101.

635 55 81
                                    

"Ist okay", sage ich und strecke beschwichtigend die Hände aus. "Setz dich einfach wieder."

Jace lacht auf, hustet dann.
"Wo sind die Spritzen?"
Ich erwarte keine handfeste Antwort, aber ich weiß, wo ich suchen muss.
Seitdem wir offen damit umgehen, dass er ab und an seine einzige Erlösung in diesem Gift findet, liegt sein kleines Etui im Nachtschrank.

Doch der junge Mann blickt auf und streicht sich mit einer schwachen Bewegung die Haare aus der Stirn und versenkt seine Augen in meinen.
Ihr Grün wird von seinen schwarzen Pupillen beinahe völlig verdrängt.
"Das war die Letzte. Ich höre auf, für dich, versprochen."

Wenn er das jetzt im nüchternen Zustand zu mir gesagt hätte, sähe die Welt anders aus.
So kann ich ihm kein Wort glauben.
Aber ich zwinge mir mit aller Macht meine Maske auf, die ich ihm gegenüber abgelegt habe, und lächle ihn an, versuche ihm zu verkaufen, dass ich ihm glaube.

Selbst in diesem schwammigen Zustand scheint er in mein Inneres blicken zu können.
"Du glaubst mir nicht."
Er schüttelt den Kopf und rauft sich die Haare, atmet laut aus und blickt sich dann im Raum um.
"Sie glaubt mir nicht", ruft er dann aus und zeigt auf mich.

"Doch ich glaube dir. Ich möchte nur, dass du dich jetzt hinsetzt."
Meine Stimme hat ihre Ruhe verloren. Man hört meine Angst.
Angst um Jace.
Angst, dass er die Kontrolle verliert.
Angst, dass ich diese Kontrolle nicht zurückgewinnen kann.

Er torkelt auf mich zu, ich weiche einen Schritt zurück.
"Du solltest auch mal probieren", sagt er und starrt in mein Gesicht, ohne zu blinzeln.
Mein Mund öffnet sich, während ich noch einen Schritt nach hinten mache. Gleich stoße ich an das hellbraune Regal mit all den Büchern, in die Jace bei klarem Zustand so gerne abtaucht.

"Es ist toll, glaub mir, es würde dir gefallen. Es ist ... alles wird so leicht. Als könntest du schweben."
Er breitet die Arme aus und verliert dabei fast das Gleichgewicht.
Ich weiß, das sind die Drogen, die da aus ihm sprechen und seinen Verstand vernebelt haben, aber in diesem Moment habe ich das Gefühl, dass da Jace zu mir spricht, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

"Du glaubst nicht wirklich, dass ich so eine bin, oder? Nach alldem, was ich dir anvertraut habe und du weißt, wie ich zu Drogen stehe, du weißt, was sie mir genommen haben?"
Das Holz trifft in meinen Rücken.
Jace bleibt auf Abstand, beäugt mich aus der Ferne, als wäre ich ein modernes Kunstwerk, das er nicht versteht.

"Ich bin bei klarem Verstand, Ophelia, die Gewinnerin. Alles, was ich sage, ist ... alles, was ich sage, ist, dass ... du dich mal ein bisschen locker machen musst. Ich kann dir zeigen, wie es ist zu schweben."
Ein Lächeln bricht seine ausdruckslose Miene auf.
Aber es ist nicht das Lächeln, in das ich mich verliebt habe.
Es ist das stumpfe Lächeln eines emotionslosen Clowns.

Ich weiß, er hat gerade keinen Filter, aber seine belanglosen Worte verletzten mich zutiefst.
"Jace, du machst mir Angst. Kannst du dich bitte wieder hinsetzten?"
Ich schlucke, zwinge meinen zugeschnürten Hals dazu, zu arbeiten.
"Setz dich hin", bitte ich unter Tränen.

Jaces Augen finden zum ersten Mal, seitdem ich die Wohnung betreten habe, ein Ziel, dass er fest und sicher anvisiert. Meine Tränen, die meine Wangen herunterrinnen und zu Boden tropfen.
"Siehst du", flüstert er atemlos.
Nein, ich sehe es nicht. Ich will mich auch lieber nicht sehen. Das verängstigte Mädchen, das sich in einen Jungen verliebt hat, der ihr nichts außer Schmerzen geben kann - ich will sie nicht sehen.

Ich zucke zusammen. Das meinte ich nicht!
Jace gibt mir so viel mehr.
Nur gerade hält er mein Herz im Würgegriff und lässt nicht locker. Weil er nicht alleine in seinem Kopf ist.

Er reißt seine Augen von mir los und blickt in den Flur.
"Ich kann dir was geben, es ist gut. Es wird Spaß machen, glaub mir."
"Jace, was redest du da. Hör auf!"
Ein Schluchzen entkommt mir. Damit gewinne ich auch wieder seine Aufmerksamkeit.

"Nicht weinen. Eine Spritze und alles ist wieder gut, versprochen", sagt er und kommt auf mich zu.
Panisch weiche ich zur Seite aus und stolpere in den Flur. Auf halbem Weg verliere ich das Gleichgewicht und falle auf meine Knie.
"Ophelia!"

Ich kann nicht deuten, ob er in Sorge ist und nach mir ruft oder ob das die Wut ist, die aus ihm spricht, und er mich einfangen will.
Auf allen Vieren rutsche ich auf die Tür zu. Meine Sicht von Tränen getrübt.
Wie ist es nur so weit gekommen?

Meine Knie fühlen sich heiß an und pulsieren. Ein Schmerz, den ich seit Kindertagen nicht mehr gefühlt habe.
Ich recke mich zur Türklinke, ziehe mich mit letzter Kraft an ihr hoch.
Blanker Horror ergreift Besitz von mir, als ich schwere Schritte hinter mir höre.

Ich greife nach meiner Tasche, die immer noch neben der Tür steht.
Auf wackeligen Beinen mache ich den ersten Schritt aus der Wohnung und werfe einen Blick über die Schulter zurück zu Jace.
Er klammert sich an die Wand, den Oberkörper vorgebeugt, als würden ihn schreckliche Schmerzen plagen.

Und als ich in seine Augen blicke, weiß ich, welche Schmerzen es sind, die ihm Tränen in die Augen treiben.
Er weiß, was er mir gerade angetan hat.
Wir teilen einen Blick, der mehr ausdrückt, als tausend Worte es je könnten.

Er ist sich bewusst, dass er mich gerade ein Stück gebrochen hat. Er kann ahnen, was er angerichtet hat.
Wahrscheinlich steht es mir ins Gesicht geschrieben.
Ich hätte nie gedacht, dass uns so etwas passieren würde. Das ich mich auf allen Vieren vor ihm in Sicherheit bringen muss.

Ich weiß nicht, ob diese Panik berechtigt ist.
Ich weiß nicht, ob der noch eine Spitze da drinnen hat, die er hätte holen und in mich injizieren können oder ob er handgreiflich geworden wäre.
Ich weiß, dass das Jace nie tun würde.
Aber das da vor mir ist nicht Jace, es ist nicht mein Jace.

Seine Lippen verzerren sich, ich glaube, sie formen meinen Namen.
Ich schüttele kaum merklich den Kopf und blinzle Tränen aus meiner Sicht.
Dann wende ich mich ab und stolpere ins Treppenhaus.
Jace folgt mir nicht und so sieht er auch nicht, wie ich auf der unteren Treppe sitze und versuche, meine Tränen mit den Händen zu ersticken.

_____________________________
Song: Graveyard (Stripped) - Halsey

Ah, ich hoffe, ihr rauft euch jetzt die Haare :)

Ich weiß nicht genau, wann wir wieder voneinander hören werden, sage jetzt mal Mitte der Woche vielleicht Mittwoch oder Donnerstag.....
Ich schreibe das hier zwar vor meinem Urlaub, aber daran zu denken, das er wieder zu ende geht, macht mich sad ...

Wo wart ihr dieses Jahr im Urlaub? Oder seid ihr gemütlich Zuhause geblieben oder ist etwas für einen späteren Zeitpunkt geplant?

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt