"Ophelia, bitte!"
Da ist so viel Schmerz in seiner Stimme.
So viel Trauer und Reue.
Ich halte inne, weil es mich regelrecht foltert, ihn so zu hören.
Seine grünen Augen müssen voller Tränen sein, die seine Iriden in die Tiefsee verwandeln, die ich schon so oft in ihnen gesehen habe."Ich habe Krebs."
Drei simple Worte, die mich bis ins Mark erschüttern.
Ich erfriere. So fühlt es sich an.
"Du hast was?"Ich bin immer noch der Tür zugewandt, als ich diese Frage stelle.
Mit einem Mal sind alle meine Tränen versiegt.
"Ich habe Krebs, Ophelia. Ich bin krank."
Langsam drehe ich mich um, meine ausgestreckte Hand fällt kraftlos an meiner Seite herunter."Was?", hauche ich.
Ich glaube, er hört meine Frage nicht. Sie ist zu leise, zu kläglich, aber er liest meine Lippen.
Er sitzt so stark und erhaben, so selbstsicher und stolz auf der Bettkante und sieht mich an. Da sind keine Tränen in seinen Augen, sie sind nur in seiner Stimme. Es wirkt nicht so, als hätte er mir gerade eine desaströse, alles vernichtende Nachricht übermittelt.Aber das hat er.
"Ich - Ich verstehe nicht."
Ohne meinem Körper den Befehl gegeben zu haben, trete ich näher.
"Ich weiß es schon eine ganze Weile. Die Drogen, sie ... sie helfen gegen die Schmerzen."Es wirkt so, als wäre es ihm peinlich dies zuzugeben.
Schmerzen?
Meine Augen wandern an seinem entblößten Körper entlang.
Seine Füße und Waden sehen normal aus.Alles, was über den Knien liegt, wird vom hellblauen Krankenhauskittel verdeckt.
"Du kannst es nicht sehen. Das passiert alles in mir."
"Jace, ich -"
"Das soll nichts an deiner Einstellung zu mir ändern", fährt er fort und lähmt damit meine Zunge."Ich wollte nur, dass du den Grund kennst. Die Drogen lindern Schmerzen, gegen die Medikamente schon längst nicht mehr wirken. Nur deshalb nehme ich sie. Es geht nicht anders."
"Aber es muss doch ..."
Meine Worte verlieren sich im kleinen Raum.Jace schüttelt den Kopf.
Nein. Nein, es gibt keine Medikamente. Nein, es gibt keine Hoffnung auf Linderung.
Ich falle auf das Bett.
"Aber das kann doch ..."Ich starre an die gegenüberliegende Wand und spüre Jaces Finger an meinem Handrücken.
Er sagt nichts, er greift auch nicht nach meiner Hand. Er streicht sie nur.
Als ich mich traue, den Kopf in seine Richtung zu drehen, bin ich schockiert über seinen normalen Gesichtsausdruck.Er sieht ganz normal aus, wie immer. Wie damals, als er mich auf dem Bahnhof angesprochen und mich nach Hause begleitet hat.
Da ist immer noch dieses Funkeln, das eigentlich längst hätte erloschen sein müssen.
"Wie schlimm ..."Wieder verlieren sich meine Worte im Raum.
"Wie schlimm es ist?", fragt er und schüttelt dabei langsam den Kopf. "Das will ich gar nicht wissen. Denn eines habe ich gelernt ..."
Jetzt umschließen seine Finger doch meine zitternde Hand."Es ist besser im Moment zu leben, als im Morgen. Und was nützt es mir, mir über Morgen den Kopf zu zerbrechen, wenn ich doch Jetzt habe?"
Meine Lippen teilen sich und ich fahre mit der Zunge über meine Unterlippe, sammle meine Worte.
"Aber, aber es gibt doch Behandlungen, es gibt doch ... Du kannst doch nicht einfach mit geschlossenen Augen gegen die Wand laufen!"Ich versuche ihm meine Hand zu entziehen und komme dabei an den Zugang, der unter seiner Haut liegt.
Jace verzieht das Gesicht.
Ob wegen meiner Worte oder dem Schmerz, der sich in seinem Unterarm ausbreiten muss, bleibt offen."Was? Es gibt Chemos? Weißt du, wie es Menschen geht, die eine machen?"
"Aber danach kann es dir doch wieder besser gehen, du kannst gesund werden! Jace, dass kann gerade nicht dein Ernst sein."
Ich kenne mich mit Krebserkrankungen nicht aus.
Ich kenne niemanden, der darunter leidet.
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almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔
RomanceIch war immer die brave Vorzeigetochter, die verzweifelt versuchte, ihre zerrissene Familie wieder zusammenzubringen. Ich bin meinem vorgezeichneten Weg gefolgt, ohne nach links und rechts zuschauen. Bis mir meine Handtasche entrissen wurde und dies...