Es brennt, als meine Finger mechanisch immer wieder unter die Verschlüsse des Bilderrahmens gleiten und sich die kleinen Metallstücke unter meine Fingernägel schieben. Mit bebendem Atem sehe ich, wie ein kleiner Blutfilm unter meinen abgebissenen Nägeln aufsteigt, aber ich spüre ihn nicht. Es ist, als würde ich nur beobachten können, wie meine Hände zittern und sich in den Korkboden krallen, als wäre das nicht ich, die den Kork am Aufsteller packt und mit einem kratzenden Geräusch aus dem schwarzen Rahmen reißt. Nasse Tropfen fallen auf das umgedrehte Bild, das vor mir liegt. Immer schneller wird das Papier durchtränkt, als würde das Salz, das meine Wangen hinunterrinnt, die Vergangenheit wegätzen. Verschwommen nehme ich wahr, wie sich leichte Blutspuren über das Foto ziehen, verdecken das Datum, an dem wir es aufgenommen haben. Meine Finger gleiten an die Ecke des feuchten Blattes, bis ich langsam zusehe, wie sich die Ecke tief in meine Fingerkuppe bohrt, als ich das Foto umdrehe. Ein Keuchen geht leise durch den Raum, wie ein verzerrtes Atmen, wie ein erstickender Mensch. Zitternd fasse ich mir an den Hals, um mich unter Kontrolle zu bekommen. Mein Kehlkopf wandert auf und ab, fast im Takt des knisternden Feuers vor mir. Die Hitze flackert mir entgegen, als ich hinübersehe; die roten beißenden Flammen erheben sich bedrohlich und doch verlockend, als würden sie nach dem Bild rufen, als würden sie es in sich zerreißen wollen. Meine Hand löst sich von meinem Hals, sackt hinab in meinen Schoß und hinterlässt ein taubes Gefühl, als sie nach dem Rahmen tastet. Kurz merke ich einen Widerstand irgendwo in mir, als meine beiden Hände zusammenstoßen, vielleicht sehe ich es auch nur. Denn alles, was ich sehe, worauf sich meine Augen richten, ist ein kleines, quadratisches bedrucktes Papier. An den Rändern welkt es sich wie eine tote Blume, überzogen von rosaroten Flecken, die sich langsam ausbreiten. Sie fressen sich über den Fetzen, bis sie den Rahmen des Fotos erreichen. Das glänzende Weiß wird in ein cremefarbenes, rissiges Licht getunkt und zieht sich fort wie eine Schlange. Sie pirscht sich an, bis sie den Kopf eines großen, lachenden Jungen erreicht. Seine strahlenden braunen Augen werden verschwommener, das Leben läuft aus ihnen hinaus, verblasst, seine langen dunklen Haare, laufen in die Hände eines kichernden Mädchens, die ihn an den Bändern seiner Joggingjacke festhält. Ihre großen gräulichen Augen sehen mich an, flehen mich an, die Rinnsale aufzuhalten, die sie verwischen könnten. Doch meine Hände liegen nur auf dem Rahmen und kippen das Blatt an, sodass die ovalen Tränenbläschen weiterlaufen, sich gegenseitig überholen und ihr straßenköterblondes Haar ausbleichen, wie das einer alten Frau. Langsam, als würde eine Schnecke ihre Schleimspur über das Papier ziehen und alles mit sich nehmen, folgen meine Augen der Spur. Sie kriecht über den schlanken Körper des Mädchens, ihre Arme hinauf, hinüber, auf das nächste Mädchen, um das sie ihren Arm gelegt hat und ein Peacezeichen zeigt. Wackelig streichen meine Finger über das Blatt, kratzen über die zwei gehobenen Finger und meine Fingernägel bohren sich hinein, scharen über das Blatt, bis kleinste Krümel zusammengeschweißt werden und alles sich aufzulösen beginnt. Mit dem Arm der einen wird das Gesicht der anderen herausgerissen. Die tiefbraunen Augen starren mich direkt an, sie hören niemals auf, mir zu zeigen, wie sehr sie leuchten und wie glücklich sie sind, sie verschwinden nicht, als meine Finger auf und ab reiben, als sie sie auslöschen wollen. Als nur die Hitze in meinen Fingern immer stärker wird und mir bewusst wird, wie viel Blut durch sie hindurch pulsiert und sich über das Blatt verteilt, werden meine Hände schlapp. Sie hören auf, über das Papier zu rasen und das feuerrote Haar des starrenden Mädchens aufzuwälzen. Stattdessen heben sie die Papierreste an und tragen sie zum Feuer. Jeden Finger einzeln vom Rand lösend flattert das Foto in die beißenden Flammen. Sie setzen sich an die Ecken, fressen sich gierig fest, verschlucken nach und nach alles. Es knistert, als der erste Junge nach hinten in die Flammen kippt, das blonde Mädchen mitreißt und die beiden wie eine Einheit im Kampf untergehen. Über ihnen lodern die Flammen erneut auf, bäumen sich auf und brechen über dem rothaarigen Mädchen zusammen. Ihre Haare werden im gleichfarbigen Feuer verwunden, werden mitgenommen und fortgespült. Das Holz knackt, bricht in sich zusammen und begräbt das Mädchen unter sich. Die Asche fegt über das letzte Viertel das Papiers. Die schwarzen Flecken bleiben federleicht auf dem grinsenden Gesicht liegen, das Ruß nimmt seine blauen Augen in sich auf, lässt sie ein letztes Mal leuchten, als die züngelnden Flammen sich durch seine Augen bohren, sein kräftiges braunes Haar nur zu Staub wird und in sich zerfällt, alles mit sich reißt. Das Letzte, was bleibt, was nur ein winzigen Augenblick der Gewalt des Feuer standhält, ist seine ausgestreckte Hand, als würde sie an etwas festhalten, das das Feuer schon längst in sich aufgenommen hat und nicht mehr freigeben wird. Doch sie verschwindet auch, wird weggepustet, als ich mich nach vorne lehne und in die Flammen blase. Sofort rankt sich das heiße Rot um seine Hand und lässt sie brennen. Reißt sie mit. Und nichts bleibt zurück. Einzig allein die wachsenden Flammen schlagen höher, verlangen nach mehr. Die Hitze kriecht die Luft nach oben hinauf, erreicht mein Gesicht. Die Tränen auf meinen glühenden Wangen bleiben stehen, trocknen und verdunsten schlussendlich. Als die Flammen züngeln und meine Haare fast erreicht haben, lehnt sich mein Körper zurück. Entkommt dem Feuer und findet sein eigenes, als meine Finger über den kühlen Boden streifen und auf dem Bilderrahmen verharren. Das Holz liegt schwer in meiner Handfläche, die Kanten kratzen an meiner Haut und reißen sie ein. Dennoch hebt sich meine Hand, der Rahmen wird in die Luft getragen, schwebt eine Weile in der Unendlichkeit, bis er auf Widerstand trifft. Es knallt laut, bis in mein Innerstes, als der Holzrahmen an der Kaminkante zerspringt und tausende kleinste Glassplitter durch die Gegend wirbeln wie Staubfluseln. Die gläsernen Kristalle setzen sich überall fest, schlittern zu Boden, prasseln in mein Gesicht wie Regentropfen und verhaken sich in meinem Haar. Es wird still. Nur das Knacken des Holzes hallt in meinem Kopf wider, genau wie ein ruhiger werdender Atem. Ich schließe die Augen. Ich merke, wie da wieder etwas ist. Etwas hebt und senkt sich, bringt meinen Hoodie zum Rascheln, lässt die Kapuze immer wieder meinen Hals streifen. Mechanisch wandern meine Finger nochmal umher, folgen der Bewegung. Landen auf meinem Brustkorb. Da ist noch etwas, das brennt. Mein Herz.
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Hey
RomanceTiefe, intensive, brennende Blicke bis in die Seele. Die hat Emma damals hinter sich gelassen - doch sie kehrt nach elf Jahren zurück. Wie das Schicksal es will, gibt es keinen anderen Ausweg, als in die WG ihres Exfreundes Tim, ihrer Ex-BFF Luna u...