Meine nassen Haare tropfen die Fliesen voll, als ich über den Gang tappe. Aus Tims Zimmer kommen laute Geräusche, es hört sich an, als würde er sich oder etwas anderes aggressiv schlagen. Mit gerunzelter Stirn wickele ich die beiden Ketten fester um mein Handgelenk und schleiche mich zu seiner Tür, die noch einen Spalt geöffnet ist. In dem Halbdunkeln von einem Dezembernachmittag wirft Tim wütend eins seiner Kissen an die Wand, es knallt wieder laut. Seine Muskeln arbeiten alle deutlich, sein Atem ist ein lautes Keuchen und Knurren. „Tim? Ich bin's", ich klopfe einmal kurz mit meiner geballten Faust gegen seine Tür, dann schiebe ich mich durch den Spalt. Er blickt mich über die Schulter an, sein Gesicht ist gerötet von dem lauten Werfen. „Komm, hör auf. Ich habe keine große Lust, dass die Eisbeins wieder mal hier hochkommen", versuche ich, besänftigend zu klingen. Vorsichtig steige ich über die heruntergerissenen Bilderrahmen und gehe auf Tim zu. Mein Freund weicht mir aus und setzt sich langsam auf sein Bett; die Beine weit auseinander gestellt und die Ellbogen jeweils darauf abgestützt. Durch den Wind fährt er sich über das Gesicht und schließt die Augen. „Du willst mir die Ringe zurückgeben? Em, ich möchte, dass du deinen behältst", nuschelt er in seine Hand. „Nein, das hatte ich nicht vor. Ich wollte nur nach dir sehen", beeile ich mich zu sagen. Auf die Idee, sie ihm zurückzugeben wäre ich nie gekommen. Nicht einmal mit ihm Schluss zu machen. Nur aus welchen Gründen auch immer zieht er das sofort wieder in Erwägung. „Jetzt hör mir mal zu. Du brauchst nicht immer das Gefühl zu haben, zu wenig zu sein. Andauernd stufst du dich selbst viel niedriger ein als du es bist. Tim, ich will, dass du mal an dich glaubst. Auch was mich angeht. Wie kommst du darauf, dass ich jetzt auf einmal sofort alles wieder wegwerfen würde? Du hast selbst gesagt, dass wir so viel durchgestanden haben. Und das stimmt, wir haben das von damals überwunden und jetzt rennst du wieder weg, weil du irgendeinen Fehler und irgendeine Schuld bei dir suchst", vorsichtig setze ich mich neben Tim. Die Matratze gibt sanft unter mir nach und kippt ein wenig, sodass ich noch mehr auf der Kante sitze. Tim schluckt und lächelt dann: „Du tropfst auf mein Bett." „Klingt zweideutig", erwidere ich grinsend und zwirbele extra eine Strähne ein, um sie auf dem Laken auszuwringen. Kurz grinst Tim auch, dann verebbt seine Fröhlichkeit wieder. „Ich fühle mich dir gegenüber wie ein Idiot. Damals schon, als ich dich im Wohnwagen überreden wollte, doch mit mir zu schlafen", er atmet tief aus und sieht mich schuldig an. „Weil es meine Entscheidung war und nicht die meiner Mutter. Du hattest recht und es war gut, dass du mir das gesagt hast", widerspreche ich ihm. Wie zur Bestätigung meiner Worte rücke ich näher an ihn und streiche ihm flüchtig über das feuchte Haar, das sein weißes Shirt aufweichen lässt. „Hast du damals nie gedacht, dass ... als Schluss war. Ich habe es so in Erinnerung, dass du Luna etliche Male gesagt hast, wie viele Anzeichen es gab, dass ich dich betrogen hätte, nur um Sex zu haben. Und das war eines deiner Argumente. Unser Gespräch damals, eben das im Wohnwagen", seine Stimme klingt dünn und verzweifelt. Als ich nicht antworte, fährt er leise fort. „Und jetzt ... ich war so bescheuert und ich schäme mich aufrichtig dafür, Em. Es war dumm von mir zu denken, dass du auf einmal eine Grenze überschreiten willst und mit mir schlafen willst. Ich hätte das nicht denken und erst recht nicht fragen sollen und es tut mir leid. Ich war so bescheuert, wirklich. Es hätte mir klar sein müssen, dass du bei deiner Entscheidung bleibst, bis zum Frühling zu warten. Und als du mich dann von dir gestoßen hast ... ich habe gespürt, dass es dich unterbewusst noch immer belastet, was damals passiert – was ich getan habe. Ich will nicht, dass du denkst, ich hätte es mit den Ringen irgendwie versucht. Dich zu etwas zu überreden oder den Prozess zu beschleunigen oder -" Ich ersticke Tims Worte mit einem energischen Kuss. Ungläubig erwidert er den Druck meines Mundes. „Warte", ich löse mich bestimmt wieder von ihm und grinse ihn an, „du bist davon ausgegangen, dass ich denken könnte, dass du mich mit den Ringen gewissermaßen manipulieren oder umstimmen wolltest?" „Ja? Ich weiß doch auch nicht, auf einmal hatte ich wieder Panik, dass du wieder nur denken könntest, mir ginge es nur um Sex. Dabei wollte ich mit den Ringen nur das Gegenteil ausdrücken ...", Tim sieht mich schuldig an, seine Augen weichen meinen immer wieder aus. „Ich weiß. Und dafür verstehe ich echt nicht, wie du darauf kommst, du Spinner", diesmal kann ich mein Grinsen kein bisschen mehr verstecken. „Du bist kein bisschen sauer, dass ich das gedacht habe?", hakt Tim nervös nach, ich schüttele den Kopf. Und gleichzeitig fühle ich mich wieder wie ein Teenager. Wie ich mit sechzehn Jahren. Wieder mit Tim. Und wieder auf einer Matratze. „Nein! Ich verstehe es und außerdem, wer weiß, vielleicht hätten wir wirklich beinahe miteinander geschlafen. Mir tut es eher leid, dass ich noch nicht bereit dazu bin. Vielleicht liegt es wirklich an den Ringen, ja, dann aber eher daran, dass das heute nur zu viel auf einmal war", besänftige ich meinen Freund halte ihm meine Hand hin. Zärtlich streift er meine Finger, ehe er sich das Lederband mit dem kleinen Ring nimmt, um es mir heute zum zweiten Mal über den Kopf zu streifen. Dann lehnt er seinen eigenen vor, damit ich ihm das Band ebenfalls überstülpen kann, bei ihm bleibt es erst noch an den Ohren hängen, sodass wir beide lachen müssen. „Weißt du was? Ich bin froh, dass wir sofort miteinander gesprochen haben und uns wie Erwachsene verhalten", grinse ich ihn an. Tim blickt intensiv zurück, als er unmerklich nickt: „Nicht so wie Luna und Maik." Ich beiße mir auf die Lippen, um nicht zu lachen. Trotzdem entfährt mir ein leichtes Prusten, Tims Wangen färben sich ebenfalls dunkler, was immer passiert, wenn er ein Lachen unterdrückt. Damals fand ich es eher süß, heute ist eher heiß. Und es wundert mich nachwievor, dass ich einem Mann gegenüber so empfinde. Heiß. Attraktiv. Anziehend. Bevor ich Tim wiedergetroffen habe, waren die Kerle höchstens passabel oder noch gut im Bett, was auch immer, aber nichts anderes. Nicht einmal wirklich etwas Körperliches. Es war, als wäre ich nach der Zeit mit Tim wie taub oder blind gewesen. Als hätten nicht alle meine Sinne funktioniert und ich mich deswegen in einer Art Tunnel befunden, der längst nicht alles an Leben zugelassen hat.

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Roman d'amourTiefe, intensive, brennende Blicke bis in die Seele. Die hat Emma damals hinter sich gelassen - doch sie kehrt nach elf Jahren zurück. Wie das Schicksal es will, gibt es keinen anderen Ausweg, als in die WG ihres Exfreundes Tim, ihrer Ex-BFF Luna u...