14.

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Ich lasse meinen Schatten im Flur vor der Küche zurück, als ich ins Licht der Eingangshalle trete.
Die Standuhr zeigt 23.04 Uhr.
Eric verschwindet wie beim ersten Mal, als ich ihn am heutigen Abend gesehen habe, zwischen den Gästen.

Ein paar Sekunden lang stehe ich in der Menge aus sich unterhaltenden und lachenden Menschen und schaue die große Marmortreppe empor.
Da oben sitzt Ben, wie ein Ausgestoßener. Der Glückliche.
Ich reiße mich vom Anblick der glänzenden Stufen los und bahne mir den Weg zurück ins Wohnzimmer.

Natürlich mit einem Lächeln auf den Lippen und einem Nicken an jede Person, mit der ich Augenkontakt aufnehme.
AJ steht mit dem Rücken zu mir, immer noch umringt von seinen neu gewonnenen Freunden.
Erneut frage ich mich, wie er es schafft, in so kurzer Zeit eine Menschentraube um sich anzusammeln.

Meine kalte Hand fährt über seine Schulter und er fährt herum.
"Da ist ja meine Träumerin wieder! Ich habe mir schon Sorgen gemacht, wohin dich dein Vater verschleppt hat."
Ich sehe warnend zu ihm auf.

Doch AJ grinst mich nur an und dreht sich zu seinen Bekanntschaften.
"Entschuldigt mich, Jungs."
"Und ich dachte, ich muss mir Sorgen machen, weil du alleine und abgeschlagen in irgendeiner Ecke stehen würdest und dich betrinkst", sage ich, als wir in einen ruhigeren Teil des Raumes gehen.

"Nein. Die waren alle gar nicht mal so übel."
Eine Dame in grauem Kleid kreuzt unseren Weg und nickt uns anerkennend zu.
Ich kenne diesen Blick. Sie ist im Glauben, soeben meinen zukünftigen Ehemann abgenickt zu haben, anerkennend.
Ich entziehe AJ meinen Arm und blicke mich verlegen um, stelle mich mit dem Rücken zur Wand.

"Worüber habt ihr euch so unterhalten?"
"Hauptsächlich über Autos."
Ich zupfe an meinem Kleid.
In Gedanken stehe ich irgendwie noch draußen im Garten.

"Wo hast du dich denn die ganze Zeit rumgetrieben?", will AJ nun wissen.
"Ich habe einen Gast bespaßt", sage ich knapp.
Da prustet mein Gegenüber los und erst im nächsten Moment bemerke ich, wie falsch sich meine Worte anhören.

Meine Wangen werden heiß und ich bin mir ziemlich sicher, dass man selbst unter meiner Foundation einen roten Schimmer hindurch erkennen muss.
Ich senke den Kopf.
"So habe ich das nicht gemeint, hör auf zu lachen. Die Leute gucken schon!"

Entschuldigend presst er sich eine Hand vor den Mund.
"Ich war mit einem alten Freund draußen im Garten, wir haben uns ein bisschen unterhalten. Er hat noch Kontakt mit Ben und fragte nach ihm."
"Oh."

Plötzlich erstirbt sein Lachen.
Ich nicke.
"Aber sie scheinen wirklich befreundet zu sein", setze ich schnell hinterher und deute anschließend auf sein halbleeres Glas.

"Wie viele hattest du davon schon?"
Ein verschmitztes Grinsen erreicht AJs braune Augen.
"Viel zu viele. Dein Vater kauft zu guten Scotch ein."
Ich verdrehe die Augen.

Männern und ihrem Gerede über Alkohol konnte ich noch nie etwas abgewinnen.
Ich will ihm gerade das Glas aus der Hand nehmen und auf die kleine Anrichte neben mir stellen, da taucht meine Mutter auf.
"Dein Vater möchte dir jemanden vorstellen. Jetzt."

Ihr herablassender, befehlender Ton und die Art wie sie mich herumkommandiert, treibt mir erneut die Röte ins Gesicht. Dieses Mal allerdings vor Wut.
AJ zwinkert mir locker zu.
"Schon in Ordnung, die Jungs vermissen mich sicher schon."

Ich wünschte, ich könnte mit ihm gehen und seine neuen Freunde kennenlernen, anstatt gleich wieder nur ein Gesprächsanreiz zu sein.
Ich folge meiner Mutter, die mich dieses Mal nicht hinter sich herzieht.

Dad erwartet uns mit einem Herren mittleren Alters an seiner Seite.
Sein strenger Blick vermittelt mir, ich darf das folgende Gespräch nicht vermasseln.
Ihm zu liebe setze ich mein schönstes Lächeln auf und komme mit geradem Rücken vor ihnen zum Stehen.

"Ophelia, mein Schatz, darf ich dir Mark Gibson vorstellen! Ein hochgeschätzter Kollege."
Die beiden tauschen einen vielsagenden Blick aus. Dann ergreift Mr. Gibson meine Hand.
"Miss Rosethorn, es ist mir eine ganz besondere Freude. Aber sagt mal, gab es dazu nicht auch noch einen Bruder?"

Ich ziehe mich zurück, suche verzweifelt die Augen meines Vaters, der plötzlich der Einzige neben mir ist. Meine Mutter ist gegangen.
"Ja. Benedikt."
Ich kann es nicht ändern, aber sein Name hinterlässt einen bitteren Geschmack auf meiner Zunge.

"Mein lieber Sohnemann muss sich leider an strikte Bettruhe halten, die Grippe hat ihn erwischt", lacht mein Vater.
Die Lüge zwischen seinen Zähnen grinst mich böse an.
Ich beiße auf meine Unterlippe, um meine Fassung zu bewahren.

"Oh, wie schade. Ich hätte gerne deine beiden Kinder kennengelernt."
"Bei nächsten Mal wird es sich sicherlich ergeben", reiße ich das Gespräch nun an mich, gebe meinem Vater die nötige Zeit, einen neuen Gesprächspunkt aufzugreifen.
Ich streiche eine Locke aus meinem Gesicht, die bestimmt nicht mehr so glatt und glänzend ist, wie vor meinem Aufenthalt im Garten.

"Wie alt ist dein Bruder jetzt, Kleine?"
"25", antworte ich brav, den Kosenamen ignorierend.
"Na, da wird er ja wohl bald in deine Fußstapfen treten, Paul, was?"
Mit diesen Worten haut Mark Gibson meinem Vater einmal kräftig auf den Rücken.

Dieser lacht verhalten.
"Ja. Das werden wir noch sehen. Er ist nicht ganz so gut im Geschäfte machen wie ich, fürchte ich."
Mit wachsamen Augen beobachte ich die beiden Männer.
Zuhören, tue ich ihnen allerdings nicht mehr.

Die Gespräche werden zu theoretisch. Zu viele Zahlen, zu viel angeben, zu viele Geschichten aus dem Collage.
Ich schmücke einfach wieder nur die Runde, wie man es von mir erwartet.
Ich sehe gut neben meinem Vater und vor seinem Partner aus.

Ich bin eine nette Ausflucht für den gespielt freundlichen Blick, wenn man zu lange in die unergründlichen Augen meines Vaters geschaut hat.
"Entschuldigt mich", sage ich nach einer Weile höflich und ziehe mich rückwärts zurück.

Dieses Mal suche ich nicht nach AJ, als ich den Raum durchquere, sondern greife mir das erstbeste Glas Alkohol und betrete die Terrasse.
Die Glastür fällt mit einem dumpfen Geräusch hinter mir zu und verzerrt die Musik und all die Stimmen, die versuchen sie zu übertönen.

Ich schließe die Augen und fülle meine Lungen mit der Nachtluft.
Eine Gänsehaut breitet sich über meine Arme aus, aber das ist mir egal.
Schon nach dem fünften Schluck aus meinem Glas bemerke ich die Kälte nur noch am Rande.
Ich hätte keine Minute länger da drinnen ausgehalten.

Wie sehr ich Benno doch aus falschen Gründen dafür beneide, dass er sich vor solche Pflichten drücken kann.
Ich lege den Kopf in den Nacken und versuche die Sterne zu sehen. Doch der Himmel muss von Wolken bedeckt sein.
Nicht mal den Mond kann ich finden.

Hinter mir ertönt ein leises Klicken. Die Terrassentür wird geöffnet.
Verzweifelt kneife ich die Augen zusammen.
Bevor ich ein "Ich komme gleich" ausstoßen kann, umfängt mich der raue, warme Stoff einer Anzugjacke.

Ich wende den Kopf.
"Ich dachte mir, so ganz ohne Jacke hier draußen, könnte es etwas frisch werden."
AJ stützt sich neben mir auf die Balustrade und schaut nun auch in den schwarzen Himmel.
"Ach AJ, was würde ich heute Abend nur ohne dich machen?"

"Nur heute Abend?", fragt er empört.
Ich muss lachen.
Hinter den Scheiben wiegen sich einige Frauen im Takt der Musik.
Die meisten von ihnen kenne ich nicht.

Das rote Kleid meiner Mutter blitzt kurz auf, dann verschwindet es wieder.
Ich kann es gar nicht erwarten, dass diese Nacht endlich ein Ende findet.

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Song: Liability - Lord

Hi FRIENDSSS :)

Ich hoffe, ihr habt heute mal die Sonne gesehen. Ich leider nicht.

Ich sehne mich in letzter Zeit so sehr nach unserem alten, normalen Leben :/

Aber wir halten das durch nicht wahr? Ja. Sicher. Immer. Seufz.

Hiermit sende ich euch allen eine ganz dicke, fette Umarmung!!!

:)

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt