109.

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Das Leben hat einen bitteren Beigeschmack bekommen.
Vielleicht liegt das aber auch nur am Blut in meinem Mund, weil ich mir ständig zu doll auf die Lippe oder Zunge beiße.
Ich lasse mich zu Partys einladen, tue so, als ob ich fremden Gesichtern aus der Uni zuhören würde, dabei beobachte ich AJ aus dem Augenwinkel. AJ und seine neuen Freunde.

Ich sitze am Mittagstisch neben meinem Vater und lasse ihn meine Hand tätscheln, wenn er mich ermutigen will, über meinen Tag zu reden.
Ich gehe mit meiner Mom shoppen und kaufe das rote Kleid und den Cardigan. Meine Augen verweilen aber nicht auf den weichen Stoffen, sie driften zu der dreier Gruppe aus Mädchen, die vor dem Schaufenster stehen und auf Ausstellungsstücke zeigen, Grimassen ziehen, lachen.

Als meine Tante im August wieder zu Besuch kommt, gehe ich mit ihr Eis essen, tue so, als würde ich ihren Geschichten über ihre letzte Reise nach Dublin lauschen, doch alles, was ich höre, ist das hohe Lachen von der Brünette, die gegenüber auf der anderen Parkbank sitzt und versucht ihrem Freund den Mund zuzuhalten.
Er scheint etwas Unanständiges zu sagen. Ihre Wangen sind gerötet und ihr Eis läuft an ihrer Hand herunter, da sie vor lauter lachen nicht zum Essen kommt.

Ich nicke, als sie mich fragt, ob ich schöne Ferien habe.
Denn das habe ich ja auch.
Ich treffe mich mit Freunden. Ich gehe auf Partys, ich lache, gehe shoppen und meine Familie hat sich wieder zusammengerafft.

Keines der echten Probleme ist gelöst, aber das muss es auch nicht. Wir können einfach wieder die Augen zumachen, bis wir vor die nächste Wand laufen.
Ich beiße meine Zähne zusammen, inhaliere die frische Luft, die durch mein offenes Fenster weht und schließe die Augen.

Als ich sie wieder öffne, steht ein wunderschönes Mädchen vor mir, in rotem Kleid, das an der Taille in sorgfältige Falten gelegt ist, und mit langen, blonden Locken.
Doch ihre Augen sind tot.
Leer.

Aber ihre Zähen sind weiß.
Und das ist alles, was die Menschen sehen wollen, wenn sie lächelt.
Ich straffe meine Schultern und wende mich vom Spiegel ab, greife meine Clutch vom Bett und prüfe, ob sich mein Handy auch sicher in ihrem Inneren befindet. Ohne Instagram werde ich den heutigen Abend wahrscheinlich kaum überstehen.

"Auf geht's", seufze ich.
Eigentlich wollte ich freudig und aufrichtig klingen. Das Gegenteil ist der Fall.
Mein Vater ist noch nicht Zuhause. Ben dröhnt sich mit Musik und was weiß ich für Substanzen in seinem Zimmer zu.
Meine Mutter sitzt im Wohnzimmer in einem Sessel, mit Blick auf die Treppe.
Als ich diese herunterkomme, erhebt sie sich.

Ihre kurzen Haare sind in ähnliche Locken gelegt wie meine.
Auch ihre Zähne sind weiß, doch da ist auch dieses Glimmen in ihren Augen.
Sie freut sich wirklich, dass ich heute ausgehe.
"Wo ist Tante Jennifer?", frage ich, als sie die Eingangshalle betritt.

"Jennifer ist einkaufen gefahren."
Ich sehe sie mit tiefer Falte auf der Stirn an.
"Ach, du kennst deine Tante", ist die einzige Antwort, die ich erhalte.
Ich verziehe den Mund. Was würde ich nicht alles dafür geben, jetzt mit ihr einkaufen zu sein.

In diesem Moment klingelt es an der Tür.
"Er ist hier", quietscht meine Mutter.
Ihre Begeisterung ist nicht echt, nicht hundertprozentig. Aber als sie über meine Schulter reibt, spüre ich, ihre Glücksgefühle.

"Mom?"
"Ja, Liebling?"
Ihr Eyeliner bewegt sich bei dieser Frage.
Ich will ihr sagen, dass ich keine Lust habe. Will sie fragen, ob sie merkt, was mir hiermit angetan wird.

Ich will wissen, was sie über Jace und Dads Ultimatum denkt.
Ich will sie anschreien, ihr an den Kopf werfen, für wie selbstsüchtig und oberflächlich ich sie halte, dass ich ihre dunkel eingefärbten Augenbrauen hasse.
"Ach nichts, habt einen schönen Abend", entgegne ich stattdessen und greife nach meiner Jeansjacke.

"Willst du nicht lieber eine Stola nehmen?"
Der kritische Unterton lässt mich wieder Blut schmecken.
"Nein. Ich werde sie wahrscheinlich sowieso im Auto lassen."
Und damit bin ich raus.
Raus aus dem Haus, weg von ihren über kritischen Blicken.

"Hey."
"Hi. Können wir?", frage ich bemüht sanft.
"Ich wollte deiner Mutter noch schnell -"
"Musst du nicht", unterbreche ich und hake mich bei ihm unter.

Es fühlt sich falsch an. Zumal das Jessicas und mein Ding ist.
Aber Jessica ist nicht hier und weiß nicht, in was für einer ausweglosen Situation ich mich gerade befinde.
Wenn sie wüsste, dass ich auf ein ernsthaftes Date mit Samuel gehe, würde sie sich und anschließend mir vor den Kopf schlagen.

Ich bemerke Sams Seitenblick und werfe ihm ein schnelles Lächeln zu.
"Du siehst heute echt toll aus."
"Danke."
Er führt mich über den Kies und stützt mich dabei, als könnte ich nicht eigenständig aufrecht stehen.

Er öffnet die Tür für mich und schüttelt seine Haare dabei.
Sein Anzug ist schwarz und schlicht. Nichts Besonderes.
Warum komme ich mir gerade so vor, als ob ich ihn betrüge?, frage ich mich, als Sam zu mir einsteigt.
Plötzlich fühlt sich mein Hals an, als würde er in einer Schlinge stecken.

Mit zitternden Fingern fahre ich über meine kalte Haut.
Ich hätte heute irgendetwas essen sollen. Egal ob morgens oder mittags. Ich merke, wie mein Blutdruck immer weiter abfällt.
Aber ich habe in letzter Zeit einfach keinen Hunger, bekomme kaum einen Bissen herunter.

Ich weiß, dass mein Körper um Hilfe schreit.
Aber ich kann ihm jetzt nicht helfen. Ich muss einem Menschen helfen, von dem ich glaube, ihn gerade zu betrügen.
Dies ist der einzige Weg, den ich bestreiten kann.

"Bereit?"
"Ja", meine Stimme bricht.
Sam lächelt und startet den Motor.
Der Himmel ist in die herrlichsten Farben getaucht.

Vom Fenster über dem Esstisch in der kleinen gemütlichen Wohnung mit der bunten Couch kann man dem abendlichen Schauspiel über der Fußgängerzone jetzt bestimmt wunderbar zusehen.
Vielleicht noch eine Tasse Tee dazu und der Abend wäre perfekt.
Ich drehe den Kopf nach links und betrachte Sams Profil, seine Stupsnase und der konzentrierte Blick geradeaus.

Ich mag ihn, wirklich.
Ich kenne ihn mein ganzes Leben lang, wirklich.
Aber ich könnte ihn nie lieben, nicht wirklich.

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Song: Little Did I Know - Julia Michaels (queen)

Ollaaaa :)
Sunday, funday.

Ich habe gerade leider sehr viel um die Ohren. Seufz. Also kein Funday für mich.
Aber heute Mittag werde ich mit meiner Mama nochmal essen gehen :)

Heute habe ich - okay gestern Abend, als ich das Kapi hier geschrieben habe - echt mal wieder Poerty-Format durchkommen lassen. Gerade die letzten drei Sätze. But you know, I really like that.

Eure Kommentare beantworte ich heute Abend. Und ja, ich habe gestern Young Royals zum dritten Mal angefangen. It's just my comfort place.

Bis Morgeeennnn

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt