmt nicht", behaupte ich, weil das meine Standardantwort ist.
Am Edgewood Collage Business und Art History zu studieren, ist zwar nicht wirklich meine Idee gewesen, sondern Dads, aber ich mag meinen Studiengang.

Immerhin konnte ich mich gegen ihn durchsetzen und nach Edgewood gehen, wo wenigstens Geschichte und Kunst meinen Alltag versüßen, was neben all dem Management und strategischem Verkaufswesen eine willkommene Abwechslung ist.
Nächstes Jahr um diese Zeit werde ich meinen Abschluss machen.

Und dann ... in Dad Imperium einsteigen, so wie Ben es nie können wird.
"Du weißt selbst, dass du bei unserem lieben Vater einsteigen könntest, ohne einen Schulabschluss zu haben. Er würde das natürlich nie erlauben, aber vom Prinzip her, wird uns Rosethorns doch alles in den Arsch geblasen."

"Warum hasst du Dad so?", frage ich.
Ben sieht mich eine Weile aus unergründlichen, dunklen Augen an.
"Weil ich sehe, was er dieser Familie antut und nicht so inkonsequent bin, wie du."
"Inkonsequent?", platze ich hervor.

"Entschuldige bitte, wenn ich versuche die Wogen zu glätten, damit wir einigermaßen erträglich in dieser Hölle hier verweilen können und damit du dir nicht wieder im Badezimmer die Pulsadern aufschneiden musst!"
Bittere Tränen rollen über mein Gesicht, brennen sich in meine Haut ein.

Der Schlafmangel zusammen mit Bens Undankbarkeit und Sturheit lassen mich austicken.
"Ich versuche alles, damit Mom zu uns zurückkommt und wir wieder eine Familie werden! Und soll ich dir mal was sagen?"
Meine Stimme bricht mitten im Satz.

"Kein Arsch interessiert sich dabei wie es mir geht oder ob ich daran zugrunde gehe!"
Ich kneife die Augen zusammen und dränge die verdammten Tränen aus meinen Augen.
Bens Finger krallen sich in die Arbeitsfläche.
"Ein Prinzesschen muss eben auch einstecken können. Es ist schließlich nicht mein Problem, wenn du an dieser Familie zugrunde gehst."

Er sagt dies mit so einer kühlen Fassung, dass ich nach Luft schnappe.
"Aber du bist diese Familie", japse ich.
"Nein."
Ich schaue auf die Tischplatte vor mir.

Unter meinen Fingernägeln befindet sich immer noch Blut.
Jaces Blut, das ich gestern unter Tränen versucht habe von mir abzuschrubben. Vergeblich.
Ich balle meine Hände erneut zu Fäusten, sodass meine Nägel aus meinem Blickfeld verschwinden.
Ich hatte die kleine Bürste benutzt, die dafür gedacht ist, Blumenerde unter den Nägeln hervorzuholen.

Dabei interessieren sich weder Mom noch Dad für den Garten.
Es werden Menschen dafür bezahlt, ihn für uns herzurichten.
Und als sich das klare Wasser nach ein paar Sekunden rot-braun gefärbt hatte, habe ich mir gewünscht, all die Schande und meine Abstammung genauso von mir waschen zu können.

"Ich habe es so satt", fauche ich. "Das alles."
Ben lacht böse auf.
Seine linke Hand hat die Arbeitsfläche verlassen und legt sich nun auf seinen mittlerweile schwarzen Gips.
"Dann geh doch. Ich glaube nicht, dass dich jemand vermissen würde."

Mit einem Schulterzucken dreht er sich um und verlässt die Küche.
Am liebsten würde ich aufstehen, die Schränke aufreißen und deren Inhalt über den Boden verteilen.
In mir ist dieses dumpfe, schwarze Loch, das mich auffrisst und niemand aus dieser Familie bemerkt es.

Niemanden interessiert es.
Es mögen harte Worte sein und sie schnüren mir die Kehle zu, aber ich weiß, dass sie wahr sind.
Dad würde mir sagen, dass ich erwachsen werden und zurück an die Arbeit gehen soll.
Mom wäre nicht dazu in der Lage mir eine Stütze zu sein, da sie, in ihrer Sucht und Abhängigkeit gefangen, bereits selbst Millimeter vor ihrem eigenen Abgrund steht.

Und Ben. Der hat seinen Standpunkt gerade ziemlich deutlich klargemacht.
Etwas ist mit ihm passiert. Hat ihn verwandelt.
Er wollte wirklich nicht mehr leben und als man ihn zurückgeholt hat, hat er all seine Lebensfreude zurück auf dem Badezimmerboden gelassen.

Und ich hasse ihn dafür.
Ich hasse mich dafür.
Er hat mich allein gelassen. Er hat Mom mit sich gerissen, als sie ihn fand. Blutend, bewusstlos und nicht mehr ihr Sohn.

Ich habe ihn allein gelassen, weil ich es nicht aushielt, ihn anzusehen, weil ich mit dem Versuch beschäftigt war, unsere Mutter zu lieben, während sie mich nur wegstieß und sich auf Ben warf, seine Liebe und Bestätigung suchte und nur Gleichgültigkeit fand.

Ben ist nur der Auslöser einer tickenden Zeitbombe gewesen.
Aber er hat uns zerstört.

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Song: Comfort Crowd - Conan Gray

Ich glaube, nach so einem Kapi gibt's jetzt nicht wirklich den "richtigen Übergang" in die "hello it's lisaaa"- Schiene.

Well. Now u know.
Das war der Vorfall, von dem immer die Rede war. Aber... dieser ist nur die Spitze des Eisbergs...

Leute ... I'm sad (richtig passend zum Kapi) Ich habe heute versucht noch Karten für "Girl in Red" zu bekommen & es ist alles ausverkauft and now i am super sad, weil ich sie so unbedingt sehen wollte :(

Falls hier jemand 2 Karten für entweder Berlin oder Hamburg übrig hat - let me know! (i mean what are the odds xD)

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt