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Ophelias P.O.V.

Tante Jennifer hat uns unterbreitet, dass sie die ganze restliche Woche bei uns bleiben wird.
Es hat anscheinend nicht lange gedauert, bis sie in meiner Geburtstagsnacht realisiert hat, wie schlecht es ihrer jüngeren Schwester wirklich geht.
Sie hat unser Gästezimmer bezogen. Die Ausreden dafür lautete, dass in ihrer Wohnung zu viel Arbeit auf sie warten würde, weil sie schon so lange nicht mehr dort gewesen ist.

Sie tut Mom gut. Die beiden sind in die Stadt gefahren. Und an den See.
Ich erkenne die Frau, die neben Jennifer läuft, kaum wieder.
Ihre Haare fallen natürlich über ihre Schultern, sind nicht mehr streng nach hinten gekämmt oder in kunstvolle Locken gelegt.
Ihre Wangen tragen nur einen leichten Orangeton von ihrem Rouge.
Und ihre Lippen ... ein Lächeln.

An diesen Anblick kann ich mich auch nach drei Tagen immer noch nicht richtig gewöhnen.
Es ist, als hätte ich eine Zeitreise unternommen, zurück zu Tagen, wo uns noch eine gewisse Leichtigkeit begleite hat.
Ben scheinen diese neuen Umstände so zu verschrecken, dass er sein Zimmer noch seltener als sonst verlässt - und das will etwas heißen.

"Hast du eine Minute?", fragt meine Tante mit einem gutmütigen Nicken Richtung Garten.
"Aber klar."
Ich schlage mein Buch zu, mit dem ich mich in einen der Sessel im Wohnzimmer zurückgezogen habe.

"Wir hatten noch gar keine richtige Gelegenheit miteinander zu reden", setzt sie an, als ich die Terrassentür hinter mir zugezogen habe.
"Das stimmt."
Ich schenke ihr ein offenes Lächeln, genau wissend, was sie meint.

"Wie geht es euch?"
"Jace und mir?", frage ich etwas perplex.
Augenblicklich formen sich Worte in meinem Kopf, die alles andere als harmlosen Smalltalk befördern würden. Also lösche ich sie.
Sage stattdessen: "Gut, sehr gut sogar."

Eine Lüge. Oder doch nicht?
Mir geht es gut mit Jace. Wenn ich vergesse, dass da eine Bedrohung hinter ihm, um ihn, in ihm lauert.
"Ich weiß, wo du am Montag hingefahren bist. Ich will dich nur warnen, Ophelia. Dein Vater ist alles andere als dumm und er hat in den letzten Tagen mehr als einmal geäußert, dass etwas nicht mit dir stimmt."

Ihre braunen Augen wandern über mein Gesicht, bevor sie in den Garten und zu den in voller Blüte stehenden Hortensien gleiten.
"Ich würde gerne länger bleiben. Georgia braucht mal wieder eine Frau in ihrem Leben."
Auch, wenn es sicherlich nicht die Absicht meiner Tante war, aber dieser Satz tut weh.

"Ich bin mir sicher, dass es für Jace okay wäre, wenn du in deine Wohnung kommst. Er will dich nicht vertreiben und soll auch nicht der Grund für deine Abreise sein", stammle ich und drehe einen meiner Ringe zwischen den Fingern.
Ich habe bis jetzt noch nicht in Erwägung gezogen, dass Jace Tante Jennifer irgendwie im Weg stehen könnte. Es ist Jahre her, dass sie über einen längeren Zeitraum in Fitchburg gewesen ist.

Sie winkt ab.
"So habe ich das nicht gemeint, meine Kleine, mach dir keine Sorgen. Jace bleibt schön da, wo er ist und ich bleibe die nächsten Tage in eurem Haus. Es ist schon so schwer genug gewesen, deine Mutter davon abzuhalten, bei der Wohnung vorbeizuschauen."
Sie lacht und eine Gänsehaut läuft an meiner Wirbelsäule herunter.

Ihre wachsamen Augen nehmen meinen Schock wahr.
"Du kannst ihn nicht für immer vor deinen Eltern geheim halten. Ich glaube, das hast du spätestens jetzt selbst gemerkt."
Ich öffne meinen Mund, ohne das ein Wort über meine Lippen kommt.
Ich schaue tief in ihre Augen und nicke.

"Die letzten Tage haben mir gezeigt, dass ich Georgia viel zu selten Besucht habe, gerade in dieser schweren Zeit. Ich glaube, es tut ihr unheimlich gut, mal mit jemandem zu reden, der nicht in diesem Haus wohnt", seufzt sie und dreht den Kopf zur Seite.
Sie wirft einen langen Blick über ihrer Schulter zum Haus, hinter dessen Mauern meine Mutter wahrscheinlich gerade dabei ist, ihre Einkaufstüten auszupacken.

Ich betrachte das auffällige, unruhige blaue Muster ihrer Bluse, die sich im seichten Wind aufbauscht und mich an die Wellen am Strand erinnert, wenn sich die Gischt kurz vor Sonnenuntergang beruhigt.
"Ich will ihn nicht für immer geheim halten", platzt es dann aus mir heraus.

"Es ist nur ..."
"Ich weiß, da gibt es noch vieles, was ihr klären müsst und deine Eltern werden dabei keine große Entlastung sein. Das hast du mir bereits gesagt und ich will dir da auch nicht reinreden. Ich will dich nur daran erinnern, dass Paul nicht blind, blöd oder taub ist."
Ihr Lächeln verrutscht etwas beim letzten Satz.

Ich schlucke, plötzlich gleicht meine Kehle einer Wüste, ausgetrocknet von all den Dingen, die ich nicht ausspreche und die mich von innen verbrennen.
"Danke", sage ich leise und schaue zu Boden.
"Er muss wirklich etwas Besonderes sein", merkt Jennifer mit andächtiger Stimme an.

Als ich dieses Mal ansetzen will, versagt meine Stimme beim ersten Mal und Tränen sammeln sich in meinen Augen, trüben meine Sicht.
"Wo habt ihr euch kennengelernt? Geht er auch auf die 'Edgewood'?"
"Nein, wir ... wir haben uns auf dem Bahnhof kennengelernt, nachdem Ben einen Unfall mit meinem Auto hatte."

Sie weicht meinem Blick aus.
Entsetzen steht bei diesen Erinnerungen in ihrem Gesicht geschrieben, obwohl sie Benno gar nicht gesehen hat. Sie war zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich auf der anderen Seite der Erdkugel.
Du hast ihn auch nicht gesehen, erinnert mich die kleine Stimme in meinem Kopf an meine Feigheit und Wut, die mich davon abgehalten haben, meinen Bruder im Krankenhaus zu besuchen.

Ich sehe, dass sie mir noch etwas sagen will, doch in dem Moment, als sie Luft holt, öffnet sie die Glastür hinter uns.
"Das passt sich ja!"
Mein Vater schiebt sich nach draußen und nickt Jennifer knapp zu.

"Ein kleines Familientreffen auf der Terrasse."
Seine Worte hängen unbeantwortet in der Luft.
Ich kann ihn nur anstarren und mich fragen, was er will.
"Ich möchte mal mit dir sprechen, Ophelia. Allein."

Mit diesen Worten zieht er die Tür zum Haus wieder auf.
Tante Jennifer hebt beide Augenbrauen und wirft mir einen vielsagenden Blick zu, den ich nicht deuten kann.
Nach einem letzten Schwall frischer Sommerluft folge ich meinem Vater ins Innere des Hauses und hoch in sein Büro.

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Song: Brother - DELV!S

Hi,

ich SUCHTE zurzeit Elite Staffel 4 durch! holy hell! Es ist ja schon immer eine meiner Lieblingsserien gewesen, aber damn. Einfach damn, so good :) Guckt noch jemand??? :)

Ich muss leider schon wieder weg - meine Mum wartet im Garten, see u tomorrow! <3

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt