118.

591 56 77
                                    

"Darf ich ... reinkommen?", frage ich nach einer Weile, in der Jace und ich uns lediglich angestarrt haben.
Es ist komisch wieder vor ihm zustehen, bei Tageslicht und ohne unerwünschte Zuschauer.
"Ja, tut mir leid. Warte, ich helfe dir."

Es ist komisch. Er ist komisch. Wir sind komisch.
In einer hypnotisierenden Bewegung wisch sich Jace über den Mund und macht einen unbeholfenen Schritt aus der Tür.
Der helle Stoff seines T-Shrits schwingt um seinen Oberkörper. Ich kann die Augen nicht von den weich fallenden Falten nehmen.

Er wirkt dünner.
Ich hebe den Blick in sein Gesicht als er mich passiert und nach meinem Koffer greift.
Er ist barfuß. Ich weiche zur Seite und bücke mich eilig nach einer der Taschen.
Er ist dünner geworden, stelle ich fest, als er mir den Rücken zuwendet und in den Flur humpelt.

Mit einem kontinuierlichen Abstand, der uns wie gleiche Magnetpole auseinander treibt, hilft mir Jace dabei meine Taschen in den Flur zu tragen.
Permanent scheint er darauf bedacht zu sein, diese gewisse Distanz zu mir einzuhalten.
Er drückt sich an die Wand, wartet hinter der Tür oder im Treppenhaus, bis ich wieder aus der Wohnung trete.

Und ich kann ihm währenddessen nicht ein einziges Mal ins Gesicht blicken, schlage ständig die Augen nieder. Er tut das Gleiche.
Als die Tür hinter uns zufällt, kaue ich nervös auf meiner Lippe herum.
Das alles ist aufregend und genau das, was ich mir in meinen kühnsten Träumen ausgemalt habe. Mein Herz stolpert vor sich hin und in meinen Adern kribbelt es verheißungsvoll.
Und dennoch fühlt es sich behäbig und nicht wirklich richtig an.

Jace wirft mir einen kurzen Blick aus dem Augenwinkeln zu, räuspert sich dann und läuft in die Küche.
"Es tut mir leid, dass ich dich hier so überfalle", sage ich leise und spiele mit meinen Fingern. "Aber ich bin vorhin mehr oder weniger von Zuhause ausgezogen."

Ich hebe meinen Blick nur kurz und konzentriere mich dann wieder auf meine blauen Socken.
"Willst du einen Kaffee?"
Unsere Augen treffen aufeinander und ich versuche ein schiefes Lächeln.
"Gerne."

Jace nickt Richtung Wohnzimmer und gibt mir zu verstehen, dass ich vorgehen soll.
Ich ziehe mich zurück, überlasse ihm die Küche. Allerdings nicht ohne mich noch einmal umzudrehen und sein Kreuz zu betrachten.
"Du hast ja die Pflanzen umgeräumt", rufe ich begeistert, als ich den hellen Raum betrete.
"Ja. Gefällt es dir?", fragt Jace mit einem schwachen Grinsen im Gesicht, während er zwei große Tassen zum Couchtisch balanciert.

"Ja", bringe ich andächtig hervor und inspiziere unauffällig seine Unterarme.
Er hat nichts Besonderes gemacht. Zwei der Körbe stehen jetzt einfach unter dem großen Fenster neben dem Esstisch. Aber es gefällt mir. Weil mir hier alles gefällt. Weil es hier so viel besser ist, als Zuhause.

Wir setzen uns mit Abstand auf das bunte Sofa. Jaces weite Hose sieht weich aus.
Im Stillen ermahne ich mich, nicht die Hand nach ihm auszustrecken.
"Warum bist du -"
"Weißt du, ich -"

Ich beiße mir auf die Zunge und schon müssen wir zusammen lachen. Doch ich ertrage es nicht lange, ihn dabei anzusehen, wende den Blick lieber zu den Zimmerpflanzen, die jetzt so viel besser zur Geltung kommen und den Raum mit ihrem Grün erfüllen.
"Was wolltest du sagen?", frage ich und greife nach dem Kaffee.
"Nein, sag du zuerst."
Ich verdrehe die Augen über seine Höflichkeit und verstecke dann mein Grinsen hinter der Tasse.

"Ich wollte nur sagen, dass ich mich freue, dich zu sehen. Ernsthaft."
Ich schenke ihm ein Lächeln, ein echtes.
"Das sagst du doch nur, weil du dir Sorgen machst."
"Nein", sage ich bestimmt.

Auch wenn Jace sich von mir abwendet, kann ich doch das verschmitzte Zucken seiner Mundwinkel sehen.
"Was wolltest du sagen?"
Er lässt sich Zeit mit seiner Antwort und reibt seine Hände über seine langen Beine. Ich wünschte, dass würde er bei mir machen. Es scheint ewig lang her zu sein, das er mich berührt hat.

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt