Kapitel dreiundzwanzig

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Ein lautes Donnern reißt mich aus meinem Schlaf. Erschrocken fahre ich nach oben und starre aus dem seitlichen Fenster, als es grell blitzt. Noch Sekunden später bin ich von dem hellen Licht des Blitzes geblendet und fühle keine Angst, im Gegenteil, ich liebe das Gewitter. Bei Unwetter kann ich besonders gut schlafen. Und Schreiben. Es ist ein wenig, als würde dann noch mehr diese Naturkraft als sonst zum Vorschein kommen, was mich einerseits unfassbar beruhigt und andererseits total aufheizt, etwas zu schaffen. Nur kann ich nicht – das Fenster wackelt in seinem Rahmen, als der Wind dagegen schlägt. Ein Zimmer weiter scheppert es lautstark, als wäre gerade etwas zerbrochen. Oh Shit, ich habe Tim vergessen. Hastig klettere ich aus meinem Bett und rase über den Flur in sein Zimmer, in dem es stockfinster ist, einzig allein der Mond scheint durch das Fenster, das ich offen gelassen habe. Es sieht ziemlich ungesund aus, wie der Rahmen verbogen ist und auf dem Schreibtisch erkenne ich schemenhaft Splitter und Reste eines Blumentopfes? Panisch, dass noch mehr passiert sein kann, knipse ich das Licht an: Das Zimmer liegt genauso dort, wie ich es vor Stunden verlassen habe. Oh Gott, wie lange habe ich Tim alleine gelassen? Es müssten um die acht Stunden sein ... Und das obwohl die Ärzte gesagt haben, dass er über Nacht zu viel Fieber bekommen kann und ich aufpassen soll ... Ich bin so etwas von egoistisch und bescheuert! „Tim?!", voller Panik drehe ich mich zu meinem Exfreund, der mich müde anschaut, seine Stirn glänzt fiebrig. Wenn ihm etwas zustößt, werde ich mir das nie verzeihen. „Scheiße, es tut mir leid", heiser springe ich an sein Bett und beuge mich über ihn. Zittern lege ich meine Hand auf seine Stirn, die förmlich glüht. „Dir?", ich verstehe Tim kaum, so leise und erschöpft spricht er. Fuck, ich habe es riskiert, dass er stirbt, nur, weil ich das verarbeiten musste. Eine Sache, für die er nicht so viel konnte, anders als ich vermutet habe. „Ja, mir. Ich hätte da sein müssen. Seit wann hast du so ein Fieber? Hast du mich gerufen? Soll ich ich den Notarzt rufen?", unruhig taste ich seinen Hals ab, der sich ganz schwitzig anfühlt, an seinen Oberkörper wage ich mich gar nicht erst. Tim schüttelt erschöpft den Kopf und schließt die Augen. Verdammt. Ich glaube, so schnell bin ich noch nie in ein Badezimmer gerannt, um etliche Handtücher mit kaltem Wasser auszuwringen und zu Wickeln zu drehen. Komplett überfordert und unkonzentriert, sodass ich im Gang noch über meine eigenen Füße stolpere, haste ich in Tims Zimmer. Erst jetzt fällt mir auch auf, wie stickig und schweißig es hier drinnen riecht. „Tim, mach wieder die Augen auf. Du darfst jetzt nicht schlafen, okay? Bitte", ängstlich – nie hätte ich das wegen eines Mannes für möglich gehalten – stürze ich auf Tims Bett und knie mich umständlich zwischen Tims Beine und falle fast auf ihn, als ich den ersten Wickel sanft auf seine Stirn lege. Benommen schaut Tim mich an, als ich ihm durch die nassgeschwitzten Haare fahre, was sich keineswegs eklig oder fremd anfühlt; es ist vertraut, als hätte ich nie etwas anderes getan. „Es wird alles gut", murmele ich, unsicher, ob es das wirklich wird. Aber es muss. „Hör zu, es tut mir wirklich leid, dass ich nicht gekommen bin. Ich war egoistisch und musste nachdenken, aber das war falsch, ich hätte meine Gefühle hinten anstellen sollen und -", meine Worte überschlagen sich aufgeregt. „Em", unterbricht mich Tim angestrengt und schüttelt den Kopf, ich seufze. Aber ich tue ihm den Gefallen, ich rede nicht weiter, stattdessen richte ich mich auf, atme tief durch und kümmere mich darum, die anderen Wickel an seinem Körper zu platzieren. Behutsam streife ich Tim die Decke weg, die ich ihm vor Stunden gegeben habe. Mit prickelnden Fingerspitzen schiebe ich den Saum der Jogginghose an seinen Beinen nach oben, sodass ich seine Haut spüre. Die dünnen Haare an seinem Bein stellen sich auf unter meiner Bewegung, was mir einen Schauer über den Rücken jagt. Gott, ich sollte jetzt wirklich über anderes nachdenken. Energisch, weil ich meine lauten Gedanken in diesem stillen Zimmer übertönen möchte, wickele ich unsanft die nassen Tücher links und rechts um Tims Knöchel, wobei ich darauf achte, dass nicht die ganze Matratze nass wird. „Ich weiß nicht, ich glaube, wenn ich dir noch welche umbinde, wird es zu kalt? Ich ... tut mir leid, ich habe keine Ahnung von so etwas", verzweifelt schaue ich mich um, aber natürlich ist niemand da, der mir helfen könnte. „Tim ... ich glaube, das ist eine Nummer zu groß für mich. Und ich habe bereits einen Fehler gemacht", flüstere ich in die Stille, als es wieder blitzt. Das Licht zuckt durch das ganze Zimmer und wirft einen blassen Ausdruck auf Tims leidendes Gesicht. „Em, bitte", murmelt er und blinzelt mich an, ich atme tief durch. „Dann ... hole ich meine Matratze und schlafe bei dir, damit ich es wenigstens mitkriege, wenn etwas ist. Und du weckst mich", beschließe ich das Einzige, was mir in den Sinn kommt. „Danke", Tim schließt resigniert die Augen, von denen ich hoffe, dass sie mich noch lange ansehen werde. Was wünsche ich mir denn da? Schnell wende ich mich ab und eile aus Tims Zimmer, um in ein mein eigenes zu hetzen. Unbeholfen zerre ich meine Matratze den kurzen Weg über den Gang und quetsche sie in den Zwischenraum von Tims Bett und den ganzen Regalen. Danach hole ich noch mein Bettzeug, mein Handy und einen Eimer, von dem ich hoffe, dass wir ihn weder für Übelkeit noch für neue Wickel brauchen werden. Als ich meine Sachen auf die Matratze fallen lasse, dreht Tim den Kopf zu mir. Sein Blick ist erstaunt, als könnte er nicht recht glauben, dass ich wirklich bei ihm schlafen werde. „Okay ... dann ... brauchst du noch etwas? Sollen wir das Fenster zumachen? Auflassen? Musst du mal ins Bad?", beinahe beiße ich mir noch auf die Backen, weil ich so hastig spreche. „Alles ... gut", nuschelt Tim. Ein wenig entspanne ich mich bei seinen Worten; ich muss mich darauf verlassen. Vorsichtig mache ich das Licht aus, das sich zu meinem Leidwesen an der Tür befindet. Und den Weg von Tims Zimmertür bis hin zu meiner Matratze laufe ich gegen so viele Sachen, dass ich mir einbilde, Tim schmunzeln zu hören. Kaum spüren meine nackten Zehen den festen Stoff meiner Matte, lasse ich mich erschöpft darauf fallen und richte mein Kissen, das eiskalt ist. „Gib mir deine Hand", flüstere ich und muss ein Gähnen unterdrücken. Mit einem Rascheln schiebt Tim seine Hand zu mir. Sanft umschließe ich seine Finger, die unsicher zucken. „Wenn etwas ist, drück sie einfach", murmele ich, während ich mich vorsichtig in mein Kissen lege, darauf bedacht, Tims Hand nicht loszulassen. Erst jetzt scheint Tim zu verstehen, was los ist. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das kann, die ganze restliche Nacht seine Hand halten, aber es ist meine Hoffnung, an die ich mich klammere, so für ihn da sein zu können. Und er hält meine Hand genauso fest und zerdrückt sie beinahe, noch lange, als das Gewitter sich legt und nur noch ein starker Wind gegen die Scheibe drückt. Und obwohl es nicht mehr regnet, keine Tropfen auf das Dach fallen und auch kein grollender Donner zu hören ist, bin ich entspannt.

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