47.

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Ich fühle mich frei.
Das weiche Gras unter uns und der endlose Himmel über den Baumkronen.
Ich weiß nicht, ob ich mich so frei fühle, weil ich seit langem etwas tue, was nur ich will, etwas das mich nicht unbedingt weiter und an mein Ziel bringt ... oder weil ich mit Jace zusammen bin.

Wir haben eine ganze Weile still nebeneinander gesessen und ich habe in den Himmel geschaut, in das unendliche Blau, das von weißen Fetzen gestört wurde.
Jetzt habe ich das Bedürfnis Jace anzusehen. Ich habe mir keine Worte im Kopf zurechtgelegt, die ich sagen könnte, falls er mir gleich fragend entgegenblickt, aber das tut er nicht.

Als meine Augen auf Jaces Profil fallen, hat er die Augen geschlossen, die Hände auf der Brust verschränkt und er sieht so friedlich und plötzlich so viel jünger aus.
Langsam drehe ich mich weiter zu ihm.
Der leichte Schatten seines Bartes ist das einzige, was mich daran hindert zu glauben, dass er erst ein Teenager ist.

Plötzlich kann ich mir vorstellen, wie er als kleines Kind ausgesehen haben muss.
Ich male mir eine kleinere Version von Jace aus, mit wilden Locken und vorwitzigen Augen, immer laut und energiegeladen und mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen, wie er es jetzt noch manchmal hat.

Ich möchte ihn frage, wie er als Kind war. Wo er aufgewachsen ist und ob er Geschwister hat.
Ich befeuchte meine Lippen und überlege, ob ich ihn anstupsen soll.
Doch da fällt mir auf, wie der lichtdurchdrungene Schatten perfekte, feine Muster auf sein Gesicht, um seine geschlossenen Augen wirft.

Ich greife in meine Jackentasche und ziehe mein Handy hervor.
Er wird nie erfahren, dass ich ein Foto von ihm mache. Das wird mein kleines Geheimnis bleiben.
Ich senke meine Hand, suche nach dem richtigen Winkel und fange den perfekten Moment ein. Einen Moment, an den ich mich für immer erinnern werde und der für immer in diesem Foto weiterleben wird.

Ich lächle zufrieden, streiche über die erschienenen Konturen auf meinem Display.
Ich habe ungefähr ein Viertel des Baumstammes abgelichtet, gegen dem Jace lehnt.
Seine braunen Locken schimmern im Gegenlicht wieder rotbraun und hinter seinem Gesicht erstreckt sich das statte Grün der Parkanlage.

Es ist perfekt.
Ich schaue auf, um meine Aufnahme noch einmal mit der realen Welt zu vergleichen und treffe auf funkelnde Augen.
"Oh. Du bist wach", entfährt es mir überrascht.

"Was siehst du dir da an?", fragt er, überhaupt nicht verschlafen.
"Nichts."
Verlegen stecke ich mein Handy beiseite.
"Das sah, deinem Blick nach zu urteilen, aber nicht so aus."

Ich laufe rot an und schaue wieder nach oben, hinauf in die Baumkrone.
"Ach, sei leise", murmele ich und lache kurz darauf.
Jace steigt mit ein, bis unsere Stimmen zu einem lauten Ton anschwellen und einige Parkbesucher sich zu uns umdrehen.

Ich halte mir die Hand vor den Mund und sehe mit vor Tränen verschwommenem Blick zu dem jungen Mann neben mir.
Er hält sich den Bauch, viel mehr die geprellten Rippen.
"Geht es mit den Schmerzen?"

Besorgt lege ich eine Hand über seine, die sich immer noch an seinen unteren Bauch presst.
"Ja, alles in bester Ordnung."
Seine Stimme hört sich nicht nach einer Lüge an, aber seine Körperhaltung verrät ihn.
"Ich kann dir beim nächsten Mal noch Schmerzmittel mitbringen, das wäre vielleicht ratsam -"

"Die helfen bei mir nicht sonderlich gut. Danke, Ophelia", sagt er bestimmt.
"Du lässt dir wirklich nicht gerne helfen, oder?"
"Und du lässt nicht gerne locker, oder?"
Beim Oder äfft er meine Stimme nach und ich muss auf meine Zunge beißen, um nicht loszulachen.

Ich ziehe mich zurück, sofort vermisst meine Haut seine.
"In der Tat ... ich bin sehr ehrgeizig", prahle ich mit tiefer Stimme und ziehe eine Grimasse.
Jaces Grübchen erscheint und das war alles, was ich erreichen wollte.
Zufrieden lehne ich mich wieder zurück, lasse mit meinen Augen aber nicht von ihm ab.

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt