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Ich hätte mitfahren können. Ich bin mir ziemlich sicher, dass einer der Rettungssanitäter mir angeboten hat mitzufahren.
Aber ich wollte nicht mitfahren. Ich wollte gar nichts.
Würde er mir dieselbe Frage erneut stellen, würde meine Antwort die gleiche sein. Ich will immer noch nichts weiter tun, als hier zu sitzen und die Welt auszublenden.

Doch irgendwann dringen meine Gedanken wieder in den Vordergrund und heiße Wut flammt in mir auf.
Mit wackligen Knien bewege ich mich in den kleinen Flur. Der Blick ins Treppenhaus ist freigegeben.
Die Rettungssanitäter haben sich nicht die Mühe gemacht, die Tür hinter sich zu schließen.

Weil Jace vielleicht gerade dabei ist zu sterben.
Weil es vielleicht üblich ist, dass Menschen in meiner Situation wenigstens bis an die Tür mitkommen und ihrem Angehörigen hinterherblicken.
Ich presse die Lippen zusammen und schließe die Tür.

Jace ist aber keiner meiner Angehörigen.
Wir sind nichts füreinander.
Ich schlucke. Mein Magen fühlt sich seltsam leer an. Ich presse eine Hand auf meinen Bauch und versuche ruhig zu atmen.

Als ich mich wieder der Wohnung zuwende, kommen mir die vergangenen Minuten wie ein Traum vor.
Alles sieht so normal aus.
In der Garderobe hängt immer noch seine Jacke, sie haben sie nicht mitgenommen.

Woher hätten die beiden Männer auch wissen wollen, dass er fast überall hin seine Jacke mitnimmt.
Aber dann betrete ich das Wohnzimmer und sehe den beiseitegeschobenen Esstisch, den umgeschlagenen Teppich und die Stühle, die aus dem Weg geräumt worden sind.
Und die Stelle auf der Jace gelegen hat. Sie wird von der Mittagssonne angestrahlt.

Ich beiße in meinen Zeigefinger.
Das kann nicht wahr sein. Jace darf keine Drogen nehmen, nicht er.
Nicht die Person, die mich gesehen hat, die verstanden hat, ohne das ich Worte zu meinen Gunsten nutzen musste.

Ich bin taub, innerlich wie äußerlich.
Erst als ich Blut schmecke, nehme ich den Finger aus dem Mund.
Erschrocken blicke ich auf die rote Flüssigkeit, die droht auf das weiße T-Shirt zu tropfen.
"So darf das nicht bleiben", sage ich laut.

Meine Stimme klingt immer noch fremd. Sie klang heute Morgen vor der Uni fremd und auch als ich Jace gefunden habe. Und jetzt.
Ich balle die Hände zu Fäusten und marschiere auf den Tisch zu.
Ich beginne damit, ihn wieder richtig hinzuschieben, die Stühle folgen. Die Holzbeine kratzen über den Boden, doch ich verschwende keine Sekunde daran, mir Sorgen um das Parkett zu machen. In mir ist nur Platz für die tobende Wut und Verzweiflung.

Und mit einem Mal sieht wirklich alles wie immer aus.
Normal.
Normal ... ich weiß nicht mehr, was das ist.
Ein stummer Schrei verlässt meine Kehle. Mein Mund öffnet sich, ich kann es spüren, aber ich kann nichts hören.

Ich hasse das alles hier, dass alles war ein Fehler. Ich hätte ihm nie vertrauen dürfen.
Dann kommt mir ein Gedanke.
Wenn Jace Drogen nimmt, dann muss ich hier welche finden.
Und wenn ich welche finde, dann muss ich ihm glauben, ich muss ihm sein 'Ja' glauben, auch wenn mir dies in einem kleinen Teil meiner selbst immer noch schwerfällt.

Ich renne in die Küche, reiße jede einzelne Schublade auf. Darauf die Schranktüren - nichts. Nur die aneinander schlagenden Messer und die Nudelpackungen, die jetzt vor mir auf dem Boden liegen.
Keine Spritzen, keine Tabletten, nichts.
Ich will aufhören. Ich habe hier nichts gefunden, dann werde ich auch im Rest der Wohnung nichts finden.

Aber ich mache weiter, durchkämme jeden Schrank, jede Schublade, jedes Regal.
Bis ich vor der Badezimmertür stehe.
Die Sonne hat den Platz, an dem Jace gelegen hat, bereits verlassen. Sie ist weitergezogen.
Ich wünschte, ich könnte es ihr gleich tun.

Warum ich mir das Bad bis zuletzt aufgehoben habe?
Vielleicht, weil sich Benno in genau so einem Raum das Leben nehmen wollte.
Vielleicht, weil wir damals genau in einer solchen Umgebung, zwischen Zahnpasta und Deo, Tabletten und weißes Pulver gefunden haben, nachdem sein lebloser Körper abtransportiert worden ist.
Und auch in diesem - in Jennifers Bad - fällt mir das vernichtende Beweismaterial in die Hände.

Auch wenn der Verdacht schon bestätigt worden ist, tut es unglaublich weh, plötzlich ein kleines Täschchen in den Händen zu halten, deren Inhalt ich schon kenne, bevor ich den abgenutzten Reißverschluss aufziehe.
Darin befindet sich eine Spitze.
Die Tasche samt kostbarem Inhalt fliegt quer durch den Raum und kracht in die Shampooflaschen auf der Fensterbank, die ich für Jace gekauft habe.

Weinend breche ich zusammen, schaffe es gerade noch, mich auf den Toilettensitz zu ziehen, um mich dann den nicht enden wollenden Tränen hinzugeben.
Mir ist bewusst, dass ich nicht nur um Jace weine.
Ich weine auch um mich. Weil ich mich an einem Punkt in meinem Leben befinde, den ich schon kenne und an den ich nie wieder zurückkehren wollte.

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Song: Who Am I - Bazzi ( I'm proud of my soundtrack :) )

Oi

well now we know for sure-sure.
Heute kommt zum ersten Mal wieder eine Freundin zu mir and I'm so happy about that :)
Genießt euern Samstag & see ya tomorrow <3

weil ich gerade so Bock auf Eis habe: Welche Eissorte esst ihr am Liebsten?

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt