58.

942 64 104
                                    

Mit einem Fluchen auf den Lippen beobachte ich die Orange dabei, wie sie in den ersten Stock herunterrollt.
Ich setze die Papiertüten mit einem Augenrollen auf dem Treppenabsatz ab und sprinte die vierzehn Stufen hinunter.
Über mir öffnet sich eine Tür und wenige Sekunden späte erscheint Jaces Gesicht über dem hellblauen Geländer.

"Hey", grinst er zu mir herunter.
"Hi."
Ich strecke ihm die Orange entgegen.
"Die wollte abhauen."

"Wie viel hast du eingekauft?"
Jace steht barfuß im Treppenhaus und kümmert sich wenig um die einzelne Orange in meiner Hand, er beugt sich über die großen Tüten.
Etwas außer Atem komme ich neben ihm zum Stehen und platziere die Frucht oben auf dem Kaffeepulver.

"Einiges."
Ich puste mir eine Haarsträhne aus der Stirn und nicke Richtung Wohnung.
"Hilfst du mir?"
Jace hat die Wohnung von Tante Jennifer jetzt bereits seit vier Tagen bezogen.

Ich bin bis jetzt noch nicht dazu gekommen, einen Großeinkauf zumachen und versorgte Jace immer nur mit Kleinigkeiten.
Eigentlich wollten wir zusammen einkaufen gehen, aber als heute eine Vorlesung ausgefallen ist, habe ich einfach schon mal ein paar Sachen erledigt.

Jace hievt drei Tüten auf einmal auf die schmale Arbeitsfläche in der Küche und zieht eine Dose Fisch heraus.
Skeptisch sieht er mich an.
"Der schmeckt", verteidige ich meine Wahl und blinzle ihm zu.

Vorgestern haben wir uns dem Hausmeister vorgestellt, so wie es uns Jennifer geraten hat.
Er hat uns nur einmal von oben bis unten gemustert und die Nase gerümpft, als er die kleinen Löcher an Jaces Kragen bemerkte.
Ich beobachte, wie Jace den Einkauf genauestens inspiziert, bevor er ihn auf der Anrichte aufreiht.

Bei den grünen Bohnen verzieht er das Gesicht, was mich zum Lachen bringt.
Er trägt ein schlichtes, weißes T-Shirt, dass ich ihm bei Target gekauft habe, dazu eine dünne Jogginghose.
Als er sich mir zu dreht, sind seine Augen trüb.

"Das kann ich dir nie zurückgeben."
"Musst du auch nicht."
"Nicht in Geldbeträgen, meine ich", unterbricht er mich. "Diese Chance, die du mir hier gibst. Die kann ich dir nie zurückgeben."

Ich lege den Kopf zur Seite.
Doch. Er könnte mir das und noch so viel mehr geben.
Er könnte mich reinlassen. 
Ich verkneife mir die Worte und lächle.

"Ich will hier nur mein Karma reinwaschen", scherze ich und reiche ihm die letzte Tüte.
Als ich auf seine Hände schaue, bemerke ich ein leichtes Zittern.
Natürlich spürt Jace meinen fragenden Blick und schüttelt seine Finger aus.
"Es ist nichts."

Ich lege die Stirn in Falten.
"Ich habe doch gar nichts gesagt."
"Aber dein Blick."
Schweigend sortiere ich Lebensmittel in den Kühlschrank und die bald nicht mehr ganz so leeren Küchenschränke.

Jaces Bewegungen sich galant, als er sich um meinen Körper windet, um Milchpackungen in den Kühlschrank zu legen.
Ich beobachte ihn mit aufmerksamen Augen und erstelle ein Foto für meine Erinnerung.

Ein Foto von Jace, wie er zu mir aufblickt.
Ein Foto von Jace, wie er mich anlächelt.
Ein Foto von Jace, wie er konzentriert und mit zusammengezogenen Augenbrauen versucht eine Ordnung für verschiedene Milchprodukte zu finden.
Ein Foto von Jace. Für immer. Für mich.

Danach verbringen wir den restlichen Nachmittag zusammen, jeder hängt seinen Gedanken nach.
Wobei sich Jaces wahrscheinlich um das Buch ranken, welches er aus Jennifers Bibliothek gezogen hat und jetzt auf der Couch liest.
Meine Gedanken kreisen um verschiedene Maltechniken, mit denen ich mich aber immer noch viel lieber beschäftige, als mit den Verkaufsstrategien, die ich noch auswendig lernen muss.

Nach einem geschafften Kapitel hebe ich den Blick von meinen Notizen und schaue zu Jace.
"Hey."
Seine Augen lösen sich von den Zeilen vor ihm und finden meine.
"Hm?"

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt