62.

873 65 79
                                    

Manchmal hat das Leben eine amüsante Art und Weise dir eine reinzuwürgen und ich frage mich gerade, was ich getan habe, um so einen rechten Haken zu verdienen.
Ich bin nicht in die Uni zurückgekehrt, sondern habe Jess eine Nachricht geschrieben, mich bitte zu entschuldigen.

Mein Bruder hat sich für die Drogen entschieden, um uns zu entkommen.
Er hat sie bewusst gewählt, weil James ihm das Blaue vom Himmel versprochen hat.
Es macht Spaß. Es fühlt sich gut an. Dann kommst du endlich mal runter.
Ich weiß, was James für Worte in den Mund nimmt, um andere zu manipulieren, zu beeinflussen.

Die Gründe, warum Jace angefangen haben könnte, schiebe ich beiseite.
Er könnte sie aus Einsamkeit und Verzweiflung genommen haben. Weil das Leben auf der Straße keine Pause macht, er aber eine brauchte.
Möglicherweise konnte er die Gedanken an seine Familie und seinen Verlust nicht mehr ertragen.

Doch all das entschuldigt nicht, dass er mich angelogen hat, dass er nicht ehrlich war.
Ich streune ohne klares Ziel durch die Straßen von Madison und wünschte, ich könnte meine Erinnerungen an Jace abschütteln und hinter mir lassen, einfach vergessen.
Ich dachte, wir ...

Ich dachte. Ich bildete mir ein. Ich habe Jace in meinem Kopf zu einem Menschen geformt, der er nicht ist.
Es ist bereits später Vormittag, als ich in meinen Mini steige und zurück nach Fitchburg fahre.
Aber ich fahre nicht nach Hause. Nein.

Ich fahre zu Tante Jennifers Wohnung, parke den Wangen vor dem Haus und stürme die Eingangstreppe hoch.
Wenn Jace tatsächlich hier sein sollte, weiß ich nicht, ob ich mich beherrschen kann oder ob ich ihn hochkant rausschmeißen werde.

Er hat mich verletzt. Gerade der erste Mensch, dem ich mich nach einer Ewigkeit geöffnet habe, der von meinen dunkelsten Geheimnissen erfahren hat. Gerade er muss mir so vor den Kopf stoßen und mir ein Messer ins Herz rammen.

Mit zitternden Händen schließe ich die Wohnungstür auf und atme den vertrauten Geruch ein.
Auf den ersten Blick sieht alles normal aus.
Die Schuhe neben der Tür, die Jacke am Kleiderhaken, die Wochenzeitung auf der Anrichte.
Doch dann sehe ich ihn.

"Jace?"
Seine Schuhe sind das Erste, was in mein Sichtfeld tritt.
"Nein!"
Ich habe das Gefühl zu ersticken, als ich die Wohnzimmertür mit solcher Wucht aufstoße, dass sie gegen die Wand knallt.

Er liegt vor dem Fenster auf dem Parkett, einen Arm von sich gestreckt.
Sein Handy liegt daneben auf dem Boden, mit einem deutlich sichtbaren Riss im Display.
Er liegt einfach so da, keine Regung. Sein Gesicht ist zur Seite gerollt, die Lippen leicht geöffnet.
Bitte sei nicht tot, ist alles, was ich denken kann, während ich mich neben ihm auf den Boden fallen lasse.

"Jace! Kannst du mich hören?"
Ich klopfe auf seine Wange. Mein Herz klopft auf Hochtouren, als ich sachte seine Brust berühre.
Sein Kopf liegt völlig entspannt auf dem Fußboden. Kein Muskel leistet Widerstand, als ich ihn anhebe.
"Jace!", schreie ich ihm ins Gesicht und würge meine Tränen herunter.

Ich beuge mich vor, lege ein Ohr über seine Lippen, wie ich es Rettungssanitäter einst bei Benno habe machen sehen.
Er atmet.
Er atmet!

Ein erleichtertes Lachen entkommt mir, doch als ich es höre, hört es sich nicht nach mir an.
Es klingt fremd, als hätte eine längst totgeglaubte Version von Ophelia Rosethorn gelacht.
Warum hat er das getan?
Vor der Uni konnte er doch noch normal laufen. Hat er noch mehr genommen?

Ich bin dabei auf allen Vieren zurückzurutschen, als mir der weiße T-Shirt-Ärmel auffällt, der in Jaces Armbeuge endet.
Der Stoff schlägt unruhige Falten, als ich ihn beiseite streiche und rote Flecken freilege.
Sie sind nicht größer als Mückenstiche. Aber ich weiß, dass es keine Mückenstiche sind.

Jaces Brustkorb hebt und senkt sich schwer und unregelmäßig.
Wenn er sich das Zeug schon spritzt dann ...
Ich erinnere mich daran, wie mir bei der Suchtberatung - die ich nach Bens ersten drei schlaflosen Nächten aufgesucht habe -, erklärt wurde, dass gespritzte Substanzen oftmals stärker sind und nur von stark Abhängigen verwendet werden.

Sie sind gefährlicher.
Oftmals verunreinigt.
Sie zerstören.
Ich blicke auf den Körper unter mir.

Er zerstört sich, denke ich und rutsche ruckartig nach hinten, bis ich mit dem Rücken an die Wand stoße.
Mit bebenden Schultern ziehe ich mein Handy aus der Tasche, die zwischen mir und Jace auf dem Boden liegt.
Ich kann ihm nicht mehr ins Gesicht sehen, während ich den Rettungsdienst rufe.
Ich kann nur noch auf seinen weit ausgestreckten Arm starren.

Eine verzerrte Männerstimme dringt an mein Ohr.
Ich verstehe nicht, was er sagt, aber das muss ich nicht. Es zählt nur zu wissen, dass ich nicht mehr allein bin.
Meine Hände zittern, als ich meine Stille breche.

"Ich brauche Hilfe. Mein Freund, er - er liegt bewusstlos in der Wohnung ... Nein, ich weiß nicht, w-was ich machen soll."
Mein Freund.
Was hätte ich sonst sagen sollen?!

Ich weiß nicht, was ich machen soll.
Eine Lüge!
Ich weiß, was ich machen sollte. Ich sollte rennen. So schnell und so weit weg ich nur kann!
Aber ich tue es nicht.

Ich gebe die Adresse durch und ziehe meine Beine an die Brust, lehne meinen Kopf an die kühle Tapete und warte.
Lausche meinem Atem, der sich mit Jaces mischt.

Eine einzelne Träne fällt von meiner Wange.
Still und leise.
Und genauso verharre ich an der Tür, still und leise.
Bis Männer den Raum entern, mir Fragen stellen, die ich nicht beantworten kann und Jace hochheben, als wäre sein Körper nicht mehr, als ein Sack Kartoffeln.

Es ist laut und hektisch, bis sie mich allein auf dem Boden in der Wohnung zurücklassen, deren Stille ich bis zu diesem Tag gemocht habe.

_____________________________
Song: Hand Over Hand - Roland Faunte

Hey y'allll ... keine gute Stimmung wegen Jace ...? i understand

Nicht wundern wegen Kapitel 57. Ich musste es noch mal neu hochladen, weil das 'originale' Kapi 57. irgendwo zwischen völlig falsche Kapis gerutscht ist. Dementsprechend sind jetzt auch leider eure Kommentare & Votes weg :/ Danke für nichts Wattpad.

Ich habe einfach fucking Heuschnupfen bekommen! Das ist nicht fair! (ich weiß, voll viele haben das, aber ich bin manchmal eben der klassische "meh, warum ich?!?"-Mensch xD) Bin voll traurig, weil ich konnte deswegen heute nicht im Garten sitzen :c

Hope u guys are doing better ... Ich werde jetzt noch einen Nachtisch machen. Er wird "Baileys-Strawberrie & Cream" beinhalten, also richtig gut schmecken ;P

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt